Spitzensport im Abseits

Von Herbert Fischer-Solms · 07.08.2012
Im Fall von Nadja Drygalla sei vieles falsch gelaufen, kritisiert der Sportjournalist Herbert Fischer-Solms den DOSB. Bevor die Athletin noch einmal ein schwarz-rot-goldenes Trikot überziehe, müssten Klarheit und Ehrlichkeit herrschen.
Natürlich hätte der Eklat verhindert werden können, ausgerechnet auf der olympischen Bühne in London vor weltweitem Publikum Rechtsextremismus im deutschen Spitzensport zum Thema werden zu lassen. Aber so privat, wie er jetzt behauptet, ist der Spitzensport eben nicht. Schon gar nicht, wenn er trotz Haushaltskrise jährlich steigende Fördermillionen der öffentlichen Hand verbrät und zwar mit arroganter Selbstverständlichkeit. Und auch der Bundesverteidigungsminister, der zuvor Innen- und damit Sportminister war, hat bei seinem zu kurz gegriffenen Rettungsversuch jetzt in London zugunsten der inkriminierten Ruderin wohl vor allem einen Entlastungsangriff für die zu Recht in Kritik geratene deutsche Sportführung im Auge gehabt.

Just dieser Tage ist dem Deutschen Olympischen Sportbund DOSB – und damit auch dem Bundesinnenministerium – in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin mangelnde Transparenz bescheinigt worden. Streitpunkt waren die geheim gehaltenen Medaillenziele des DOSB und der Sportverbände, auch hier geht es um den Umgang mit Geldern von uns Steuerzahlern. Die Zielvereinbarungen über olympische Medaillen, so verfügten die Richter, dürfen künftig der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden. Das Typische an dem Vorgang ist: Er zeigt, wie sehr der deutsche Hochleistungssport sich ins öffentliche Abseits begeben hat. Er führt ein Eigenleben und begründet diese Abschottung wahrhaftig mit einer Art Betriebsgeheimnis, mit der er sich vor der bösen Konkurrenz auf dem Weltmarkt zu schützen habe.

In dieser verquasten Gedankenwelt sind unkontrollierbare Entwicklungen möglich, und wen wundert es, dass hier Kommunikationsstrukturen komplett versagen, so wie es im Fall Drygalla war, bei dem vieles falsch gelaufen ist und entscheidende Fakten offensichtlich noch nicht bekannt sind. Mitnichten scheint die Ruderin aus eigenem Antrieb das olympische Dorf verlassen zu haben; vielmehr lief das Gespräch mit DOSB-Generaldirektor Vesper wohl nach der bekannten Art von Kündigungen im Betrieb: Entweder Sie gehen freiwillig oder Sie werden gegangen.

Die wohlfeile Formulierung der Sportführung, die Athletin habe mit ihrer Entscheidung Schaden von der gesamten Olympiamannschaft abwenden wollen, ist in ihrem Kern schon in der Politik zu oft missbraucht worden. Die 23-Jährige hätte die großartige Chance gehabt, noch in London vor der Presse ein Bekenntnis für ihre demokratische Haltung abzulegen; - da wurde eine Chance verpasst, die in keinem Wettkampfprotokoll auftauchen wird.

Als Nadja Drygalla London verließ, war – wie Pressekollegen berichten – an ihrer Seite ihr Lebensgefährte Michael Fischer, der nach wie vor mit Äußerungen und Aktionen in der braunen Szene in Erscheinung tritt. Nein, eine Sippenhaft gibt es nicht. Aber kann man jemanden lieben, der zum Judenhass aufruft und Morde an ausländischen Mitbürgern gutheißt, wenn einem selbst eine solche Gedankenwelt völlig zuwider ist? Bevor die Athletin noch einmal ein schwarz-rot-goldenes Trikot überzieht, müssen zuvor Klarheit, Eindeutigkeit und Ehrlichkeit hergestellt werden.

Der Spitzensport bietet nicht immer das Umfeld, das in der olympischen Charta mit hehren Worten beschrieben wird. Dort, wo junge Menschen trainiert und herangebildet werden, gibt es neben großartigen menschlichen Vorbildern auch politische Dumpfbacken, ewig Gestrige und Verführer. Das ist im Sport nicht anders als bei Polizei und Bundeswehr. Vor diesem Hintergrund sollte die deutsche Sportführung mit Thomas Bach und Michael Vesper an der Spitze einmal selbstkritisch überlegen, ob sie auf dem richtigen Weg ist, wenn sie, wie geschehen, ständig den angeblich "in London härtesten Verteilungskampf der olympischen Geschichte" beschwört und den grassierenden Medaillenwahn nur noch weiter schürt. Olympia hat noch andere Seiten, eine Rückbesinnung täte allen gut.

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