Spätfolge der Bodenreform

Zurück in die Bürgerhaushalte

Doris Derdey von der Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten betreut die Gemäldesammlung im Schloß Wernigerode. In ihrem Depot sind noch immer viele Bilder aus den Enteignungen während der Bodenreform.
Doris Derdey, Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten zeigt im Schloß Wernigerode Bilder, deren Herkunft noch immer ungeklärt ist. © dpa picture alliance
Von Christoph Richter · 27.11.2014
Müssen die ostdeutschen Museen ab Dezember fürchten, dass Laster vorfahren und Inventarstücke abholen, die im Zuge der Bodenreform enteignet worden waren und nun an die Altbesitzer zurückgehen? In Sachsen-Anhalt sehen sich die Museen gut vorbereitet.
Der filigran geschnitzte "Heilige Michael" ist eine einzigartige Holzskulptur aus der Zeit um 1400. Einst gehörte die Plastik Hans Hasso von Veltheim, Sprössling eines 800 Jahre alten altmärkischen Adelsgeschlechts, der es 1945 bei seiner Flucht nach Westdeutschland zurücklassen musste. 2008 wurde die Skulptur nach langen Verhandlungen aus dem Bestand des Hallenser Kunstmuseums Moritzburg – welches in Sachsen-Anhalt das Hauptdepot für enteignete Kunst war - den Erben zurückgegeben, die es anschließend der Stiftung Döme und Schlösser käuflich überlassen hat. In den nächsten Tagen soll die Adels-Familie ein weiteres Gemälde zurückerhalten.
Ein weiteres Beispiel: Im Sommer konnte in Halle ein Porträt des berühmten Feldmarschalls von Gneisenau an seine Nachfahren restituiert werden - all dies sind Kunstwerke, deren Provenienz gesichert ist, wo die Museen nichts mehr fürchten müssen. "Ungefähr 155.000 Stücke sind geklärt worden", sagt Sachsen-Anhalts SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh. "Vieles davon ist restituiert worden, also sprich: zurückgegeben worden. Vieles davon lagerte seit Jahren in Depots und ist selten oder nie gezeigt worden."
Nach Schätzungen von Historikern wie Marcel von Volland wurden in der SBZ, der früheren sowjetischen Besatzungszone, zwischen 1945 und 1949 etwa 40.000 bis 50.000 Menschen enteignet. Dabei haben sie nicht nur ihre Ländereien und Häuser verloren, sondern auch fast alles, was darin war, also vom einfachen Küchengeschirr bis hin zu kostbaren Kunstwerken. Die Bandbreite der Restitute ist groß, erzählt Dieter Schoof, Referent im Landesamt für offene Vermögensfragen in Halle: "Hatten auch einen Blauwalkieferknochen zurückübertragen. Der ist sechs Meter lang, der viele Jahre an ein Schloss angelehnt stand und jetzt in das Eigentum des Antragsstellers rückübertragen wurde. Wir haben viele Gemälde, der Hauptteil unserer Restitute waren jedoch Bücher. "
Bis jetzt durften Museen und öffentliche Sammlungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die Kunstwerke, die man den eigentlichen Besitzern im Rahmen der Bodenreform weg genommen hatte, ohne Gegenleistung zeigen. "Kostenloses Nießbrauchrecht" nennt sich dieses juristische Konstrukt. Eine auf 20 Jahre angelegte Regelung, die 1994 im Rahmen des "Entschädigungs- und Ausgleichleistungsgesetzes" beschlossen wurde und das dieser Tage endet.
Die meisten Museen haben sich rechtzeitig gekümmert
Hinter dieser Regelung verbirgt sich der Gedanke, dass mobiles Eigentum, das zwischen 1945 und 1949 enteignet wurde, zurück zu übertragen ist. Letztlich ist es als eine Entschädigung des Gesetzgebers zu verstehen, damit die Betroffenen, die durch die Bodenreform alles verloren haben, zumindest etwas von ihrem Eigentum zurück bekommen. Eine von ihnen ist Astrid von Friesen. Ihre Familie lebte 800 Jahre in Sachsen. 1945 wurden sie enteignet: "Meine Familie ist mit dem Pferdewagen geflohen. Da konnte man keine Kunstgegenstände mitnehmen! Also da gibt es auch einen sehr schmerzhaften emotionalen Verlust."
Die meisten Museen haben sich rechtzeitig gekümmert und sind zu gütlichen Einigungen gekommen, was mit den Kunstwerken zu geschehen habe, so Kultusminister Dorgerloh. Und er sagt, dass sich Sachsen-Anhalt, im Vergleich zu den Nachbarländern Thüringen und Sachsen, schon sehr früh sehr akribisch auf die Suche nach der Provenienz, den rechtmäßigen Besitzern gemacht habe. Ein spektakulärer Fall war die Rückgabe der drei Königszimmer im Schloss Wernigerode an das Fürstenhaus zu Stolberg-Wernigerode: "Die können jetzt für weitere 20 Jahre gezeigt werden. Da hat man sich auf ein entgeltliches Nießbrauchrecht geeinigt."
Im Fokus waren neben Museen und Sammlungen insbesondere die Bibliotheken. Man habe, erzählt Dieter Schoof vom Hallenser Landesamt für offene Vermögensfragen, beispielsweise in der Anhaltischen Landesbücherei Dessau oder der Universitäts- und Landesbibliothek Halle jedes Buch in die Hand genommen und geschaut, ob es irgendeinen Hinweis auf Fremdbesitz gab.
"Wir haben zur Zeit noch einen offenen Bestand von noch nicht beschiedenen Vermögenswerten von 18.103. Wobei diese Zahlen durchaus variieren können, also noch größer werden können, weil zum Beispiel ein Schlossinventar beantragt wurde, und weil sich hinter diesem Inventar eine Vielzahl von Vermögenswerten verbergen können."
Diffizile Regelungen mit einzelnen Familien
Mit dem Ende des sogenannten kostenlosen Nießbrauchs, nach der die Kunstgüter die letzten 20 Jahre unentgeltlich genutzt und gezeigt werden durften, müssen die Kunstwerke nun den eigentlichen Besitzern - falls gewünscht - ab dem 1. Dezember ausgehändigt werden.
Der bei den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden arbeitende Provenienzforscher Gilbert Lupfer spricht von ungeklärten Fällen im fünfstelligen Bereich. Jurist Dieter Schoof fügt hinzu, dass das Ende dieses kostenlosen Nießbrauchs für die Museen nun auch sein Gutes hat: "Es ist auch für die Museen unterm Strich mal gut, wenn sie wissen: 'Okay, wir haben Klarheit. Das, was wir haben, gehört uns. Und das, was irgendwann mal zu uns gekommen ist, das geht dann zurück.' Und das ist dann auch gut so.“
Doch ob es nun allerdings dazu komme, dass kommenden Montag Lastwagen vor den Museen Ostdeutschlands stehen, weil Alt-Besitzer ihre Kunstwerke mitnehmen möchten, das weiß derzeit keiner. Denn es gibt ausgesprochen komplizierte Fälle, wie das des Hauses Reuß in Thüringen oder der von Bismarcks in Sachsen-Anhalt. Hier werde eine Art Geheimdiplomatie betrieben, betont der Magdeburger SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh. Denn die Verhandlungen zwischen Land und Besitzern seien immer wieder äußerst diffizil.
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