SPD in Baden-Württemberg

Fehlt den Genossen das Gefühl für den Wähler?

Stefan Fulst-Blei (l-r), Wolfgang Drexler und Martin Rivoir posieren am 15.03.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) nach ihrer Wahl zum Führungstrio der SPD Landtagsfraktion Baden-Württemberg.
Stefan Fulst-Blei (l-r), Wolfgang Drexler und Martin Rivoir posieren am 15.03.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) nach ihrer Wahl zum Führungstrio der SPD Landtagsfraktion Baden-Württemberg. © picture alliance / dpa / Daniel Maurer
Von Uschi Götz · 19.04.2016
Die SPDler in Baden-Württemberg sind bestürzt über die schlechten Ergebnisse der Landtagswahl. Ausgerechnet im Mannheimer Norden, einer SPD-Hochburg, konnte etwa die AfD das Direktmandat gewinnen. Was sind die Ursachen für die Wahlschlappe?
Wie konnte die SPD so tief fallen? Wo wird der rote Faden für die Zukunft sein? Über diese Fragen diskutieren Oberbürgermeister, Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus dem Südwesten vergangenen Samstag in der Nähe von Stuttgart. In Arbeitsgruppen sitzen die Sozialdemokraten Baden-Württembergs zusammen und diskutieren, wie die SPD so tief fallen konnte.
Der Mannheim-Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei zieht in der Pause eine Zwischenbilanz:
"Bei der Diskussion an den Tischen, auch an unserem Tisch, da wurde nicht irgendetwas zurückgehalten. Man hat ehrlich analysiert, wo sind unsere Schwächen, was haben wir nicht geschafft zu kommunizieren? Es ist ja nicht so, dass wir die vergangenen fünf Jahre nur Schrott gemacht haben."
Fulst-Blei ist Verlierer und Gewinner dieser Wahl. Er hat das Direktmandat in seinem Wahlkreis Mannheim an einen AfD-Kandidaten verloren. Doch der SPD-Mann hat mit 22,2 Prozentpunkten immer noch das beste Ergebnis seiner Partei in ganz Baden-Württemberg bekommen und wird auch künftig im Landtag sitzen.

Verlust der SPD-Hochburg hat viele erschüttert

Der Mannheimer Norden galt jahrzehntelang als SPD-Hochburg. Dass ausgerechnet einer von der AfD hier so erfolgreich sein konnte, das hat einige SPD-Bezirksbeiräte fast dazu gebracht, ihre politische Arbeit in Schönau hinzuschmeißen.
An der Endhaltestelle der Straßenbahn in Schönau sitzen am Morgen schon ein paar angeheiterte Zeitgenossen.
Auffällig viele frisch renovierte, große Wohnblocks prägen das Gesamtbild des Viertels, ein Großteil Sozialwohnungen sind darunter. "Hier ist einiges für uns gemacht worden", sagt eine Dame mittleren Alters, will das aber nicht vor dem Mikrofon wiederholen.
Gesprächiger ist eine Rentnerin, sie raucht beim Bäcker neben dem SPD-Bezirksbüro am Danziger Baumgang ihre Zigarette zu Ende. Im Schaufenster der Sozialdemokraten liegen immer noch Wahlplakate. Die Rentnerin ist schnell bei der AfD:
"Die habe ich dieses Mal sogar gewählt und sonst immer SPD … aber nur wegen den Flüchtlingen."
Sechs Kinder habe sie groß gezogen, berichtet die Rentnerin. Sie könne gut mit ihrer Rente und einer Witwenrente leben. Was fehlt also? Die Dame denkt nach und sagt dann: Nichts!
"Aber die nächste Generation, die habe doch keine gute Zukunft."
Die Angst, man könne etwas verlieren, ist hier besonders spürbar. Ein etwa 50-jähriger Mann sagt, er kenne viele SPD Wähler hier im Norden, die bei der Landtagswahl die AfD gewählt haben
"Das ist nur Trotz, weil eben Flüchtlinge alles kriegen. Wir haben auch Arbeitslose, wir haben auch unter der Brücke schlafende, da wird nichts gemacht."
Einig sind sich fast alle darüber: die SPD hat sich hier im Mannheimer Norden immer für die Armen und Benachteiligten eingesetzt. Den künftigen Landtagsabgeordneten der AfD, Rüdiger Klos, haben bislang nur wenige leibhaftig gesehen. Wie konnte die SPD ausgerechnet hier so einbrechen?
Landtagspolitiker Fulst-Blei: "Ich glaube, wir haben ein Kommunikationsproblem. Ich glaube gerade da, wo die AfD massiv gewonnen hat, in den sozial schwächeren Bereichen, dass wir auch zu schwierig vermitteln konnten, was wir auch gerade für Mannheim Schönau erreicht haben. Da müssen wir daran arbeiten, wir werden auch einfacher werden müssen von unseren Botschaften."
Spätestens bei der nächsten Landtagswahl sei der Bezirk wieder in SPD-Hand, meint Fulst-Blei:
"Positiv gewendet ist natürlich auch, wenn man ehrlich ist auch so, wir wären, hätten wir das Direktmandat knapp gehalten, vielleicht schneller zu Tagesordnung übergegangen und so ist es natürlich ein Weckruf für alle."

Mangelnde Emotionalität innerhalb der Partei

Die dramatische Wahlschlappe in Baden-Württemberg ist ein Weckruf für die ganze SPD im Südwesten. So kann es nicht weitergehen, darüber sind sich die Sozialdemokraten einig. Die Landtagsfraktion, von 35 auf 19 Mitglieder geschrumpft hat mit der Wahl des bisherigen Kultusministers Andreas Stoch ein Zeichen gesetzt. Jurist Stoch gilt als überlegter, ideenreicher Politiker. Auf die Frage, ob er SPD-Landeschef werde wolle, sagt Stoch, er halte nichts von einer Machtkonzentration. Stoch lenkt den Blick auf die kommende Zeit in der Opposition:
"Wir wollen dort, wo es notwendig ist, die bessere Alternative, die der SPD aufzeigen, und wir wollen natürlich auch der Landesregierung, falls sich Grüne und CDU auf einen Koalitionsvertrag einigen, deutlich Paroli bieten, wo wir das Gefühl haben, dass Entwicklungen, die wir in unserer Regierungszeit begonnen haben, nicht weiter gehen oder gar das Rad zurückgedreht werden soll."
Mit Blick auf die eigene Partei stellte Stoch in einem Zeitungsinterview eine mangelnde Emotionalität fest. Damit dürfte er vor allem Landeschef Nils Schmid gemeint haben, der als Spitzenkandidat von einigen Parteifreunden für das desaströse Wahlergebnis verantwortlich gemacht wird. Schmid, der von sich sagt, er habe Nerven wie Eiswassers, schmettert bislang alle Rücktrittsforderungen ab.
In einem Brief forderten jüngst ehemalige Landtagsabgeordnete ihn und Generalsekretärin Katja Mast dazu auf, die Verantwortung für das Wahldesaster zu übernehmen und von den Ämtern zurückzutreten. Schmid verweist darauf, mögliche personelle Fragen am Ende eines Erneuerungsprozesses zu stellen.
Zurzeit sucht die SPD landesweit in verschiedenen Veranstaltungen nach den Ursachen für die Wahlschlappe. Am 12. April fand zudem eine Telefonkonferenz statt, an der sich nach Parteiangaben Tausende beteiligten. Viele Anrufer waren der Meinung, die SPD müsse wieder sozialdemokratische Politik machen.
Landeschef Nils Schmid hört in diesen Tagen viel zu. Am Ende des Treffens mit der SPD-Spitze am vergangenen Samstag, ist schon eine Erkenntnis in ihm gereift:
"Wir brauchen eine sozialdemokratische Erzählung, eine Gesamtschau, die übrigens nicht nur das klassische Thema der sozialen Gerechtigkeit aufgreift, sondern auch Lust auf Zukunft macht. Da geht es um das Lebensgefühl der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, auch mit Emotionen und nicht nur über Inhalte."
In zwei Wochen, am 30. April, sollen die nun gewonnenen Erkenntnisse in einer großen Basiskonferenz vorgestellt und diskutiert werden. Der ursprünglich für diesen Tag geplante Landesparteitag wurde auf Juli verschoben.
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