Späte Rehabilitierung

Von Detlef Grumbach · 07.04.2005
In den Vernichtungslagern der Nazis kamen nicht nur Juden, Kommunisten sowie Sinti und Roma um, sondern auch Homosexuelle. Mit der Verschärfung des Paragrafen 175 wurde der Denunziation Tür und Tor geöffnet.
Richard Plant: " Der alte Herr, den ich noch erwischt habe, der hat mich so ein bisschen ins schwule Leben eingeführt, wie ich 18 Jahre alt war. Das war fast 20 Jahre her. Mit Mühe habe ich ihn dazu gekriegt, dass er über das Lager geredet hat. Und der hat dann erzählt von anderen Leuten, die wir kannten. Die meisten sind umgekommen. "

1933, mit damals 23 Jahren, hatte Richard Plant seine Heimat Frankfurt am Main verlassen, war erst in die Schweiz und später nach New York emigriert. Als Homosexueller und politisch links stehender Jude gab es für ihn in Deutschland keine Zukunft. Erst in den 50er Jahren kehrte Plant besuchsweise nach Deutschland zurück – der 1910 geborene Historiker wollte wissen, was aus seinen Freunden geworden war.

Richard Plant: "Und dann habe ich ja schon angefangen, versucht, Überlebende aus dem Lager zu kriegen und die zum Reden zu kriegen. Aber das ist schwer. Sie wollten nicht über das Lager reden. Denn Sie wissen, bis 1969 war ja noch alles strafbar."

Begonnen hatte diese Verschlimmerung der gesetzlichen Restriktionen gegen Homosexuelle 1935. Damals wurde der Paragraph § 175 des Strafgesetzbuchs verschärft. Nicht nur homosexuelle Handlungen waren jetzt strafbar, sondern auch schon ein lüsterner Blick. Der Denunziation war so Tür und Tor geöffnet. Etwa 50.000 Männer wurden in der Nazi-Zeit nach § 175 verurteilt. Sie kamen ins Gefängnis und wurden nach Verbüßung ihrer Haftstrafe meist in die Konzentrationslager deportiert. Viele von ihnen überlebten die Lager nicht.

Für jene aber, die das Kriegsende erlebten, bedeutete der 8. Mai 1945 keine vollständige Befreiung. Viele der von den Nazis mitgeprägten Vorurteile gegenüber Homosexuellen blieben bestehen, homosexuelle Handlungen waren weiterhin strafbar und die Nazi-Urteile nach § 175 standen weiterhin im Vorstrafenregister der Verurteilten.
Rüdiger Lautmann, Professor an der Universität Bremen und Nestor der zeitgeschichtlichen Homosexuellenforschung, über die Situation bis in die sechziger Jahre:

"Man hielt eigentlich es für durchaus berechtigt, dass die Nazis sie eingesperrt haben. Die Homosexuellen waren eine unanständige Opfergruppe. Sie wurden auch nach Kriegsende weiterhin bestraft, und zwar nach einem Strafrecht, das die Nazis verschärft hatten."

Eine spürbare Liberalisierung des Homosexuellen-Strafrechts setzte erst gegen Ende der sechziger Jahre ein. Als Opfer des Nationalsozialismus wurden Homosexuelle offiziell und ausdrücklich erst am 8. Mai 1985 erstmals genannt, in einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Erst danach setzte eine breitere Diskussion über Wiedergutmachung und Entschädigung für die Überlebenden ein, und erst 1994 wurde der § 175 aus dem gesamtdeutschen Strafgesetzbuch gestrichen.

Der Wandel des gesellschaftlichen Klimas für Homosexuelle und die Erfolge der Schwulenbewegung kamen für die überlebenden NS-Opfer letztendlich aber zu spät.

Rüdiger Lautmann: "Als in den siebziger und achtziger Jahren die Homosexuellen sich emanzipierten, haben diese Männer, zum Teil auch Frauen, wenig davon gehabt und waren nicht bereit, herauszukommen, Rede und Antwort zu stehen, sich zu offenbaren. Sie hatten ihre Lektion gelernt: dass man sich zurückhalten muss, dass man schweigen muss, dass man sich verstecken muss, dass man heiraten muss. Es ist zu spät für die Tausenden, die als Opfer der Nazis überlebt haben. "

Im Dezember 2000 fasste der Deutsche Bundestag einen Beschluss über die Rehabilitierung der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Zwei Jahre danach trafen die Abgeordneten die Entscheidung über die Errichtung eines zentralen Gedenkortes in Berlin – in unmittelbarer Nähe der Gedenkorte für die jüdischen Opfer und für die verfolgten Roma und Sinti.

Richard Plant und die meisten Überlebenden der KZs sind mittlerweile gestorben. Das sei zwar bitter, so Rüdiger Lautmann, aber die Zeit habe auch erst reif werden müssen dafür, dass der Gedenkort für die homosexuellen NS-Opfer 60 Jahre nach dem Ende des Grauens Gestalt annehmen kann.