Sparkurs "ist die falsche Politik"

Moderation: Ute Welty · 27.04.2013
In der Debatte über die Ausrichtung der Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU dringt Ökonom Peter Bofinger darauf, den bisherigen strikten Sparkurs zu ändern. Er appelliert an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die von den Krisenländern geforderte Spardisziplin zu überdenken.
Ute Welty: Gespannt schaut Europa nach Italien - dort ist Enrico Letta mit der Regierungsbildung beauftragt, ein erklärter Gegner der europäischen Sparpolitik, und einer, der vorankommen will mit seinem 46 Jahren. Letta wird sehr genau hingehört haben, als Kommissionspräsident Barroso von den Grenzen des Sparens sprach, was wiederum den deutschen Finanzminister auf den Plan ruft. Im Deutschlandfunk warnte Wolfgang Schäuble davor, das Sparen als Idee aufzugeben, zumal mehr Geld vorhanden sei als angenommen.

Wolfgang Schäuble: Wir haben gerade auch eine Statistik von der Europäischen Zentralbank bekommen, wie das Vermögen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verteilt ist, und diese Statistik hat nicht gerade dafür gesprochen, dass die Vermögen in Deutschland am höchsten sind, sondern gerade auch in den Ländern, von denen wir ständig reden. Das heißt, wen man genauer hinschaut, was die Probleme sind, wenn man die Probleme richtig analysiert und nicht die Schuld beim anderen sucht, dann findet man auch die richtige Lösung, aber wir können nicht daran mitwirken, dass man jetzt durch eine Verschiebung der Ursachen sich wieder auf den falschen Weg begibt.

Welty: Sparen oder nicht sparen, das scheint sich zur europäischen Gretchenfrage zu entwickeln, zumal die Arbeitslosigkeit in Frankreich und Spanien Rekordstände erreicht hat. Diese Entwicklung beobachtet auch Peter Bofinger mit Sorge, Professor für Volkswirtschaft in Würzburg und einer der sogenannten Wirtschaftsweisen. Guten Morgen!

Peter Bofinger: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wer hat denn nun recht - Barroso, der das Sparen zumindest infrage stellt, oder Schäuble, der das Fragen für unabdingbar notwendig hält?

Bofinger: Ich glaube, man muss sich auch einfach fragen, wie hat sich der Euroraum in den letzten zwei Jahren entwickelt in der Phase, in der eben diese Sparpolitik begonnen und umgesetzt worden ist. Und mein Eindruck ist, der Euroraum gerät immer tiefer in die Rezession - wir haben im Jahr 2012 schon Rückgang der Wirtschaftstätigkeit gehabt, für 2013 wird es genau so sein. Die Arbeitslosigkeit steigt massiv an, wir liegen jetzt etwa bei 20 Millionen arbeitslosen Menschen im Euroraum, und das sind etwa zwei Millionen mehr als vor einem Jahr.

Und deswegen glaube ich, dass man dringend drüber nachdenken muss, diesen Sparkurs zu ändern. Er ist die falsche Politik in der aktuellen Situation, und starr dran festzuhalten, hat das Potenzial, Europa wirklich in eine ökonomische Krise zu stürzen.

Welty: Das heißt, der Bundesfinanzminister hat nicht recht - den Sie ja beraten.

Bofinger: Der Bundesfinanzminister sollte wirklich sich das noch mal genau ansehen. Und ich meine, man hat ja einen guten Vergleichsmaßstab, nämlich die Vereinigten Staaten. Die haben ja auch eine Finanzkrise gehabt, eine Immobilienkrise gehabt, dort war so vor zwei, drei Jahren auch die Arbeitslosigkeit bei zehn Prozent, etwa so hoch wie im Euroraum, aber die amerikanische Wirtschaftspolitik hat sich sehr viel mehr Zeit genommen mit dem Sparen, hat das sehr viel behutsamer gemacht, hat deswegen auch teilweise ein doppelt so hohes Defizit gehabt wie der Euroraum, aber das zahlt sich jetzt aus, wir sehen, dass die amerikanische Wirtschaft sich stabilisiert, dass die privaten Haushalte ihre Schulden abbauen können, dass der Immobilienmarkt wieder in Gang kommt, und ich glaube, das ist ein Ansatz, der sich sehr bewährt hat, und wir in Deutschland müssen sehr froh sein, dass die Amerikaner diese Politik gemacht haben, denn der einzige Wirtschaftsraum, wo wir im letzten Jahr starke Exporterfolge gehabt haben, das waren die Vereinigten Staaten.

Welty: Wir haben die Arbeitslosigkeit schon erwähnt, Riesenproblem in Spanien und Frankreich, Griechenland hat den höchsten Stand in einem Industrieland überhaupt, aber inwieweit hilft weniger Sparen gegen Arbeitslosigkeit?

Bofinger: Ja, man muss es ja mal anders sehen: Wir haben im Euroraum insgesamt und natürlich insbesondere in Ländern wie Italien, Griechenland, Portugal und Spanien eine ausgeprägte Rezession. Und nach allen Lehren der ökonomischen Kunst erfordert eine Rezession eine expansive Fiskalpolitik, also das, was wir sehr erfolgreich gemacht haben, als wir im Jahr 2009 die Krise gehabt haben.

Welty: Mit den Konjunkturprogrammen?

Bofinger: Ganz genau, und das hat ja auch sehr gut funktioniert, und jetzt machen wir in dieser rezessiven Situation genau das Gegenteil. Anstatt dass der Staat Gas gibt, also versucht, diese schwache private Nachfrage zu kompensieren, brennt der Staat zusätzlich, ist also nicht stabilisierend, sondern destabilisierend. Und dann ist es eigentlich überhaupt kein Wunder, dass die Entwicklung immer schlechter wird, es ist wirklich eine völlig kontraproduktive Politik.

Welty: Sie würden also auch das Risiko eingehen und deswegen - also wegen solcher Konjunkturprogramme - neue Schulden machen?

Bofinger: Also zunächst mal ist ja das, was mir vorschwebt, nicht, dass man Konjunkturprogramme macht, dass man aber in Gottes Namen keine weiteren Sparmaßnahmen umsetzt, wie das im Augenblick ja auch gerade in Portugal diskutiert wird.

Welty: Was aber Geld kostet.

Bofinger: Das ist eben jetzt ganz die Frage, denn wir haben ja diese Sparpolitik nun schon seit mehreren Jahren, und wir sehen hier überhaupt keine Erfolge bei der Verschuldungssituation. Der Schuldenstand der betreffenden Länder bezogen auf die Wirtschaftsleistung ist überall deutlich angestiegen, und es besteht eben die Gefahr bei der Sparpolitik, dass ich die Wirtschaft so stark abbremse, dass am Ende der Staat zwar weniger ausgibt - sagen wir mal jetzt für Portionen oder für seine Bediensteten -, dass aber die Konjunktur einbricht, dass er massive Steuerverluste hat, und dass er mehr Geld ausgeben muss für die Arbeitslosen, dass am Ende also die Sparpolitik sogar dazu führt, dass sich die Verschuldungssituation des Staates verstärkt.

Welty: Wolfgang Schäuble sagt an dieser Stelle, mit neuen Schulden geht das ganze Elend wieder von vorne los, und er sagt das ziemlich genau mit diesen Worten.

Bofinger: Ja, aber da ist ein kleiner Fehler drin, denn das Problem, das wir im Augenblick im Euroraum und auch in der Weltwirtschaft haben, ist ja gar nicht, dass zu viele Schulden gemacht werden, sondern das Problem ist, dass die privaten Haushalte und die Unternehmen im Euroraum wie aber auch in den USA oder Japan unglaublich viel Geld sparen. Es ist noch nie so viel Geld gespart worden von den Privatsektoren in der Welt, wie das im Augenblick der Fall ist.

Also wenn jetzt Staatsverschuldung gemacht wird, um die Wirtschaft zu stabilisieren, dann werden nicht Schulden mit Schulden bekämpft, wie das manche sagen, die von Ökonomie nicht so viel verstehen, sondern man reagiert mit staatlicher Verschuldung auf eine extreme private Geldersparnis.

Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig zu erkennen, dass das Problem also nicht der Staat ist, sondern, das Problem ist, eine massive Verunsicherung von Unternehmen, von privaten Haushalten, die von dem vielen Geld, das sie einnehmen, ungewöhnlich wenig ausgeben.

Welty: Wenn diese Sparpolitik nicht aufhört, mit welcher Entwicklung rechnen sie dann in den betroffenen Ländern, zum Beispiel auch in Italien, die ja jetzt in der Regierungsbildung womöglich vor einem Kurswechsel stehen?

Bofinger: Na ja, man muss ja mal sehen, dass wir auch historische Erfahrungen mit genau dieser Art von kontraproduktiver Politik gemacht haben, nämlich in Deutschland. Anfang der 30er-Jahre hatten wir den Reichskanzler Brüning, Deutschland war da in einer schweren Rezession, und Herr Brüning hat nun versucht, krampfhaft zu sparen, massiv zu sparen, und er hat die deutsche Wirtschaft wirklich in ein Desaster geführt, und die politischen Folgen waren ja noch viel schlimmer.

Und deswegen, glaube ich, sollte man sowohl aus ökonomischer wie auch aus politischer Sicht diese damalige Entwicklung sehr sorgfältig angucken, dass wir nicht jetzt die Fehler, die damals gemacht worden sind, wiederholen.

Welty: Zur Zukunft der europäischen Sparpolitik der Wirtschaftsweise Peter Bofinger im Interview der "Ortszeit", das wir aufgezeichnet haben. Danke dafür!

Bofinger: Ja, gerne!

Welty: Und wenn Sie mehr wissen wollen, dann empfehlen wir Ihnen das "Radiofeuilleton" nach 9:00 Uhr, zu Gast dann der Ökonom Heiner Flassbeck. Alle Infos natürlich auch im Netz auf dradio.de.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Bundestag
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Bundestag© dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Den USA droht die Zahlungsunfähigkeit
Die amerikanische Wirtschaft habe sich wieder stabilisiert, so Bofinger.© picture alliance / dpa
Mehr zum Thema