Spießigkeit zeigt eiskalte Fratze

30.12.2011
Ihr Gesicht schmückt Briefmarken und mancher kennt ihren Namen, wenige aber ihr Werk: Marieluise Fleißer. Ihr einziger Roman erschien 1931 unter dem Titel "Mehlreisende Frieda Geier". Vier Jahrzehnte später nahm sie eine Neubearbeitung vor, die jetzt zur Grundlage eines Hörbuches wurde.
"Eine Zierde für den Verein. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen."

Beim Verkaufen läuft alles zusammen. Geldverdienen ist überlebensnotwendig während der Weltwirtschaftskrise, und misslingt es, können die Folgen tragisch sein. Frieda Geier schlägt sich zu Zeiten der Weimarer Republik in einem Männerberuf durch: Sie fährt übers Land und verkauft Mehl.

"Etwas leise Spießiges und damit Anheimelndes geht von ihr aus. Das ist die Tarnung! Die Kleidung muss auf Stadt- und Landkundschaft abgestimmt sein - sie muss auf den ersten Blick wie jemand aus der Laufkundschaft wirken. Im Anfang hat sie da Fehler gemacht und sich zu flott angezogen!"

So unmittelbar sich Marie Luise Fleißer im Horizont ihrer Romanfiguren bewegt, so genau gibt Eva Sixt ihn in ihrer Lesung wieder. Nuanciert wechselt sie Lautstärke und Ton, klingt beherzt, dann wieder verängstigt, zart, zweifelnd, brutal. Je nachdem, ob es sich um die Erlebniswelt ihrer Protagonistin handelt, oder um die ihrer verträumten Schwester Linchen, für deren Klosterschule Frieda das Geld verdienen muss ... oder um die ihres Freunds Gustl Gillich, der "Zierde des örtlichen Schwimmvereins". Ihm gilt auch der erwähnte Untertitel: das "Rauchen", "Sporteln" - und "Lieben".

"Es ist keine Kleinigkeit, um die Jahreszeit stundenlang im Freien zu sitzen, bloß um seine werte Gesellschaft zu teilen. Gustl ist abgehärtet, bei ihm ist das anders. Er schnellt sich im Wasser wie ein Fisch, während andere nach Luft schnappen vor Kälte. Er ist nicht verpimpelt wie die Jungen. Mit Willen hat er seinen Körper gefühllos gemacht."

Gustl eröffnet einen Tabakwarenladen. Das Rauchen ist neben dem Schwimmen seine zweite Leidenschaft. Aber das Geschäft läuft nicht, die finanzielle Abhängigkeit wächst. Und soviel Gustl auch fleht und bettelt: Frieda will nicht "aushelfen" mit dem Erbteil ihrer Schwester, heiraten schon gar nicht.

Unabhängigkeit beweist auch Linchen, auf andere Art. Nicht nur wagt es die kleine Schwester allen Klosterregeln zum Trotz, einer anderen Schülerin ihre Zuneigung zu zeigen. Sie lässt es in den Augen ihrer Lehrerin auch an Demut fehlen.

"Ich brauche keine Angst zu haben, antwortet Linchen naiv. Ich war in meiner Klasse die erste. Sie sah es wie eine Bewegung über das Gesicht der strengen Dame huschen, den Entschluss, diese Selbstsicherheit bei einem jungen Menschen zu brechen".

Der Saxofonist und Bassklarinettist Norbert Vollath hat die Musik für das Hörbuch komponiert. Formal trennt sie die einzelnen Kapitel, die unverbunden zwischen den Welten der drei Figuren hin- und herspringen. Darüber hinaus setzen seine Intermezzi Gefühlszäsuren, die den Text sensibel nachklingen lassen. Oder auf ein neues Kapitel - und eine neue Tonlage - hinführen:

"Ich bin Dir so grenzenlos dankbar", flüstert Gustl glücklich im Zug. Verschämte Anerkennung für eine gemeinsame Nacht unter falschem Namen im anonymen Großstadthotel. Wieder zu Hause seine Bitte, man möge sich vor den anderen siezen. Nicht nur die Geldfrage, auch Gustls Verlogenheit, seine mangelnde Loyalität bewegen Frieda dazu, ihn zu verlassen. Für einen "stolzen Kerl" wie Gustl geht das zu weit:

"Du wirst schon noch sehen wegen Dir verreck´ ich noch lang nicht. Ein schlechter Mensch wird aus mir werden, darauf leg ich es an, und dann, Du wirst schuld sein. Sie sollen mit dem Finger auf Dich zeigen und sagen: Das hat sie aus ihm gemacht."

Immer dichter setzen sich die verschiedenen Episoden zu einem einzigen Mosaik zusammen. Die Oberfläche biederer Spießigkeit bricht auf und zeigt eine brutale, eiskalte Fratze. Subtil, mit sparsamsten Mitteln macht Eva Sixt den Hass hörbar.

"Er ist Mann´s genug, um das Kind, auf das Frieda verzichtet hat, ganz ohne ihr Zutun in ihrer Familie unterzubringen. Es soll ihm eine wahre Genugtuung sein, die junge Schwester, mit der Frieda so hoch hinaus will, mit einem Bankert sitzen zu lassen. Da würde Frieda schauen, fast könnte er lachen. Denn dann brauchen sie ihn. Sie werden ihn immer brauchen."

Marie-Luise Fleißer lässt sich mit diesem Hörbuch als zeitlos aktuelle Autorin wiederentdecken. Da ist der Zusammenhang zwischen ökonomischer und privater Abhängigkeit, da ist vor allem aber die "Macht der Männer" - Zitat Fleißer. Frieda mag für Gustl zu stark gewesen sein. Linchen ist leichte Beute. Atemlos, hoffend, bangend, lauscht man dem bitteren Finale. Dunkel, abgründig die letzte Szene am einsamen Flusslauf der Donau. Die Sprache dazu fast lakonisch, um so schärfer hallt sie nach:

"Er hatte es gar nicht vor. Dann war es stärker, daran ist noch keine gestorben."

Besprochen von Olga Hochweis

Marieluise Fleißer: Eine Zierde für den Verein
Lohrbär Verlag, 2 CDs, 2011
120 Minuten Länge, 17,90 Euro
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