SPD-Politiker Oppermann: Agenda 2010 ist ein "abgeschlossenes Kapitel"

Thomas Oppermann im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 22.09.2008
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, betrachtet die Agenda 2010 als ein "abgeschlossenes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte". "Sie war wirkungsvoll, sie war erfolgreich", sie sei aber bereits jetzt durch die mittelfristige Finanzplanung überholt, sagte Oppermann.
Birgit Kolkmann: Vor zwei Wochen schlugen die Wogen in der SPD hoch am Schwilowsee in Brandenburg. Idyllische Kulisse für dramatische Ereignisse, Kurt Beck zurückgeschickt in die rheinland-pfälzische Provinz, Franz Müntefering zurückgeholt als Steuermann ins SPD-Boot, Frank-Walter Steinmeier der designierte Kanzlerkandidat. Und er übt sich als amtierender Vizekanzler bereits intensiv im staatstragenden Gewerbe und muss schauen, wie die SPD vielleicht auch andere Mehrheiten zusammen bekommt als mit der Union und wie sie politisch überlebt. – Thomas Oppermann ist Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und damit einer der grauen Eminenzen. Schönen guten Morgen in der "Ortszeit".

Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Oppermann, ist vor zwei Wochen so etwas wie ein Ruck durch die SPD gegangen?

Oppermann: Erst war es ein Schock, aber dann kam der Ruck. Es ist schon eine Stimmung da. Wir haben die Chance auf einen Neuanfang. Diesen Neuanfang wollen alle nutzen. Wir spüren eine große Geschlossenheit und wir haben mit Frank-Walter Steinmeier und mit Franz Müntefering ein Team, das sich perfekt ergänzt und das alle Teile der Partei anspricht.

Kolkmann: Stichwort Ruck. Eigentlich hat es ja nur eine Veränderung auf dem Personalkarussell gegeben. Inhaltlich hat sich dort noch nichts getan. Wie wollen sie denn punkten bei den Wählern und in den Umfragewerten wieder steigen, wie das Frank-Walter Steinmeier gerne möchte?

Oppermann: Wir setzen auf Wachstum und Innovation und auf Stabilität in diesen unruhigen Zeiten an den internationalen Finanzmärkten. Da wollen wir deutlich mehr staatliche Regulierung und mehr Transparenz. Wir setzen auf Einkommensgerechtigkeit. Wir wollen Bildung für alle und wir wollen vor allen Dingen die erneuerbaren Energien weiter vorantreiben und die Abhängigkeit der Deutschen von den Öl- und Gasimporten verringern.

Kolkmann: Haben sie damit alle aktuellen Themen, die im Moment gerade in den Schlagzeilen sind, untergebracht?

Oppermann: Nein. Es geht natürlich auch darum, Deutschland als mittlere Macht im internationalen Beziehungsgeflecht so einzubringen, dass wir den Frieden und der internationalen Stabilität dienen können, in Europa, aber auch darüber hinaus.

Kolkmann: Wenn Sie über die Folgen der Finanzkrise für die Bürger und auch über andere Themen wie erneuerbare Energien und so weiter sprechen, dann heißt das ja, dass Sie sich nicht mehr nur mit der Agenda-Politik, ob sie wiederbelebt werden soll, oder abgespeckt werden soll, beschäftigen wie in den letzten zwei Jahren.

Oppermann: Die Agenda von 2003, die Agenda 2010, die wird ja schon vom Bundeshaushalt überholt, dessen mittelfristige Finanzplanung ja schon bis 2011 reicht. Ich habe deshalb gesagt, dass die Agenda ein erfolgreich abgeschlossenes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte ist. Sie war wirkungsvoll, sie war erfolgreich. Sie hat den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft in Deutschland robuster gemacht. Das ist gerade in diesen schwierigen Zeiten besonders wichtig. Sie hat die Arbeitslosigkeit in Deutschland drastisch verringert, sodass wir die Perspektive von Vollbeschäftigung wieder zurückgewonnen haben. Aber in den nächsten Jahren wird es neue Fragen geben und auf diese neuen Fragen werden wir neue Antworten geben müssen.

Kolkmann: Im Augenblick versucht ja auch die Linke neue Antworten zu geben und knöpft ihnen mit den Versprechen, die damit verbunden werden, jede Menge Wähler ab. Wie wollen Sie den Leuten vermitteln, dass Sie fürsorgende Sozialpolitik betreiben wollen, obwohl Sie faktisch nicht bezahlbar ist?

Oppermann: Das wichtigste ist, dass die Menschen Chancen bekommen. Das sieht man jetzt ja auch bei der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die hat von 2005 auf 2006 dazu geführt, dass die Armut in Deutschland zurückgegangen ist. Das Armutsrisiko, das 18 Prozent der Bevölkerung hatten, ist auf 16,5 Prozent zurückgegangen. Wir müssen den Menschen klare Perspektiven geben. Armut überwinden wir nicht, indem wir diese oder jene Sozialtransfers erhöhen. Armut kann nur überwunden werden durch Bildung, indem die Menschen die Chance bekommen auf eine gute Bildung, auf einen Schulabschluss, auf eine Ausbildung und dann auch die Chance haben zum sozialen Aufstieg. Alles, was für den sozialen Aufstieg gut ist, hilft auch gegen den Abstieg.

Kolkmann: Nun hat die Bundeskanzlerin für Oktober nach Dresden zum Bildungsgipfel eingeladen. Nimmt die Ihnen alle schönen Themen weg?

Oppermann: Ganz im Gegenteil. Wenn die Bundeskanzlerin die Themen, die für die SPD im Mittelpunkt stehen, auch bearbeitet, dann ist das eine erfolgreiche Entwicklung. Allerdings bei dem Bildungsgipfel wollen wir auch konkrete Verabredungen. Zuständig sind ja in erster Linie die Länder, aber es geht nicht, dass die Länder Jahr für Jahr 80.000 Schulabbrecher produzieren, die keinen Schulabschluss haben, die dann schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, und dass der Bund dann als Reparaturbetrieb die alle nachqualifizieren und nachschulen muss.

Kolkmann: Sie sagen, die Bundeskanzlerin macht das im Prinzip ja ganz gut mit der Bildung, die sie jetzt vorne anstellt. Wenn das so ganz gut läuft in der Großen Koalition, könnte man doch so weitermachen nach der Bundestagswahl, wenn es passt, oder?

Oppermann: Das ist nicht unser Ziel. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Projekten geht zur Neige. Wir wollen, dass Deutschland wieder kraftvoller regiert wird. Wir wollen, dass soziale Gerechtigkeit, aber auch wirtschaftliche Dynamik wieder stärker im Mittelpunkt der Politik steht. Und wir glauben, dass es deshalb besser wäre, wenn die Große Koalition am Ende dieser Wahlperiode auch zu Ende geht.

Kolkmann: Nun sieht ja die Bundeskanzlerin auch die SPD in einem bedenklichen Zustand und hat vor allen Dingen Zweifel, ob sie 2009 tatsächlich auf Zusammenarbeit mit der Linkspartei verzichten wollen. Ist da die Messe wirklich noch nicht gesungen?

Oppermann: Wenn die Bundeskanzlerin Sorge über den bedenklichen Zustand hat, dann sollte sie auf ihre eigene Partei schauen. Da gibt es große Meinungsverschiedenheiten und die werden in Zukunft wohl auch deutlicher werden. Ein bisschen ist das wie das Pfeifen im Walde. Wenn jetzt erst mal in Bayern die CSU die 50-Prozent-Marke klar verfehlt, dann werden die Debatten in der Union sicherlich wieder stärker beginnen, während wir auf eine größere Geschlossenheit verweisen können.

Kolkmann: Nun wird ja für die Bundespolitik von allen Seiten betont, nämlich jetzt von der Seite der Kanzlerin und auch von Frank-Walter Steinmeier, dass jetzt erst mal ordentlich gearbeitet wird – und zwar auch möglichst lange, also bis zur Europawahl 2009 -, damit nicht schon jetzt Wahlkampf ist. Aber ständig kommen wieder Wahlkampftöne ins politische Alltagsgeschäft. Können sie das den Wählern nicht ersparen?

Oppermann: Vielleicht lässt sich das nicht ganz vermeiden, eine Woche vor so einer wichtigen Landtagswahl in Bayern. Aber wir haben in der Tat noch ein anspruchsvolles Programm. Wir müssen über Kindergeld entscheiden. Wir müssen über die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages eine Entscheidung herbeiführen. Wir müssen die neue Gesetzgebung zur Erbschaftssteuer verabschieden. Wir müssen das Mandat in Afghanistan verlängern. Es ist noch eine Menge Arbeit für die Große Koalition. Für Wahlkampf wäre es eindeutig zu früh.

Kolkmann: Vielen Dank! - Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion über das, was die Koalition noch vor hat.

Das gesamte Gespräch mit Thomas Oppermann können Sie bis zum 22. Februar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio