Sozialkritik mit poetischer Kraft

23.07.2010
Del Masettos Roman birgt politisch harten Stoff, ist aber gleichzeitig unglaublich sanft. In Argentinien, wo der Autor lebt, gilt das Werk als Schlüsselroman zum Thema Migration.
Bekannt wurde Antonio Dal Masetto als Thriller-Autor; Radio Bremen, arte und die Tageszeitung Die Welt setzten ihn auf die Krimi-Weltbestsellerliste. Antonio Dal Masetto, 1938 in Italien am Lago Maggiore geboren, 1950 mit seiner Familie nach Argentinien ausgewandert, hat über ein Dutzend Romane veröffentlicht, fünf auch auf Deutsch, sein letzter, "Als wärs ein fremdes Land", 2010.
"Als wärs ein fremdes Land" allerdings ist kein Krimi, sondern eine Biografie mit zum Teil autobiografischen Elementen, was Schauplatz, Herkunft und Jahr der Auswanderung nach Argentinien betrifft.

Die Hauptfigur ist aber natürlich nicht Masetto, sondern eine fiktive Protagonistin namens Agata, die in Argentinien lebt und die zu ihrem 80. Geburtstag noch einmal in ihr Heimatdorf am Lago Maggiore reisen möchte und das auch tut, eben in jenes Dorf Tardi, in dem auch Masetto vor seiner Auswanderung als Kind gelebt hat. Ihre Kindheit beschreibt Masetto in einem ersten Teil der Lebensgeschichte Agatas, der schon 2008 unter dem Titel "Als wäre alles erst gestern gewesen" auf Deutsch erschienen ist.

Diesmal also kein Thriller à la Quentin Tarantino, wie einmal ein Kritiker einen Krimi von Masetto beschrieb, sondern als Hauptfigur eine 80-jährige Dame, die ihr Heimatdorf besucht.

Miss Marple-Action dürfen wir demgemäß nicht erwarten, die Grundstimmung von "Als wärs ein fremdes Land" bleibt zurückgenommen, strahlt dafür durch Poesie und Zärtlichkeit.

Wie in seinen Krimis, so bietet Masetto aber auch diesmal schnelle abrupte Wechsel, harte Filmschnitte wie bei Tarantino; plötzlich bricht Unvorhersehbares ein in die Idylle, zum Beispiel wird ein schwarzafrikanischer Immigrant von Rechtsradikalen zusammengeschlagen.

Damit sind wir bei der Essenz von Masettos schriftstellerischem Schaffen: Er ist stets ein politischer, ein sozialkritischer Autor. In Argentinien gilt "Als wärs ein fremdes Land" als Schlüsselroman jedweder Migration und wurde mit dem renommierten Literaturpreis Planeta Biblioteca del Sur ausgezeichnet: Politisch harter Stoff und gleichzeitig ein unglaublich sanfter Roman, denn Masetto tippt hier nur an, nur ein paar federleichte Tupfen, und die Szene ist vorbei.

Zärtlich Masettos sparsamer, lakonischer Umgang mit Handlung und Inszenierung als literarischem Stilmittel. So sparsam das Setting, so opulent oft die Sprache, die Metaphern, die liebevolle, demütige Genauigkeit von Beschreibungen wie dem Verlöschen einer Kerze zum Beispiel: "Das Feuer mit seinem Knistern war wie eine Liebkosung unschuldiger Dinge, eine Rückkehr zu den Ursprüngen, unter das weit, weit entfernte Obdach jeder Geburt." "Als wärs ein fremdes Land" ist ein leiser, aber politisch höchst engagierter Roman von poetischer Kraft.

Besprochen von Lutz Bunk

Antonio Dal Masetto: Als wärs ein fremdes Land
Aus dem Spanischen von Susanna Mende
Rotpunktverlag, Zürich 2010
293 Seiten, 21,50 Euro