Soziologieprofessor: Bologna-Prozess hat zu "Riesenchaos" geführt

Georg Vobruba im Gespräch mit Marcus Pindur · 17.06.2009
"Das ist ein Riesenchaos" - Professor Georg Vobruba vom Institut für Soziologie der Universität Leipzig gibt dem Bologna-Prozess und Bachelorabschlüssen keine gute Note. Stattdessen mahnt er mehr Geld für die Universitäten und eine Reform der Hochschulreform an.
Marcus Pindur: Ein Hauch von '68 weht durch die deutschen Universitäten. Universitäten werden besetzt, Fachhochschulen blockiert, auf studentischen Vollversammlungen wird der Aufstand geprobt. Allerdings nicht gegen das, was die 68er das System nannten, sondern gegen die vielerorts unzumutbaren Studienbedingungen. Dabei sollte eigentlich alles besser werden. Die Studiengänge sollten von altem Ballast entrümpelt, ein schnelleres Studium durch schlankere Studiengänge ermöglicht werden und mit dem Bachelor-Abschlüssen ein berufsqualifizierender Abschluss nach nur drei Jahren. Und der sogenannte Bologna-Prozess, der sollte sicherstellen, dass die europäischen Studiengänge aneinander angeglichen würden. Das hat aber alles in der Praxis offenbar nicht so recht funktioniert. Ich begrüße jetzt Professor Georg Vobruba, er lehrt Soziologie an der Universität Leipzig. Guten Morgen!

Georg Vobruba: Guten Morgen!

Pindur: Die Studenten haben sich ja was ganz Witziges einfallen lassen: Sie wollen heute symbolische Banküberfälle verüben. Fehlt den Universitäten vor allen Dingen schlicht und ergreifend das Geld?

Vobruba: Ja, ganz bestimmt. In allererster Linie fehlt schlicht und ergreifend das Geld, oder man kann auch sagen, wenn vor diesem Reformschub Geld dagewesen wäre, dann hätte es schon einmal für den Reformschub gar keinen Vorwand gegeben, weil dann wären viele Missstände, nicht alle, aber viele Missstände einfach nicht dagewesen.

Pindur: Sie meinen mit dem Reformschub die Einführung von Bachelor-Studiengängen unter anderem. Wenn die Unterfinanzierung der Hochschulen das Hauptproblem ist, wie wird’s denn dann behoben?

Vobruba: Na gar nicht natürlich. Man kann, indem man die gleiche Ausstattung lässt, auch durch eine die Studienreform, das Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Studierenden nicht verändern. Es wird ein bisschen der Versuch gemacht, durch das Kurzstudium, also durch den Bachelor, die Akademikerquote auf einen international herzeigbaren Stand zu heben, aber der Substanz nach ändert sich nicht viel.

Pindur: Ganz pragmatisch, was können die Universitäten denn nach jetzigem Stand tun dagegen?

Vobruba: Die Universitäten können einerseits versuchen, im Moment das Schlimmste, was mit der Umstellung auf Bachelor und Master passiert ist oder noch passiert, rückgängig zu machen beziehungsweise ein wenig sagen wir mal durchzureformieren, also Reformen der Reform zu betreiben, damit einige gute Ansätze, die es ja auch gibt – können wir auch noch gleich drüber reden –, dass die zur Geltung kommen. Das Zweite ist, vehement Geld verlangen, ganz klar.

Pindur: Nun, mit dem Geld ist das so eine Sache. Man hat ja versucht, das teilweise über Studiengebühren zu machen und hat gesagt, okay, diese Studiengebühren fließen dann auch direkt an die Universitäten. Das wird aber auch von vielen Studenten natürlich abgelehnt.

Vobruba: Ja, dazu muss man sagen, Studiengebühren sind eine zweischneidige Angelegenheit. Ich muss Ihnen sagen, ich bin weder ganz dafür noch ganz dagegen. Zum einen, Studiengebühren, die dazu führen, dass einige Gruppen von jungen Leuten nicht nur oder nur unter unverhältnismäßigen Opfern studieren können, sind einfach nichts. Man müsste also mit den Studiengebühren, so wie das in anderen Ländern ist, ein ganz anders ausgebautes Stipendiensystem aufbauen, was den Staat natürlich dann wieder Geld kostet.

Pindur: Die Bachelor-Studiengänge, die haben Sie gerade erwähnt, die stehen besonders in der Kritik, aber die wurden ja mal als Reaktion auf zu lange Studienzeiten und zu viele Studienabbrecher vor allen Dingen eingeführt. Was ist denn so falsch am Bachelor?

Vobruba: Am Bachelor ist nicht alles falsch. Was am Bachelor richtig ist, ist die Idee, dass für gewisse Gruppen von Studierenden oder Studierinteressierten ein kurzes Studium vielleicht ganz gut ist. Aber das ist als Regelstudienabschluss, also als Normalabschluss für die allermeisten ist es sicher nicht geeignet. Im Übrigen …

Pindur: Warum nicht?

Vobruba: Weil es einfach zu kurz ist. In den allermeisten Fächern kann man innerhalb von drei Jahren nicht das vermitteln, was man vermitteln muss, damit man jemanden hinterher Akademikerin oder Akademiker nennen kann.

Pindur: Dann gab es noch den Bologna-Prozess, der sollte die Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen und eben dann auch das europaweite Studieren erleichtern. Ist man dem denn einen Schritt nähergekommen?

Vobruba: Nein, man ist einen Schritt weiter weg gekommen. Die Idee war gut, einen sogenannten europäischen Hochschulraum zu gründen, in dem wechselseitig leichter anerkannt wird, in dem alles mobiler ist. Was man nicht bedacht hat, ist, dass wenn man von den Universitäten gleichzeitig verlangt, originell zu sein, Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, dass dies das Wechseln zwischen Universitäten wieder erschwert, weil man sich als Student an jeder Universität auf was Spezielles einstellen muss. Mittlerweile wissen wir, und es gibt ja jetzt fünf Jahre Erfahrung mit der neuen Studienorganisation, die internationale Mobilität hat abgenommen und die Anerkennung von Zeugnissen wechselseitig ist komplizierter geworden. Es ist ein Riesenchaos.

Pindur: Was brauchen denn jetzt die Hochschulen in erster Linie, mehr Autonomie oder eben mehr Kontrolle von oben?

Vobruba: Für die Kontrolle, herzlichen Dank, die wird ohnehin ausgebaut. Das ist das Einzige, was wirklich expandiert. Die Universitäten brauchen sowohl mehr Autonomie als auch die Hochschulpolitik, wie ich meine, etwas mehr Zentralismus. Man muss nur sehen, wo was richtig angebracht wird.

Pindur: Georg Vobruba - er lehrt Soziologie an der Universität Leipzig zu den Studentenprotesten. Heute soll es an über 60 Hochschulen wieder Proteste geben - unter anderem die angesprochenen symbolischen Banküberfälle.