Spanien vor einem heißen Frühjahr

Von Reinhard Spiegelhauer · 21.03.2012
Kurz vor Weihnachten hatte der neue spanische Ministerpräsident Rajoy seinen Amtseid abgelegt - und dann mit seiner Regierung die Steuern erhöht und Ausgaben gekürzt. Für Ende des Monats haben die Gewerkschaften bereits einen Generalstreik ausgerufen.
"Es wird Zeit für einen Generalstreik" rufen Gewerkschafter, bei einer Kundgebung vor knapp zwei Wochen. Wenn es nach ihnen geht, stehen demnächst alle Räder still in Spanien - und zwar am 29. März, genau 100 Tage nach Amtsantritt von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Die Gewerkschaften mobilisieren gegen die ihrer Meinung nach unsoziale Sparpolitik der Regierung - vor allem aber gegen die Arbeitsmarktreform, die das Kabinett Mitte Februar beschlossen hat. Rajoy ist darauf schon lange vorbereitet - am Rande des EU-Gipfels in Brüssel Ende Januar fingen Mikrofone unbemerkt eine Unterhaltung des spanischen Regierungschefs mit seinem finnischen Amtskollegen auf.

Es ist schwer zu verstehen, doch wenn man genau hinhört, versteht man es: Rajoy sagt: "la reforma laboral nos va a costar una huelga” - die Arbeitsmarktreform wird uns einen Streik einbringen. Der Satz sorgte für Aufsehen, denn die Reform lag zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf dem Tisch - die Spanier nahmen Rajoys Bemerkung als Vorboten für einen drastischen Abbau von Arbeitnehmerrechten.

Tatsächlich hat das Kabinett eine tief greifende Reform verabschiedet. Bisher mussten spanische Arbeitgeber im europäischen Vergleich ausgesprochen hohe Abfindungen zahlen, wenn sie einem Arbeiter oder Angestellten kündigen wollten - bis zu 45 Tageslöhne pro Beschäftigungsjahr. In Zukunft wird es in vielen Fällen nur noch knapp die Hälfte sein. Und wer zu den Glücklichen Arbeitssuchenden gehört, die überhaupt einen Job finden, muss ein Probejahr akzeptieren, nach dem ihm sogar ganz ohne Abfindung gekündigt werden kann.

Die Arbeitsmarktreform hat nun zum ersten Mal Spanier zu Protesten gegen die Politik der neuen Regierung auf die Straße getrieben. Besonders in den großen Städten gingen viele auf die Straße, so wie der arbeitslose Akademiker Juanjo in Madrid:

"Ein Jahr Probezeit, das heißt im Klartext 'hire and fire‘"

Doch Mariano Rajoy lässt sich davon bisher nicht beeindrucken. Der als besonnen und zurückhaltend geltende Galizier hat mit seiner Regierungsmannschaft schon einiges angestoßen - nachdem er nach seiner Wahl im November erst einmal auf Tauchstation gegangen war. Wochenlang ließ er die Spanier im Dunkeln, wen er ins Kabinett berufen würde, wochenlang warteten die Menschen so besorgt wie ungeduldig auf die ersten Maßnahmen der neuen Regierung im Kampf gegen die Krise. Am 30. Dezember ließ dann nicht etwa Regierungschef Rajoy, sondern seine rechte Hand, Vize-Ministerpräsidentin Soraya Saenz de Santamaria, die Katze aus dem Sack:

"Es war ein Versprechen dieser Regierung und ihres Ministerpräsidenten, die Wahrheit auf den Tisch zu legen. Das Haushaltsdefizit für 2011 wird wesentlich höher liegen, als das die Vorgängerregierung angekündigt hat. Wir sprechen von einem Defizit von etwa acht Prozent. Die Regierung hat angesichts dieser außergewöhnlichen Situation außergewöhnliche Entscheidungen getroffen."

Zum Beispiel, im Öffentlichen Dienst einen weitgehenden Einstellungs- und Wiederbesetzungsstopp zu verhängen, und die Beamtengehälter einzufrieren. Diese, und einige weitere Sparmaßnahmen sollen die Staatskasse um knapp neun Milliarden Euro entlasten. Und nicht nur das, Saenz de Santamaria verkündete auch gleich noch den Bruch eines Wahlversprechens. Steuererhöhungen werde es nicht geben, hatte Rajoy vor der Wahl stets betont - das sei Gift für die Konjunktur. Aber nur eine Woche nach Amtsantritt verordnete seine Regierung den Spaniern dann prompt doch eine Einkommensteuererhöhung. Zusammen mit höheren Grund- und Gebäudesteuern soll das rund sechs Milliarden Euro bringen.

Unangenehme Nachrichten wie diese lässt Rajoy seinen Wählern - und den übrigen Spaniern - übrigens grundsätzlich durch seine Frau fürs Grobe nahe bringen. Die erst 40-jährige Soraya Saenz de Santamaria ist der Shooting Star in Rajoys Regierung. Die Anerkennung des Regierungschefs hat sich die ehemalige Staatsanwältin nicht zuletzt durch spektakulär aggressive und polemische Angriffe auf die Vorgängerregierung erworben - jetzt bedient sie im Auftrag des neuen Ministerpräsidenten einerseits gekonnt die Einspar- und Steuererhöhungspeitsche, während sie den Spaniern andererseits ein wenig Zuckerbrot vor die Nase hält:

"Das Kabinett hat ein Maßnahmenpaket beschlossen, das die Schwächsten schützen soll, diejenigen, die besonders von der Krise betroffen sind. Wir können keine weiteren Opfer von denen verlangen, die nichts mehr geben können."

Für die Rentner soll es wieder einen Inflationsausgleich geben, eine Unterstützung für Langzeitarbeitslose wird erst einmal weiter gezahlt.

Mit dieser Kombination aus harten Maßnahmen und zumindest einigen sozialpolitischen Zugeständnissen haben sich viele Spanier schnell arrangiert - schließlich hatte niemand Wunder, aber alle Einschnitte erwartet. Hauptsache, die alte Regierung ist weg - so gelassen regierte nicht nur Krankenpfleger Joan Ángel aus Madrid nach den ersten Griffen in die Folterkiste:

"Rajoy schafft es vielleicht nicht, die Leute wirklich mitzureißen und zu überzeugen - er mag zurückhaltend sein, aber zumindest weiß er, was er will und umgibt sich mit dem richtigen Team. Und er ergreift eben die Maßnahmen, die in dieser ziemlich beschiss ... ziemlich komplizierten Lage nötig sind."

Neben Einsparungen, Steuererhöhungen und Arbeitsmarktreform hat die Regierung Rajoy auch eine weitere Reform des Finanzsektors angestoßen: die Banken sollen ihr Kapital aufstocken und endlich die völlig unrealistischen Werte korrigieren, mit denen sie ihre Immobilen in den Bilanzen führen. Auch weitere Fusionen soll es geben, damit angeschlagene Geldhäuser überleben können.

"Wir haben in sieben Wochen mehr Reformen auf den Weg gebracht, als die Sozialisten in sieben Jahren."

In Spanien lobt sich Rajoy selbst - und auf der europäischen Bühne hat er zunächst artig ein Mantra gebetet: Spanien wird seine Verpflichtungen erfüllen. So auch Ende Januar, beim Antrittsbesuch in Berlin:

"Spanien wird das Defizitziel erfüllen, das das Stabilitätsprogramm vorgibt - daran kann es keinen Zweifel geben. Nach heutigem Stand liegt es bei 4,4 Prozent und Spanien wird - heute - dieses Ziel einhalten."

Bei Licht betrachtet, war das natürlich bereits das offene Eingeständnis: Spanien kann die ursprünglich vereinbarten 4,4 Prozent nicht halten, weil das Defizit 2011 viel höher ausgefallen ist, als die Regierung Zapatero versprochen hatte. Rajoy und seine Minister leugneten es wochenlang in jedem Interview, doch tatsächlich wollten sie mit Europa nachverhandeln und das Defizitziel für dieses Jahr anheben. Doch in Brüssel stellte man sich erst mal taub - und auch aus Berlin gab es zwar Lob für die ersten Reformen, mehr aber auch nicht:

"Mariano Rajoy hat vorgestellt, was die spanische Regierung an Schritten unternimmt, und ich muss von meiner Seite aus sagen, dass wir das mit außerordentlicher Achtung verfolgen, das sind zum Teil keine einfachen Schritte und deshalb wünschen wir auch der Regierung außerordentlichen Erfolg bei allen Bemühungen, die jetzt unternommen werden."

Ein höfliche Angela Merkel, die schon damals sehr gut wusste, dass Spaniens Ministerpräsident Rajoy trotz Sparprogramm zu denjenigen gehört, die das Merkozy-Credo "Sparen, Sparen, nichts als Sparen" nicht unbedingt für der Weisheit letzten Schluss halten:

"Es reicht nicht, alleine das Defizit anzugehen und zu sparen. Wir brauchen Reformen, die das Wirtschaftswachstum der Länder anregen."

Damit meint Rajoy eben nicht nur die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die seine Regierung beschlossen hat - er ist zum Beispiel auch dafür, ungenutzte Gelder aus Strukturfonds in Arbeitsbeschaffungsprogramme zu pumpen. Und obwohl Spanien weiter als gefährlicher Wackelkandidat gilt, der dringend saniert werden muss, tritt der im eigenen Land so zurückhaltende Galizier Rajoy in der Fremde manchmal ziemlich forsch auf - zuletzt Anfang des Monats. Die Tinte unter dem neuen EU-Fiskalpakt war noch nicht ganz trocken, da stellte Spaniens Ministerpräsident in einer Pressekonferenz fest, dass sein Land natürlich die Verpflichtungen des Stabilitätspaktes einhalten werde - aber:
"In diesem Jahr werden wir das Defizit um dreieinhalb Prozent senken, weil wir das nachholen müssen, was im vergangenen Jahr versäumt worden ist. Das Defizitziel für das kommende Jahr wird 5,8 Prozent sein."

Die Tatsache, dass Spanien das ursprünglich gesteckte Ziel nicht erreichen kann, überraschte niemanden, wohl aber der nassforsche Alleingang - denn Rajoy hatte das neue Ziel nicht mit den Mitgliedsstaaten abgestimmt:

"Dafür gab es keinen Grund - das ist eine Entscheidung, die die Spanier souverän treffen, und die ich der EU-Kommission im April bekannt geben werde, so wie alle anderen es mit ihren Zahlen auch tun."

Das war den europäischen Kollegen dann doch zu frech, und sie erteilten Rajoy kurzerhand eine Lehre in Sachen Diplomatie: Statt wie ursprünglich angekündigt erst im Mai über einen möglichen neuen Defizit-Fahrplan für Spanien zu verhandeln, beschlossen sie postwendend, Spanien ein Limit von 5,3 statt der von Rajoy verkündeten 5,8 Prozent zu setzen - und Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung anzudrohen. Sachlich sei der Unterschied von fünf Zehntel-Prozentpunkten eigentlich nicht begründbar, sagen Experten - er sei eine rein politische Strafmaßnahme. Wie es aussieht, zwingt Rajoys Gepoltere Spanien zu zusätzlichen Sparmaßnahmen in Höhe von fünf Milliarden Euro.

Insgesamt sind es in diesem Jahr damit also 35 Milliarden Euro, die die Regierung einsparen muss. Wie sie das schaffen will, bleibt derweil noch ihr Geheimnis. Die bisherigen Maßnahmen sind lediglich 15 Milliarden Euro wert - aber den Haushaltsentwurf, der eine neue Liste der Grausamkeiten beinhalten dürfte, hält die Regierung sorgsam unter Verschluss. Erst nach den ersten hundert Tagen soll er auf den Tisch, am 30. März. Der Grund ist jedem in Spanien völlig klar: An diesem Sonntag sind Wahlen in Andalusien. Seit 30 Jahren regieren dort die Sozialisten, aber alle Umfragen sagen einen historischen Sieg der Volkspartei von Mariano Rajoy voraus - und den wollen die Konservativen nicht durch neue Hiobsbotschaften gefährden.

Dabei ist die Sorge vielleicht sogar unbegründet - denn die Spanier wissen nur zu gut, dass die Lage schlecht ist. Nach wie vor erwarten sie keine Wunder von der Regierung. Weder in den relativ wohlhabenden Ballungsräumen Madrid und Barcelona in der Mitte und im Norden des Landes, noch in armen Dörfern und Kleinstädten Andalusiens. Juan und Luis, beide Rentner, leben in der Kleinstadt Tarifa, am südlichsten Ende des europäischen Festlandes:

"Die neue Regierung hat doch quasi erst vorgestern angefangen. Ich hoffe, dass es dank der Sparmaßnahmen wieder nach oben gehen wird. Ich glaube daran."

Und was halten Sie von den Maßnahmen bisher?

"Ich finde sie gut - und andere bleiben doch auch nicht. Ohne bleibt alles beim Alten. Sie regieren noch nicht lange, wir werden ihnen schon noch etwas Zeit geben müssen."

In Andalusien liegt die Arbeitslosigkeit noch über dem ohnehin hohen Landesdurchschnitt von 23 Prozent. Sie sei das eigentliche Problem Spaniens, sagt Tuchhändler Gabriel. Er hat einen kleinen Stand in der Markthalle, und auch er setzt, ein Vierteljahr nach der Wahl, weiter auf den neuen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy:

"Ich glaube, der Ansatz der Regierung ist nicht schlecht. Man kann das sentimental betrachten, aber wenn wir objektiv darauf schauen, muss man es so machen. Die Arbeitsmarktreform finde ich richtig. Ich sage dir das als jemand, der als Arbeiter angefangen hat und jetzt sein eigenes kleines Geschäft hat, also beide Seiten kennt."

Die Volkspartei Rajoys dürfte die Wahlen in Andalusien gewinnen. Die Menschen in der gebeutelten Region wünschen sich vor allem einen Wechsel und geben den Konservativen Kredit, auch wenn alle wissen, dass das Schlimmste noch lange nicht überstanden ist. Noch ist es zu früh, zu urteilen, sagen sie - und deswegen ist der Erfolg des Generalstreiks kommende Woche mehr als ungewiss. Manche glauben sogar, der Regierungschef habe ihn ganz bewusst in diesem frühen Moment seiner Amtszeit provoziert: die ersten Sparmaßnahmen und Reformen sind zumindest halbwegs verdaut - und dass noch mal 20 Milliarden Euro eingespart werden müssen, haben die Spaniern zwar gelesen, aber sie glauben nur zu gern Beteuerungen wie diese:

"Ich denke, es ist absolut möglich, das Defizit wie vorgesehen zu verringern, ohne in den kommenden Monaten irgendwelche weiteren Steuern anzuheben. Wenn ich das sage, muss ich aber natürlich auch sagen, dass im Leben nichts endgültig ist."

Wer noch einen Job hat, der will nicht unbedingt auffallen, indem er sich an einem Streik beteiligt - und außerdem gibt es in Spanien keine Streikkasse. Wenn man ohnehin nur mit Mühe über die Runden kommt, überlegt man sich also zweimal, ob man wirklich streiken und auf einen Tageslohn verzichten will. Und das große Heer der Arbeitslosen will zumindest glauben, dass Arbeitgeber auch mehr einstellen werden, wenn sie leichter entlassen können.

Das alles wissen natürlich auch die Gewerkschaften - doch sie fühlen sich im Zugzwang. Denn, so sehen es die Arbeitnehmervertreter, die Arbeitsmarktreform der Rajoy-Regierung höhlt die Tarifautonomie aus und bedroht damit am Ende sogar die Existenz der Gewerkschaften. Pausenlos appellieren Gewerkschafter an Rajoy, bei der Reform nachzuverhandeln - doch der weiß um seine augenblickliche Position der Stärke. Und so bleibt den Gewerkschaftern vor dem Generalstreik nur, sich selbst Mut zu machen. Es geht hier nicht nur um die Gewerkschaft, es geht auch um den Sozialstaat, warnt ein Funktionär, und appelliert schon fast verzweifelt an die Spanier, zu streiken.
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