SPD-Politiker Gernot Erler

Bei der Terrorbekämpfung könnten sich Trump und Putin treffen

Gernot Erler (SPD) ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung.
Gernot Erler (SPD) ist Russland-Beauftragter der Bundesregierung. © dpa - Patrick Seeger
Moderation: Sabine Adler · 21.01.2017
Wo stehen die deutsch-russischen Beziehungen? Wird eine mögliche Annäherung zwischen Moskau und Washington auf Kosten Berlins gehen? Wir diskutieren darüber mit dem scheidenden Russland-Beauftragten Gernot Erler.
Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, wird nicht mehr zur Bundestagswahl antreten. Der SPD-Politiker tritt ab in einer Zeit, in der die deutsch-russischen Beziehungen auf dem Tiefpunkt sind, sich ein Graben zwischen der EU und den USA öffnen könnte und ein Schulterschluss zwischen dem neuen US-Präsidenten Donald Trump und Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht ausgeschlossen ist.

Gernot Erler
, geboren 1944 in Meißen, sitzt für die SPD seit 1987 für den Wahlkreis Freiburg im Bundestag. 1998-2005 war er stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender mit Zuständigkeit für Außenpolitik, 2005-2009 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Seit 2014 ist Erler Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft.

Deutschlandradio Kultur: Gernot Erler studierte Geschichte, slawische Sprachen und Politik, sitzt seit 30 Jahren für die SPD im Bundestag – nicht immer, aber sehr häufig mit Direktmandat in seinem Wahlkreis Freiburg. Er pflegt als Russland-Beauftragter der Bundesregierung die Beziehungen unter anderem zu Moskau und ist heute zu Gast bei Tacheles, das wir in Ihrem Abgeordnetenbüro, Herr Erler, aufnehmen dürfen. Herzlichen Dank dafür.
Gernot Erler: Gerne.
Deutschlandradio Kultur: Die Vereinigten Staaten von Amerika haben nun einen neuen Präsidenten. Donald Trump ist vereidigt. Werden wir jetzt Zeugen einer Zeitenwende, in der die Welt nicht mehr eingeteilt wird in West und Ost? Denn es heißt, Donald Trump ist der Westen ganz egal, sind die westlichen Werte letzten Endes egal.
Gernot Erler: Es gibt einige Äußerungen des amerikanischen Präsidenten aus der letzten Zeit, die aufhorchen lassen und die tatsächlich solche Fragen, wie Sie sie stellen, aufwerfen. Er hat seine Bewunderung für die Durchsetzungskraft von Wladimir Putin zum Ausdruck gebracht. Er hat von einem Deal möglicherweise gesprochen, Sanktionen sozusagen auf den Tisch zu legen für ein nukleares Abrüstungsabkommen. Sehr eigenartig, weil das beides ja nichts miteinander eigentlich zu tun hat und wo sofort die Frage auftaucht: Bedeutet das ein Ausscheren aus der westlichen bisher konsensgetragenen Politik Russland gegenüber?
Und er hat auf der anderen Seite geradezu risikoreiche Konfliktbereitschaft angedeutet in Sachen China, hat auch China provoziert, so dass die Frage auftaucht: Wie soll eigentlich eine stabilitätsorientierte internationale Politik mit diesem neuen Präsidenten passieren? Aber das sind halt Fragen, die dann nachher in der Praxis beantwortet werden müssen. Denn das sind bisher alles eher Andeutungen, wo man keinen Plan oder kein Konzept oder gar eine Strategie erkennen kann.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben das Wort Deal jetzt gerade schon genannt. Donald Trump, der neue US-Präsident, ist Immobilienmakler. Er ist Geschäftsmann. – Ist jetzt zu erwarten, dass er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, vielleicht auch mit Hilfe des neuen amerikanischen Außenministers, mit Rex Tillerson, Deals macht? Tillerson selbst ist Öl-Manager, hat seine Erfahrungen mit der russischen Wirtschaft. – Also, wird jetzt Politik als Deal betrieben?
Gernot Erler: Also, zumindest gibt es solche Ankündigungen. Das ist natürlich beunruhigend, weil meine persönliche Erfahrung ist, dass es natürlich Kompromisse gibt in der Politik. Aber die Vorstellung, dass man eins zu eins Erfahrungen aus der Geschäftswelt auf die diplomatische Ebene heben kann und dann nach dem Motto: Wenn ich genug gegenüber BMW drohe, werden die ihr neues Werk nicht in Mexiko, sondern in Amerika bauen, oder wenn ich den Russen anbiete, die Sanktionen aufzuheben, dann werden sie mir entgegen kommen, vielleicht ein spektakuläres Abrüstungsabkommen im atomaren Bereich zu schließen, ohne darauf zu achten, was denn das bedeuten würde für europäische Interessen, vielleicht auch für Gefühle, die in der Ukraine dazu aufkommen, das ist schon besorgniserregend. Und ich glaube, dass das nicht funktionieren wird.
Die Frage ist: Wo ist das Gegengewicht dazu? Ist das vielleicht im Kongress? Werden sich die politisch erfahrenen Mitglieder der Republikaner einlassen? Oder werden sie Widerstand leisten, wenn jetzt alles nach den Erfahrungen aus der Geschäftswelt laufen soll?

"Eine gewisse Bewunderung von Trump gegenüber Putin"

Deutschlandradio Kultur: Sehen Sie Möglichkeiten für eine Annäherung von Washington und Moskau jetzt in dieser neuen Konstellation?
Gernot Erler: Na ja, gut. Angekündigt ist, dass es da eine gute persönliche Atmosphäre geben könnte, eben weil es da so eine gewisse Bewunderung von Trump gibt gegenüber Putin, vor allen Dingen gegenüber der Art, wie er sich durchsetzt. Da könnte es schon sein, dass sich dort ein anderes Geschäftsklima anbahnt, was übrigens nicht schlimm sein muss, weil daraus ja auch positive Dinge erwachsen können.
Und man muss eins zugeben: Das Verhältnis von Obama und Russland war tief gestört. Das hängt vor allem damit zusammen, dass dieser ewige russische Wunsch, auf gleicher Augenhöhe von der Weltmacht Amerika wahrgenommen zu werden, nun in keiner Weise von Obama – außer vielleicht ganz am Anfang mit dem "Reset" – wahrgenommen wurde. Später hat sich eine sehr kritische Haltung bei Obama ausgebreitet, die ihren Höhepunkt im März 2014 fand bei diesem berühmten Zitat in Den Haag, wo er auf einer Konferenz von der "Regionalmacht Russland, die aus Schwäche handelt" geredet hat – natürlich ein Desaster, ein diplomatisches Desaster.
Und diese Spannungen haben sich ja bis in die letzten Tage von Obama fortgesetzt, wo er dann als Antwort auf die möglichen Hacker-Angriffe von Russland 35 Diplomaten ausgewiesen hat. Das heißt, in Russland hat man sich gefreut, hat man gefeiert, als der Sieg von Trump bekannt wurde. Der Sprecher Peskow hat mal scherzhaft gesagt, aber ich glaube, da steckt was dahinter: "Wir haben drei Tage gefeiert bis das Akkordeon zu Bruch gegangen ist".


Deutschlandradio Kultur: Sie waren ja kurz nach dem Wahlsieg in Moskau, nach dem Wahlsieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl. Haben Sie da was von dieser Stimmung mitgekriegt?
Zwei Matroschka-Figuren, die Wladimir Putin und Donald Trump darstellen sollen.
Zwei Matroschka-Figuren, die Wladimir Putin und Donald Trump darstellen sollen.© TASS / dpa
Gernot Erler: Ja also, meine Gesprächspartner aus der Duma und dem Föderationsrat haben sich bemüht, das nicht zu deutlich werden zu lassen, wie sehr sie erleichtert sind über diesen Sieg und wie sehr sie das als auch eine neue Chance begreifen. Aber ich habe es schon gespürt. Da ist so etwas wie eine Art Aufbruchsstimmung entstanden durch den Trump-Erfolg. Bisher ist ja noch nichts davon umgesetzt, noch nichts konkret. Aber da bestehen schon konkrete Erwartungen, dass man eben – ganz anders als mit Obama – mit diesem neuen Präsidenten auch im Sinne von russischen Interessen zusammenkommen könnte.
Deutschlandradio Kultur: In Deutschland und in weiten Teilen der Welt, muss man ja schon sagen, überwiegen ja die Bedenken gegenüber dem neuen Präsidenten Donald Trump. Aber das, was sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt hat, war, dass man mit den Befürchtungen bzw. mit den Einschränkungen, mit denen man jeweils eine Amtszeit eines republikanischen Präsidenten betrachtet hat, dass diese Befürchtungen eigentlich sich nicht so richtig erfüllt haben, dass meistens das Verhältnis zu den republikanischen Präsidenten doch ein recht konstruktives gewesen ist.
Also, was mir natürlich sofort einfällt, ist der Fall des Eisernen Vorhangs, der Partner Bush Senior, der durchaus konstruktiv an diesem Wandel mitgewirkt hat. – Sehen wir diese neue Amtszeit zu pessimistisch?
Gernot Erler: Na ja, ich meine, es ist schon ein Novum, dass man doch eigentlich hoffen muss, dass dieser Präsident das, was er alles im Wahlkampf angekündigt hat, nicht umsetzt, sich sozusagen als untreu gegenüber den eigenen Ankündigungen erweist und eine andere Politik macht. Normalerweise erwartet man ja von einem Politiker, dass er das auch macht, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Also, das ist schon etwas Besonderes an diesem Start dieser Amtszeit.
Aber wir wissen es nicht. Wir haben auch erlebt, dass bei den Anhörungen des Teams von Trump doch Anerkennung für einige von diesen Kabinettsmitgliedern da war und auch gesehen wurde, dass keineswegs die alle das nachbeten, was Trump vorgegeben hat, sondern dass die auch eigene Positionen gezeigt haben, bei Tillerson zum Beispiel auch, was die Russlandpolitik angeht, durchaus kritische und zurückhaltende Töne – anders als bei Trump.
Das kann ja noch interessant werden. Das können wir jetzt noch nicht wissen, aber das kann doch in diesem Team auch zu unterschiedlichen Auffassungen führen, es sei denn, das ist nur der Anhörung geschuldet gewesen und dem Ziel, das man damit verbunden hat. Aber immerhin ist das sehr aufmerksam auch in der amerikanischen Öffentlichkeit wahrgenommen worden, dass hier keineswegs so eine Spurlinie, eine einseitige, verfolgt worden ist von diesen neuen Kabinettsmitgliedern.


Deutschlandradio Kultur: Sie haben vorhin kurz mal angedeutet, dass die Hoffnung ja besteht, dass es ein Gegengewicht zum Beispiel im Kongress gibt, dass es ein Funktionieren von checks and balances gibt, wie wir das von westlichen Demokratien auch und gerade der amerikanischen Demokratie gewohnt sind. – Sehen Sie diese Möglichkeit? Beide Häuser, Senat und Kongress, sind auch dominiert von Republikanern.
US-Präsident Donald Trump bei seiner Vereidigung
US-Präsident Donald Trump bei seiner Vereidigung© imago stock&people
Gernot Erler: Ja, ich meine, die Hoffnungen richten sich in dieser spezifischen Situation eben nicht darauf, dass die Opposition irgendwas erreichen könnte, das ist fast ausgeschlossen, sondern dass innerhalb der Tradition der Republikanischen Partei nicht alles sozusagen kampflos mitgemacht wird, was der Präsident macht – zum Beispiel auch diese Politik der Aufhebung von Freihandelsregimen usw. Daran hat ja Amerika lange gearbeitet, hat da sehr viel investiert. Also, ich meine jetzt zum Beispiel TPP. Wenn das jetzt einfach aufgegeben wird, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass automatisch die ganze Republikanische Partei da einfach zustimmt.
Wir werden abwarten, ob es da interne Diskussionen gibt und inwieweit da der Präsident seine Machtbefugnisse auch gegen die eigenen Leute ausspielt oder nicht. Das kann man schwer voraussagen.

"Beobachte, dass sich unsere Weltordnung im Augenblick wandelt"

Deutschlandradio Kultur: Das, was ich angedeutet hatte, ist ja, dass beide Präsidenten, Wladimir Putin und Donald Trump, doch eine gewisse Achtung voreinander haben, sich ja auch ein bisschen ähnlich sind. Sie sind sich noch nicht begegnet, aber es gibt da so eine gewisse freudige Erwartung, wenn man das mal so formulieren darf und aus der Ferne betrachtet so einschätzen kann. Befürchten Sie, dass in dieser möglicherweise neu entstehenden Verbindung Deutschland und Europa die weinenden Dritten sein werden?

Gernot Erler: Was ich beobachte, ist, dass im Grunde genommen sich unsere Weltordnung im Augenblick wandelt. Wir hatten ja eine lange Zeit eine Dominanz dieser einzig übrig gebliebenen Weltmacht Amerika nach der Auflösung der Sowjetunion 1991. Ein Jahrzehnt lang ist das auch zelebriert worden. Dann kam 9/11. Dann kam die Sichtbarkeit der Verwundbarkeit der Weltmacht Amerika und danach die Interventionen in Afghanistan und im Irak, die zu katastrophalen politischen Folgen geführt haben und in der Reaktion von Obama eine Art Rückzug, Rückzug nicht nur konkret aus Afghanistan, aus Irak, sondern auch ein bisschen aus der Blickrichtung Europa, hin nach Asien. Pivot to Asia hieß diese Politik, Hinwendung nach Asien, stärkere Beschäftigung mit der Konkurrenz, mit China.
Und man kann also sagen, Amerika fühlt sich auch nicht mehr als einzige Ordnungsmacht auf der Welt. Und in diese Lücke stößt ganz entschlossen China hinein mit der großen Seidenstraßen-Politik, eine sehr offensive Politik, die neue Märkte öffnen will bis Richtung Europa – über Zentralasien, Kaukasus bis an die Ostsee. Und mit riesigen Investitionen im Infrastrukturbereich öffnen sie sich neue Märkte für ihre Überproduktion und versuchen West-China zu stabilisieren und erheben den Anspruch, eine eigene Ordnungsmacht mit eigenen Werten zu sein – größte Demokratie der Welt.
Und parallel dazu haben wir diese Entwicklung auch in Russland. Putin hat mit Eurasischen Wirtschaftsunion, die er am 1. Januar 2015 auf den Weg gebracht hat mit fünf beteiligten Ländern, nicht nur eine Konkurrenz zur EU geschaffen, sondern auch einen Anspruch verdeutlicht, Ordnungsmacht in einer bestimmten Region zu sein. Povorot na vostok heißt das auf Russisch, also, auch Hinwendung zum Osten.
Und in letzter Zeit spricht der russische Präsident immer wieder von der bolschoje euroasiskoje partnjostwa, der großen eurasischen Partnerschaft. Und er hat die Idee mit diesem Seidenstraßen-Programm, aber auch mit BRICS, mit diesen ehemaligen Schwellenländern, mit der SCO, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, mit ASEAN zusammen so etwas wie eine riesige eurasische Gemeinschaft zu bilden.
Und wenn man sich das anguckt, dann kann man eigentlich feststellen, wir sind auf dem Weg zu einer multipolaren Weltordnung mit zumindest drei Spielern, nämlich den Vereinigten Staaten natürlich nach wie vor, China und Russland. Und jetzt ist Ihre Frage?

"Der Ukraine-Krieg geht weiter"

Deutschlandradio Kultur: Wo ist Europa?
Gernot Erler: Wo ist Europa? Da müssen wir leider feststellen, dass im Augenblick die EU darunter leidet, dass sie zu geringe Problemlösungskompetenz hat. Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 sind immer noch nicht endgültig überwunden – zum Beispiel, wenn man nach Griechenland guckt. Das Solidaritätsprinzip wird strapaziert bei der Frage der Flüchtlinge und wird nicht erfüllt – eines der großen Versprechen der EU. Der Ukraine-Krieg geht weiter auf europäischem Boden vor – auch eine Herausforderung für die EU. Der Brexit schafft riesige Probleme. Das heißt, die EU wird gestoßen jetzt in dieser Auseinandersetzung in Richtung einer neuen Weltordnung, ohne eigentlich so handlungsfähig zu sein, wie man sich das wünscht.
Das ist eine riesige Herausforderung. Und das muss auch ein Punkt sein der Auseinandersetzung mit den Kritikern an der EU. Wir brauchen in dieser Konkurrenz von verschiedenen Ordnungsmächten auch das europäische Prinzip. Das wird eigentlich mehr als je gebraucht. Aber dazu brauchen wir eine handlungsfähige, eine konsensfähige EU und keine, die immer mehr auch konfrontiert wird mit rechtspopulistischen Tendenzen, die Anti-EU sind, die sogar dafür sorgen wollen, dass sich im Grunde genommen die EU auflöst in Nationalstaaten und vielleicht nur noch einen losen Verbund schafft, der natürlich null Chancen gegen diese Ansprüche, die mit diesem Ordnungsmachtgedanken hier vorhanden sind, wie ich geschildert habe, bei diesen anderen Mächten.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt gerade gesagt, dass die EU sehr stark mit sich selbst beschäftigt ist. Wir müssen davon ausgehen, dass Amerika sehr auf sich zunächst fixiert sein wird. – Wird in diesem Windschatten Russland in der Ukraine weiter Fakten schaffen?
Gernot Erler: Russland erfüllt einfach nach wie vor nicht das, was es selber versprochen hat in dem Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015. Da sind 13 Punkte ausgehandelt worden. Der erste heißt: Waffenstillstand, der zweite Rückzug der schweren Waffen, der dritte Kontrolle der Pufferzone durch die OSZE. Keiner von diesen Punkten ist bisher erfüllt worden. Das bedeutet, dass die EU im Grunde genommen diese Politik des Dringens darauf, dass das Minsker Abkommen die Grundlage für eine politische Lösung ist und natürlich weiter Ablehnung jeder militärischen Lösung, fortführen muss.
Weil ich befürchte, wenn das noch länger dauert, dass wir keine Fortschritte da erzielen, der Druck daraufhin vielleicht eine andere Methode anzuwenden, zum Beispiel die Ukraine mit so viel Waffen auszustatten, dass sie vielleicht ihre Souveränitätsansprüche im Donbass selber wieder herstellen kann, dann mehr Zulauf bekommen werden. Ich sage nicht, dass das kommt, aber das wird eine neue Debatte geben, die ich sehr gefährlich finde.

"Fast unverantwortlich, was von der Trump-Politik ausgelöst worden ist"

Deutschlandradio Kultur: Wie groß ist die Gefahr, dass die Ukraine Opfer eines Deals zwischen Putin und Trump wird?
Gernot Erler: In der Ukraine wird das ganz offen und sehr besorgt diskutiert. Ich habe ja schon erwähnt, dass Trump diese Idee hat, irgendein atomares Abrüstungsabkommen, er hat nicht gesagt, wie das aussehen soll, vielleicht auszuhandeln auf Kosten der Sanktionen. Und in der Ukraine ist man natürlich sehr daran interessiert, dass dieses Druckmittel nicht verschwindet, weil man sich auch kein anderes im Augenblick vorstellen kann.
Insofern braucht man sich nicht zu wundern, dass im Zusammenhang mit den kritischen Bemerkungen zur Nato und mit der Infragestellung der Nato-Garantie für Länder, die nicht genug Geld für Verteidigung ausgeben, oder mit diesen Sprüchen von der obsoleten Nato, die schon ein erhebliches Alter erreicht hat, das sind natürlich Dinge, die im Baltikum, die in Polen, die in der Ukraine die größten Sorgen auslösen. Das ist schon fast unverantwortlich, was da im Augenblick von der Trump-Politik ausgelöst worden ist.


Deutschlandradio Kultur: Macht sich Trump da eigentlich zum nützlichen Idioten für Wladimir Putin?
Gernot Erler
Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, im Gespräch mit Sabine Adler© Deutschlandradio / Sabine Adler
Gernot Erler: Ich glaube, dass hier doch ein Mangel an Interpretation des Weltgeschehens eine wichtige Rolle spielt. Und ebenso ein Ansatz, ich kann doch mal gucken, was ich rausholen kann aus der Situation, also, zu glauben, die Sanktionen sind ein bargaining chip, den man auf den Tisch werfen kann, um irgendetwas anderes in einem beliebigen anderen Bereich zu erreichen, verkennt ja völlig, was die Rolle dieser Sanktionen ist. Da muss man immer wieder betonen: Es gab diese Entscheidung, entweder politische Lösung oder militärische Lösung.
Aber wenn man sagt, man verhandelt mit der russischen Seite über die Frage Krim-Annexion, über die Frage Intervention im Donbass, dann fragt sich ja jeder: Wo ist denn da das Druckmittel? Das scheint aber in den Vorstellungen des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump überhaupt keine Rolle zu spielen. Das Wort Ukraine hat er überhaupt noch nicht benutzt in all seinen Ankündigungen. Dieses Problem scheint nicht zu existieren.
Für ihn gibt es die andere Prioritätensetzung – Kampf gegen Daesh oder gegen IS, den Islamischen Staat. Und da glaubt er, dass Russland ein ganz wichtiger Partner sein kann. Das hört natürlich Putin sehr gerne, der selber die ganze eigene Politik auch in Syrien immer als Kampf gegen den Terrorismus ausgegeben hat. Und auf dem Gebiet könnten sich die beiden treffen zu Lasten anderer Betroffener, zum Beispiel zu Lasten der Ukraine. Und das wird dort genau auch so gesehen.

"Mehr Kompetenz auch von Konfliktlösung ist wichtig"

Deutschlandradio Kultur: Herr Erler, Sie haben gerade angesprochen, aufgegriffen die Ankündigung von Donald Trump über die Nato, die veraltete Nato nachzudenken. Ist Ihr Eindruck, dass die Bundesregierung, dass man auch in Europa, in der Europäischen Union jetzt gut darauf vorbereitet ist, dass man selber mehr für die eigene Verteidigung in Europa tun muss, auch zahlen muss?
Gernot Erler: Das ist ja schon ein Thema, was uns schon einige Zeit beschäftigt. Und es gibt ja auch jede Menge Vereinbarungen darüber, die allerdings in der Regel nicht eingehalten werden von vielen Staaten. Es ist schon eine ältere Vereinbarung, zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung auszugeben. In Deutschland ist gerade eine Etatberatung zu Ende gegangen über den Bundeshaushalt dieses Jahres. Da ist verabredet worden, im Verteidigungsbereich 2,7 Milliarden mehr auszugeben. Wir landen dann statt bei 1,2 bei 1,22 Prozent des Bruttoinlandprodukts, glauben aber das verantworten zu können, weil, es kann nicht sein, dass hier so eine Vorgabe gemacht wird. Wenn wir die erfüllen wollten, müssten wir weitere 20 Milliarden Euro im Verteidigungsbereich investieren, ohne dass über Fähigkeiten gesprochen wird, ohne dass über Kooperation gesprochen wird, ohne dass über Doppelung von Fähigkeiten gesprochen wird.
Aber es ist natürlich richtig, hinter Ihrer Frage steht, ob am Ende mehr Verantwortung für Europa entstehen wird. Ja. Das ist so, aber das trifft eben leider auf diese Schwäche im Augenblick, diese politische Schwäche, die ich erkenne im Bereich der EU. Und das ist viel wichtiger, dass hier Veränderungen stattfinden. Nur mehr Rüstung wird das Problem nicht lösen. Mehr Kompetenz auch von Konfliktlösung ist wichtig, also auch mehr präventive Fähigkeiten, vor allem natürlich auch mehr Moderationsfähigkeit, mehr Verhandlungsfähigkeiten und natürlich innere Stärke der EU als solche, Konsensfähigkeit. Das ist eigentlich gefragt in dieser Situation, wo wahrscheinlich die Anforderungen an Sicherheitspolitik auch an Europa wachsen werden.
Deutschlandradio Kultur: Außenminister und Ihr Parteifreund Frank-Walter Steinmeier hat das als Säbelrasseln bezeichnet. Ist das das richtige Wort, was diesen Vorgang einordnet, auf das zu reagieren, was Trump angekündigt hat, die Gefahr mit Russland?
Gernot Erler: Das hatte einen ganz bestimmten Platz, dieses Zitat, und zwar in einer Entwicklung, die auch mich sehr besorgt macht. Wir haben ja nicht nur bestimmte erweiterte Rüstungsprogramme, sondern wir haben im Augenblick einen ständigen Zuwachs von Zahl und Umfang von militärischen Manövern im Kontext mit dem Ukraine-Konflikt.
Russland hat Militärübungen von mehr als 100.000 Mann Beteiligung durchgeführt an den Grenzen und hat die Zahl erhöht. Aber auch die Nato hat die Zahl der Manöver massiv heraufgesetzt und auch den Umfang von Manövern.
Dazu kommt diese ständige Herausforderung von Kampfflugzeugen, die über der Ostsee oder überm Schwarzen Meer, also russische, aufsteigen ohne Ankündigung, ohne Transponder, wo dann sofort die Nato-Abfangjäger aufsteigen müssen. Ich schätze, dass im vergangenen Jahr annähernd 600 solche Fälle aufgetreten sind. Da haben wir reines Glück, dass da noch kein Zusammenstoß passiert ist. Und es gibt diese Scheinangriffe von russischen Flugzeugen auf Nato-Einheiten, Marine-Einheiten, also höchst gefährliche Spiele, die da betrieben werden.
Und das Ganze wird dann auch von einer bestimmten Rhetorik begleitet. Das ist das, was damals diese Kritik ausgelöst hat. Und es ist ja nicht nur bei dieser Kritik geblieben, am Säbelrasseln, sondern es gibt ja auch Vorschläge. Steinmeier, der deutsche Außenminister hat diesen Vorschlag innerhalb der OSZE gemacht, wieder Abrüstung und Rüstungskontrolle zu einem ernsthaften Arbeitsauftrag für die OSZE zu machen. Interessant ist, er hat dafür in der Mehrzahl der EU-Länder und der OSZE-Teilnehmerstaaten Zustimmung bekommen, aber nicht von den baltischen Staaten und Polen, die sich in einer solchen Konfrontation mit Russland sehen, dass sie im Grunde genommen nichts anderes wollen als eine stärkere Stationierung von Nato in ihren Ländern, um sogenannte Reinsurances, also Rückversicherung zu bekommen für den Fall, dass es zu einem Konflikt kommt.
Aber es ist ganz wichtig zu erkennen, dass wir uns in einem Eskalationsprozess im Augenblick im militärischen Bereich im Kontext mit dem Ukraine-Konflikt befinden, wo keiner einen richtigen Hebel hat, das mal zu stoppen. Wo soll das eigentlich mal aufhören? – Denn eins ist ja klar. Das hat immer Wirkung auf der anderen Seite. Beide Seiten sagen: Wie reagieren wir auf die andere Seite? Aber wer sagt denn mal, da ist jetzt mal Stopp, oder wer sagt mal, da ist mal Stopp mit diesen Überflügen?
Wir müssen endlich wieder auch eine militärische Diskussion in Nato-Russland-Rat haben, um hier solche Katastrophen zu verhindern, wie sie zum Beispiel am 24. November vorletzten Jahres in der Türkei passiert sind mit dem Abschuss des russischen Flugzeugs, was ja eine katastrophale Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zur Folge hatte. Das sollte uns eigentlich Warnung genug sein.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja Russland wirklich lange beobachtet, beginnend mit der Sowjetunion. In welcher Verfasstheit ist das Land heute?
Gernot Erler: Das Land hat eine sehr selbstbewusste Führung, allen voran der russische Präsident Wladimir Putin, der sehr hohe Zustimmungswerte im eigenen Land für eine Politik hat, die nicht unsere Zustimmung finden kann – was die Krim angeht, was die Aktionen in der Ost-Ukraine angehen –, und der es schafft mit diesen internationalen Themen die großen Schwierigkeiten im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, die eher größer werden als geringer werden, die etwas zu tun haben vor allen Dingen mit dem Absinken des Ölpreises und damit Problemen für das russische Budget, zu überspielen.
Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es dieses Selbstbewusstsein und gibt es diesen Ausbau der russischen Rolle als Ordnungsmacht, auch mit diesem Anspruch, dass man eine eigene Vorstellung von Werten entwickelt und die den westlichen entgegenhält und sich abschottet gegen Kritik, die davon kommt. Das heißt, Russland ist ein schwierigerer Partner geworden als in der Vergangenheit.

"Ich glaube, dass der Dialog unverzichtbar ist"

Deutschlandradio Kultur: Würden Sie sagen, dass sich Ihr Verhältnis, Ihr persönliches Verhältnis, Herr Erler, geändert hat in Bezug auf Russland? Also, um mal mit James Bond zu sprechen: Nix mehr da mit Liebesgrüßen nach oder aus Moskau?
Gernot Erler: Also, ich habe mich mein ganzes Leben lang mit diesem Land und dieser Region beschäftigt. Aber es wäre ja komisch, wenn weltgeschichtliche Ereignisse einträten, die Änderungen mit sich bringen, sich nicht auch widerspiegeln in meinen Denk- und Verhaltensweisen. Also, ich kann nicht den Anspruch erheben zu sagen, ich habe mich nicht geändert, alles andere hat sich geändert, sondern diese Ereignisse haben sich auch ausgewirkt auf meine praktische politische Arbeit. Ich habe ja gerade auch ein Jahr hinter mir, wo ich zuständig war als Sonderbeauftragter für den deutschen OSZE-Vorsitz. Ich habe da sehr, sehr viele Gespräche, auch übrigens außerordentlich schwierige Gespräche, mit den russischen Kollegen geführt.
Aber an einem Punkt halte ich natürlich fest. Ich glaube, dass der Dialog unverzichtbar ist. Und ich glaube, dass wir sogar mehr Dialog brauchen. Ich glaube, dass es nicht so vernünftig war, den Nato-Russland-Rat abzuschalten – ausgerechnet bei dem Beginn einer Krise. Ich glaube auch nicht, dass es vernünftig war, alle anderen Dialog-Plattformen, wie etwa G8 auf G7 zu reduzieren oder die Olympischen Spiele zu boykottieren oder eben auch zu versuchen, andere Gesprächsmöglichkeiten, auch wie Regierungskonsultationen, völlig abzubrechen.
Inzwischen ist es ja so, dass sich gerade Deutschland jetzt darum bemüht, diese Dialogplattform wieder auszuweiten. Frank-Walter Steinmeier hat den Vorschlag gemacht, tatsächlich zu überlegen, ob die G7 nicht doch wieder Kontakt mit Russland aufnehmen sollte. Und wir haben versucht, wirklich den OSZE-Vorsitz hier zu nutzen für einen Dialog. Sehr viele konkrete Ergebnisse hat es nicht gegeben, aber wir müssen, und das ist meine persönliche Überzeugung, darum kämpfen auch, dass die Dinge, die wir kritisch sehen in Russland, Gegenstand von einem Dialogprozess bleiben und dass wir diese Möglichkeiten auch wirklich nutzen.
Deutschlandradio Kultur: Ist das der richtige Moment, wo Sie sagen, wunderbar, ich kann jetzt in so einer schweren Zeit meinen Hut nehmen als Russlandbeauftragter? Sollen die anderen weitermachen!
Gernot Erler: Das ist nicht so richtig meine Position. Ich habe mich entschlossen, nach jetzt 30 Jahren im Deutschen Bundestag und davor 20 Berufsjahren einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass deswegen das, was ich als meine Lebensaufgabe betrachtet habe, plötzlich überhaupt keine Rolle mehr spielt. Das heißt, ich werde mich darum bemühen, die Erfahrung, die ich habe, die ich auch anbieten kann, eben dann an anderer Stelle als im Bundestag nützlich anzuwenden.
Deutschlandradio Kultur: Ich habe irgendwo gelesen, dass Sie Puschkin so wahnsinnig gerne mögen und gerne gelesen haben. Haben Sie den überhaupt gelesen in den letzten 30 Jahren in der Zeit im Bundestag?
Gernot Erler: Den habe ich immer wieder gelesen, aber ich gebe zu, dass das eine der Perspektiven ist, die mich freuen, dass ich vielleicht mehr Zeit dazu habe, in Zukunft das zu tun. Das wird ja wohl hoffentlich dabei rausspringen bei diesem Entschluss.
Deutschlandradio Kultur: Also mehr Puschkin lesen. Herr Erler, recht herzlichen Dank.
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