SPD: Koalitionsentwurf zu Patientenrechten ist "mutlos"

Carola Reimann im Gespräch mit André Hatting · 22.10.2012
Die SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann moniert den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Patientenrechte. Der Entwurf fasse nur die geltende Rechtslage zusammen und sei keine substanzielle Verbesserung, sagte Reimann.
André Hatting: Sie gehen mit Kniebeschwerden ins Krankenhaus und kommen querschnittsgelähmt wieder raus - dieser Alptraum heißt beschönigend Kunstfehler, Ärztepfusch trifft es wohl besser. Im vergangenen Jahr waren 6000 Patienten in Deutschland davon betroffen - offiziell.

Das Aktionsbündnis Patientenrechte geht sogar davon aus, dass jährlich etwa 17.000 Menschen an Behandlungsfehlern in Krankenhäusern sterben. Pech gehabt, hieß es bislang, entschädigt wurden sie beziehungsweise ihre Angehörigen nicht, es sei denn, sie konnten als Laien dem Arzt den Fehler nachweisen. So gut wie unmöglich, ungerecht und deshalb verbesserungswürdig. Die Merkel-Regierung will das deswegen neu regeln, der Bundestag hat über ihr Patientenrechte-Gesetz Ende September erstmals beraten.

Heute lädt der Bundestagsausschuss für Gesundheit und der Rechtsausschuss zu einer öffentlichen Anhörung ein. Fast 50 Sachverständige sollen da sagen, was sie von dem neuen Gesetz so halten. Gudula Geuther erklärt, was da genau drin steht.

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Gudula Geuther informierte, und mitgehört hat Carola Reimann. Die SPD-Politikerin leitet den Bundestagsausschuss für Gesundheit. Guten Morgen, Frau Reimann!

Carola Reimann: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Warum ist das Gesetz der Bundesregierung für Sie kein Fortschritt?

Reimann: Weil es jetzt erst mal die derzeitige Rechtslage zusammenfasst, an einigen Teilen auch konkret in ein Gesetz gießt. Das ist alles eine schöne Fleißarbeit, aber insgesamt recht mutlos und keine echte substantielle Verbesserung für die Patientinnen und Patienten.

Hatting: Was wollen Sie?

Reimann: Wir finden, dass drei ganz zentrale Bereiche nicht angegangen sind, das eine ganz große Ärgernis, die individuellen Gesundheitsleistungen, die kann man so nicht alleine regeln.

Hatting: Die sogenannten IGeL-Leistungen?

Reimann: Diese IGeL-Leistungen. Dann das Nächste ist ein großes Problem, Medizinprodukte: Es braucht eine verbesserte Sicherheit für Implantate in Deutschland, dazu finden Sie im Patientenrechte-Gesetz nichts, und es fehlt in größter Not ein Härtefall-Fonds, und das ist etwas, wo ich hoffe, dass sich auch noch Bewegung ergibt und dass das heute Gegenstand der Anhörung sehr intensiv sein wird.
Hatting: Jetzt haben Sie, Frau Reimann, ein großes Thema der Opposition ausgeklammert, das überrascht mich ein wenig, nämlich, dass diese generelle Umkehrung der Beweislast Ihnen nicht weit genug geht.

Reimann: Wir wollen so eine Beweiserleichterung, das ist richtig, das ist aber ein diffiziles Thema. Wir machen die Anhörung ja mit den Juristen gemeinsam, und das wird sicher auch noch mal heute sehr intensiv besprochen werden. Wir wollen aber auch keine komplette Beweislast-Umkehr - anders, als es immer dargestellt wird, sondern eine Erleichterung in speziellen Fällen, und dann ist es sehr, sehr differenziert.

Hatting: Das bedeutet, spezielle Fälle – bei der Bundesregierung ist das so, lassen Sie mich das bitte kurz noch sagen, man will bei besonders harten Fällen, bei besonders groben Kunstfehlern, da will man die Beweislast umkehren, und wie ... was ...

Reimann: Das ist heute schon so.

Hatting: Ja, was wollen Sie?

Reimann: Wir wollen, dass zum Beispiel, wenn Dokumentation vorenthalten wird, dass dann das Klinikum erläutern muss, warum es keinen Fehler gemacht hat, in diesen Fällen eine Beweislast-Umkehr. Und das ist aber keine Generelle in allen Fällen, sondern das hat natürlich auch was mit dem Verfahren und mit der korrekten Behandlung zu tun dann im Verfahren.

Hatting: Aber die Dokumentation soll doch in Zukunft gar nicht vorenthalten werden.

Reimann: Ja, aber es gibt zum Beispiel auch da wieder Mutlosigkeit, es gibt die Möglichkeit, dass auch dann Patienten nicht alle Dinge einsehen können, ja? Das steht dann auch noch mal drin, dass bestimmte Dinge, die der Arzt noch mal anders notiert hat, nicht immer einsehbar sind. Und das sind so die Dinge, die uns stören, auch dass die Berücksichtigung von Minderjährigen und all solche Dinge nicht ordentlich geregelt sind.

Hatting: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ja auch deswegen so moderat, weil er einen juristischen Krieg Patient gegen Arzt verhindern will.

Reimann: Das ist sicher richtig, andererseits muss man sagen, man muss Patienten schon in die Lage versetzen, ihre Rechte dann auch durchzusetzen. Und da ist das Gefälle ja ohnehin zwischen Arzt und Patienten jetzt schon da, und wenn sie sich gerade letzte Woche noch mal anschauen, was auch die Verbraucherschützer sagen zu den individuellen Gesundheitsleistungen zum Beispiel, eigentlich ein Bereich, wo es gar nicht um große Schäden geht medizinischer Art, aber einfach wo die Patienten häufig über den Tisch gezogen werden, da muss ich sagen, da könnte ich mir klare Regelungen vorstellen zugunsten des Patienten.

Hatting: Wie sollen diese aussehen? Bessere Aufklärung, oder?

Reimann: Ja, zum Beispiel stellt sich ja heraus, dass ganz, ganz viele über den Nutzen einer solchen individuellen Gesundheitsleistung nicht informiert sind. Dann gibt es häufig keinen schriftlichen Vertrag, es gibt keine schriftliche Rechnung, alle solche Sachen sind natürlich eigentlich selbstverständlich, aber man muss sie klar einfordern, und wir wollen, dass an einem Tag, wo eine solche individuelle Gesundheitsleistung abgerechnet wird, nicht auch noch gesetzliche Leistungen abgerechnet werden können, es sei denn, der Versicherte geht dahin und sagt, ich möchte die.

Hatting: Wollen Sie auch mehr Bedenkzeit für die Patienten?

Reimann: Ja, das ist eine, das wird sich daraus gleich eigentlich unmittelbar ergeben, dass sich das entfärbt, ja. Im Moment ist es häufig sehr überfallartig in den Arztpraxen, wo dann Patienten mit Leistungen konfrontiert sind, die sie nicht einschätzen können, und wo sie sich dann eben auch nicht trauen, die abzulehnen.

Hatting: Frau Reimann, Sie haben vorhin auch noch ein anderes Stichwort genannt, nämlich den sogenannten Härtefallfonds. Was genau ist das und wie soll er finanziert werden?

Reimann: Der Härtefall-Fonds soll dann, soll nach Wiener Modell – die Wiener haben so ein Modell für den Krankenhausbereich, das stellen wir uns auch für Deutschland vor. Das ist im Übrigen etwas, was von Fachpolitikern aller Coleur und auch vom Patientenbeauftragten immer schon gewünscht wurde, bislang aber am Widerstand der Versicherer gescheitert ist, so ist mein Eindruck.

Es soll dann eingreifen, wenn die Durchsetzung der Ansprüche unzumutbar lange sind und wenn zum Beispiel ganz seltene, unbekannte Komplikationen auftreten, und dann soll den Patienten wirklich unbürokratisch und schnell geholfen werden, weil sehr oft sind das ja sehr kranke und sehr alte Patienten, die nicht noch jahrelang auf dem Rechtsweg ihre Ansprüche durchsetzen können.

Hatting: Woher kommt das Geld dafür?

Reimann: Das Geld wollen wir aufbringen aus drei Quellen: Einmal aus dem Versicherungsanteil beziehungsweise aus dem Steueranteil, den wir in der Krankenversicherung haben, in dem Gesundheitsfonds, dann wollen wir natürlich die Haftpflichtversicherer dazu beitragen lassen, und aus der Zuzahlung der Patienten einen Beitrag nehmen. Das ist so ein Modell, wo aus drei Quellen dann ein solcher Fonds finanziert werden könnte.

Hatting: Patienten sollen in Deutschland mehr Rechte bekommen. Carola Reimann von der SPD geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht weit genug. Sie ist Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, der heute in Berlin Experten dazu anhören will - die Sitzung ist öffentlich. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Reimann!

Reimann: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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