Sozialhilfe unter Kontrolle

18.07.2011
Die slowakische Regierung plant die Einführung von Geldkarten, auf die sämtliche staatliche Transferleistungen gezahlt werden. Ein Tageslimit soll verhindern, dass in manchen Familien schon am Anfang des Monats das Budget aufgebraucht ist. Kritik kommt von Menschenrechtsorganisationen.
Für das Sozialministerium ist der Fall klar: Wenn in wenigen Wochen die Pilotphase startet, werde damit endlich ein Problem gelöst, das schon seit Jahren bestehe, sagt Sprecherin Slavomira Selesova:

"Der Grundgedanke ist: Wenn wir Sozialhilfe gewähren, ist das Geld des Staates. Deshalb hat der Staat natürlich auch ein Recht darauf, die Verwendung des Geldes zu kontrollieren - ob es also wirklich zu dem Zweck eingesetzt wird, zu dem es gedacht ist."

Der Missbrauch von Sozialhilfe ist in der Slowakei ein häufig diskutiertes Problem. So wird oft kritisiert, dass beispielsweise das Kindergeld bei manchen Familien nicht den Kindern zu Gute komme, sondern beispielsweise für Zigaretten und Alkohol ausgegeben werde. Die Lösung soll jetzt eine spezielle Karte sein, auf die sämtliche Sozialleistungen gebucht werden. Wer wofür Geld ausgibt, soll dadurch für den Staat ersichtlich werden. Slavomira Selesova vom Sozialministerium:

"Das System ist so aufgebaut, dass die Sozialarbeiter sehen können, was die Empfänger mit ihren Karten machen. Wenn sie also in Einzelfällen verdächtige Einkäufe oder verdächtige Geldabhebungen sehen, können sie da eingreifen."

Diese Eingriffe sollen sogar so weit reichen, dass manche Familien ein Tageslimit für ihre Karte bekommen. Die Regierung bezweckt damit eine Art Nachhilfe im Umgang mit Geld:

"In vielen Fällen bekommen sie heute das Geld und morgen ist nichts mehr davon übrig. So sollen sie lernen, besser mit ihren Mitteln zu wirtschaften."

Kritik an dem geplanten System kommt vor allem von Bürgerrechtlern. Sie glauben, dass die Regierung mit der Karte gezielt die Roma-Minderheit diskriminieren könnte. Mehr als die Hälfte der Roma leben von Transferleistungen, sie wären von der speziellen Karte für Sozialhilfeempfänger besonders betroffen. Für diese Theorie spricht, dass die Pilotphase in fünf Städten startet - und in allen gibt es eine starke Roma-Minderheit. Die Hilfsorganisation "Menschen in Not" warnt vor dem geplanten System. Vorsitzende Mirka Hapalova klagt vor allem über mangelnde Transparenz:

"Wir bewegen uns in großer Unsicherheit. Nicht einmal die wesentlichen Eckpunkte sind geklärt: Wie sieht das System genau aus? Wer trägt die Kosten? Wo stehen die Automaten zum Bezahlen und Geldabheben? Wie viele Karten gibt es pro Familie? Das sind jede Menge ungeklärter Punkte."

Tatsächlich übt sich das zuständige Ministerium in Geheimniskrämerei. Wenige Wochen vor dem Projektstart sind noch nicht einmal die Eckpunkte des neuen Konzepts bekannt. Kritiker gehen davon aus, dass die Verschleierungstaktik absichtlich gewählt ist - denn was niemand weiß, könne schließlich nicht öffentlich diskutiert werden. Eine breite Debatte über die Sozialhilfe werde so im Keim erstickt. Bürgerrechtlerin Mirka Hapalova:

"Wir fürchten, dass die Vorteile die Nachteile nicht aufwiegen. Vor der Pilotphase sollte es eine Studie über die Folgen geben, und man bräuchte einen Warenkorb, in dem steht, was die Sozialhilfe-Empfänger tatsächlich brauchen. Das sind etliche Schritte, die uns fehlen."

Dass im bestehenden Sozialhilfe-System nicht alles optimal läuft, räumen selbst die Bürgerrechtler ein. Tatsächlich gebe es häufige Probleme, beispielsweise die illegale Wucherei. In vielen armen Vierteln verleihen Geschäftemacher Geld an Familien, die ihre Sozialhilfe in den ersten Tagen ausgegeben haben - und fordern dann bis zu 100 Prozent Zinsen im Monat. Wenn die Regierung daran etwas ändern wolle, sei das prinzipiell nur zu begrüßen, sagt Mirka Hapalova.

"Um die Ziele zu erreichen, gibt es aber bessere Mittel. Wenn man die Leute zum Beispiel lehren will, mit Geld umzugehen, sollte man lieber die Sozialarbeiter verstärken, die das praktisch mit den Leuten üben und sie das lehren."

Die neuen Sozialhilfe-Karten allein könnten keine Wunder bewirken, meint sie - und vor allem könnten sie nicht eine gründliche Sozialarbeit ersetzen.
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