Spiritualität im Alltag

Gärtnern als Gotteserfahrung

Eine Narzisse in einem Blumentopf
Eine Narzisse in einem Blumentopf © Andreas Diel
Von Karin Lamsfuß · 26.06.2016
Im Garten versucht der Mensch, der Natur das Beste, Schönste und Schmackhafteste abzugewinnen. Manchen bringt das Jäten, Sähen und Umtopfen aber auch näher zu Gott.
Stefanie Kolb: "Ich würde ganz gerne noch diesen Mönchspfeffer schneiden…"
Eine kleine Siedlung am Stadtrand von Koblenz. Vom Gartentor aus führt ein geschwungener Steinweg durch Stefanie Kolbs Garten: durch duftende Rosenbeete, filigrane Gräser, üppige Hortensien, bunte Stauden. Wilder Wein, Haselnüsse, Kirschen, Äpfel und Johannisbeeren. Ein Ort, den sie einfach liebt. Und braucht. Täglich.
Kolb: "Für mich ist es mehr eine Spiritualität, die mir im Garten begegnet. Das Leben, das Lebendige an sich - wo wir Menschen ja letztlich auch nicht genau wissen, was der Ursprung ist. Also für mich ist das Göttliche eigentlich die Schönheit und die Ästhetik, das verbinde ich damit. Und eben diese Zuverlässigkeit, dass alles wieder wächst und eben für mich ja auch lebenswichtig ist und mich ernährt."
Der Garten als Quelle der Schönheit. Der Inspiration. Des Müßiggangs. Der Entspannung. Der Kontemplation. Der Garten Eden: ein uraltes Motiv.

Ein Vorgriff auf das Paradies

In Genesis 2 heißt es: "Und Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden gen Osten hin. Und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen."
Gerhard Dane: "Im Garten ist ja tatsächlich dieser Vorgriff, den wir Paradies nennen. Dieser Traum, es könnte alles so schön und harmonisch und geordnet sein, davon tanke ich mich im Garten voll und hab dann wieder Kraft, die Unordnung und Unschönheit anzuschauen."
Gerhard Dane, Theologe und Autor des Buchs "Im Garten kannst du Gott begegnen". Die Gartenvorstellungen in den Weltreligionen sind paradiesisch und idealisiert. Die Vision vom Land, wo Milch und Honig fließen. Das Sinnbild des Lebens. Wo Menschen, Tieren und Pflanzen in Frieden zusammenleben. Ein kleines Stück davon möchten viele Menschen in die heutige Zeit herüberretten:

"Man wird geerdet durch die Natur"

Kolb: "Man wird einfach geerdet durch die Natur. Man kriegt dadurch erst wieder die Wahrnehmung, dass das zum Menschen dazugehört. Eigentlich etwas, was in uns drin ist und wir eben auch ohne die Natur gar nicht leben können. Ich hab eigentlich eine permanente Sehnsucht in mir, Naturerfahrungen zu machen, also sinnliche Erfahrungen auch zu machen. Dadurch spüre ich mich eigentlich auch besser."
Der Kreislauf des Lebens - der Garten ist ein Sinnbild allen Seins. Alle Themen finden sich hier wieder. Auf kleinstem Raum.
Ist es das, was Menschen heute in die Gärten zieht? Für den katholischen Theologen Gerhard Dane ist sein Garten, wie er sagt, ein Ort, an dem er leer wird.
"Ein Ort, wo ich mich beschenken lasse. Wo ich wieder hören lerne. Hinsehen lerne, Zeit verschwende, zuschaue, staune, rieche, schmecke; also ein empfänglicher Mensch zu werden und nicht ein unablässig produzierender, sich behauptender, sich darstellender – im Garten passiv werden. Die kleinen und größeren Probleme und Problemchen treten zurück, wenn ich - wie heute Morgen - die Hummel beobachte und das einfach mal auf mich wirken lassen."
Pantheismus, so heißt die Auffassung, nach der Gott eins ist mit dem Kosmos und der Natur. Das Göttliche sei keine Person, sondern existiere demnach in allen Dingen, in allen Lebewesen.

Der Garten kann ein Lehrmeister der Menschen sein

Dane: "Im Garten kommt mir vor allen Dingen insofern die Ahnung Gottes, weil ich dort zwar mitwirke, aber ihn nicht mache. Wir leben ja sonst dauernd in der selbstgemachten Welt. Und im Garten begegne ich dem Geschenk der Welt. Wo ich zwar eingeladen bin, Hilfsgärtner zu sein, aber der Gartenchef ist jemand anders. Und den ahne ich im Garten. 'Bei dir', sagt der Psalm 'ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht schauen wir das Licht'. Also in allem Lebendigen, vom Licht angefangen bis zu dem dicken Regenwurm, dem ich heute Morgen hier drüben das Leben gerettet habe – alles ist nicht von uns gemacht."
Der Garten kann ein Lehrmeister der Menschen sein. Er bringt sie zurück zu den Elementen. Er lehrt, mit Misserfolgen umzugehen. Kaum verwunderlich, dass Gärtnern auch therapeutisch genutzt wird, erklärt der Psychologieprofessor Hilarion Petzold.
"Menschen brauchen Natur. Und je entfremdeter wir von der Natur werden, je verstädteter wir werden, desto deutlicher wird dann: Da fehlt etwas."

Verbunden mit dem Sein

Sogar der Psychologieprofessor erkennt im Garten ein göttliches Prinzip:
"Es ist eine gewisse Form von 'Religio', von Verbundenheit, das heißt, ich bin mit der Natur und auch mit dem gesamten Sein verbunden. Und Menschen, die eine religiöse Orientierung oder religiöse Sozialisation hatten, die kommen dann auch immer wieder mit religiösen Erfahrungen in Kontakt und sagen 'Ja, das ist Gottes schöne Natur'. Und Menschen, die keine religiöse Sozialisation hatten, die sagen 'Ja, die Natur, der Kosmos ist doch etwas Herrliches!'"
Kolb: "Die Natur hat einfach einen Rhythmus, der ist klar. Den kenne ich ja eigentlich auch. Ich weiß, dass die Pflanzen wiederkommen, auch wenn sie im Herbst absterben und die Blätter verlieren."
Für Stefanie Kolb ist der Garten wie ein Mutmacher: Er zeigt immer wieder aufs Neue, dass auf schlechten Zeiten irgendwann gute folgen. Und dem Theologen Gerhard Dane hilft sein Garten dabei, sich selbst einfach nicht so wichtig zu nehmen.
Dane: "Im Garten bin ich der Beschenkte, im Wesentlichen, der Staunende, der Kleine und weiß: Wenn ich mal nicht mehr wirbeln kann – dieser Garten, der geht weiter."
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