Sozialethiker Gerhard Kruip

"Der Papst allein kann diesen Filz nicht zerschlagen"

Papst Franziskus wird bei seiner Fahrt durch die Straßen von Mexiko-Stadt von tausenden Menschen umringt und bejubelt.
Papst Franziskus wird bei seiner Fahrt durch die Straßen von Mexiko-Stadt von tausenden Menschen umringt und bejubelt. © AFP / Mario Vazquez
Moderation: Anne Francoise Weber · 14.02.2016
Bei seiner Mexiko-Reise wird Papst Franziskus auch nach Chiapas reisen. Das Gebiet habe einen hohen Symbolwert für die katholische Kirche, die auch unter den indigenen Völkern präsent sein wolle, sagt der Mainzer Anthropologe und Sozialethiker Gerhard Kruip.
Anne Françoise Weber: Papst Franziskus ist zurzeit in Mexiko. Und er hat schon davor angekündigt, dass er Orte besuchen will, an denen noch kein Papst war. Gestern und heute ist er noch in Mexiko City und Umgebung unterwegs, aber am morgigen Montag wird er eine Region ganz im Süden des Landes aufsuchen, die lange vernachlässigt wurde und erst durch einen Aufstand in den 90ern in das internationale Bewusstsein rückte: Chiapas.
Der Bundesstaat ist von besonderer Armut geprägt, aber auch von einer großen ethnischen Mischung: Hier ist der Anteil der Indigenas, der indianischen Ureinwohner, besonders groß, und mit rund 58 Prozent ist der Anteil der Katholiken der geringste im Land.
Warum sucht Papst Franziskus gerade diese Region auf? Darüber habe ich vor der Sendung mit Gerhard Kruip gesprochen. Er ist Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik an der Universität Mainz und hat ausgiebig zu Mexiko und zur mexikanischen Kirche geforscht. Zunächst habe ich Gerhard Kruip gefragt, ob es Papst Franziskus wohl darum geht, angesichts des steigenden Zulaufs der evangelischen Freikirchen in Chiapas mehr Menschen zur katholischen Kirche zu bringen?

Liturgische Texte in den Sprachen der indigenen Völker

Gerhard Kruip: Ich glaube, dass das nicht das primäre Anliegen des Papstes ist. Er ist ja auch sehr offen den protestantischen Kirchen gegenüber, setzt sich sehr für die Ökumene ein und wir da, glaube ich, nicht in erster Linie in Kategorien der Konkurrenz mit den Protestanten denken. Ich glaube, es geht ihm wirklich darum, dass die Kirche zeigen muss, dass sie nah bei den Menschen ist, insbesondere nah bei denen, die in Not sind, die arm sind, die besondere Probleme haben. Und Chiapas ist eben einfach die Region in Mexiko mit den größten sozialen Problemen.
Hinzu kommt dann noch die kulturelle Problematik. Die katholische Kirche hat ja immer versucht auch, sich zu inkulturieren. Das war in Chiapas auch unter dem Bischof Don Samuel Ruiz ein wichtiges Thema und ich glaube auch, dass er da einen Akzent setzen möchte. Die katholische Kirche ist nur dann katholisch, wenn sie auch wirklich in den Kulturen der indigenen Völker in Lateinamerika präsent ist.
Weber: Er soll ja auch bei der Messe in San Cristóbal eine aztekische Sprache zur kirchlichen Liturgiesprache erheben. Dazu wurde also die Messfeier bereits übersetzt und da wird ein Dokument übergeben. Und eine Bibelübersetzung und ein Gesangbuch sollen folgen.
Ist das jetzt ein symbolischer Akt, eben: Wir gehen auf euch zu? Oder ist es tatsächlich so, dass für manche Menschen sich da erst etwas öffnen wird, was für sie vorher völlig unverständlich war, weil sie eben des Spanischen überhaupt nicht mächtig sind?
Kruip: Also, das ist richtig, dass dort liturgische Bücher in Nahuatl übergeben werden, offiziell gemacht werden. Das hat einen gewissen Schönheitsfehler, weil in San Cristóbal de las Casas gar nicht Nahuatl gesprochen wird, sondern die indigenen Sprachen sind dort ganz andere, nämlich Maya-Sprachen, keine aztekischen Sprachen. Trotzdem hat es einen hohen Symbolwert, dass die katholische Kirche eben dadurch deutlich macht: Wir wollen auch unter den indigenen Völkern präsent sein, wollen deren Sprache sprechen, wollen unsere liturgischen Texte für diese Sprachen zugänglich machen.
Weber: Und der Schönheitsfehler erklärt sich dadurch, dass in die Maya-Sprachen das alles schon übersetzt ist, oder? Denn also, Teile der Messe sollen ja auch in den Maya-Sprachen gefeiert werden!
Kruip: Ja, da gibt es schon Übersetzungen. Ich weiß jetzt gar nicht genau, wie sehr die schon offiziell sind, ob sie von Rom approbiert sind oder nicht, da kenne ich mich leider zu wenig aus. Aber es ist sicherlich so, dass auch in den indianischen Gemeinden dort die Muttersprache gesprochen wird und auch die Gottesdienste oder andere liturgische Feiern in der entsprechenden Sprache gefeiert werden.
Entscheidend sind aber eigentlich gar nicht so sehr die Fragen der Sprache, sondern andere Dinge. Zum Beispiel ist es in diesen indianischen Völkern so, dass ledige Männer eigentlich kaum Ansehen genießen, was dann natürlich ein Problem ist für unverheiratete Priester. Deshalb hat ja Samuel Ruiz damals sehr viele verheiratete Indigene zu Diakonen geweiht, um eben einen autochthonen Klerus auch aufzubauen, was dann zu Konflikten mit Rom geführt hat. Und ich denke, das ist wahrscheinlich der wichtigere Akzent, dass eben auch nicht nur in Fragen der Sprache, sondern auch in sonstigen Regelungen des kirchlichen Lebens, zum Beispiel eben Weihe, Diakonat, Priestertum überlegt werden muss, wie man auf die Kulturen der indigenen Völker stärker zugehen kann.
Weber: Genau diesen Bischof, Samuel Ruiz García, den wollen wir uns noch mal ein bisschen genauer angucken: Er war fast 40 Jahre Bischof in Chiapas und er stand eben immer auf der Seite der Indigenen. Sie haben es gesagt, wichtig war eben diese Weihe vieler verheirateter Männer zu ständigen Diakonen, sodass es irgendwann auch mehr Diakone als Priester gab, was dann wohl dem Vatikan nicht so gefallen hat. Und nach seiner Emeritierung wurde also diese Praxis wirklich ausgesetzt, aber dann doch von Papst Franziskus 2014 wieder zugelassen. Jetzt besucht er sogar das Grab von Samuel Ruiz. Ist das eine Rehabilitation eines früher eher in Ungnade gefallenen Bischofs?

Fortführung der Befreiungstheologie in Lateinamerika

Kruip: Ich denke, dass man das nur so interpretieren kann. Samuel Ruiz war ein sehr wichtiger Bischof für Mexiko, gerade auch in der Anfangszeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war er sogar wichtig für ganz Lateinamerika, war Präsident der Abteilung für Missionen der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz, hat da sehr, sehr viel geleistet. Und ich denke, dass der Papst eben deutlich machen will, das Zweite Vatikanische Konzil, seine Umsetzung in Form der Befreiungstheologie in Lateinamerika, sind auch heute noch wichtig und müssen weitergetrieben, weiterverfolgt werden. Insofern kann man da durchaus von einer Rehabilitierung nicht nur von Don Samuel als Person, sondern auch dieses theologischen und pastoralen Ansatzes sprechen.
Weber: Denn dieser theologische und pastorale Ansatz ist nun nicht gerade der der Mehrheit der Bischöfe in Mexiko. Also, der katholischen Kirche wird ja durchaus vorgeworfen, dass sie der Oberschicht und der Regierung sehr nahesteht und sich eben weniger um die Armen und Vernachlässigten kümmert.
Kruip: Das ist leider so. Es gibt natürlich Ausnahmen, einige Bischöfe, die sehr engagiert sind, sowohl pastoral wie auch sozusagen im weiteren Sinne politisch auf der Seite der Armen. Aber gerade in der Zeit des Nuntius Girolamo Prigione wurden vom Vatikan sehr viele Bischöfe ernannt, die eine enge Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Staat gesucht haben, die auch enge Verbindungen zur Oberschicht Mexikos hatten und übrigens auch zu diesem Orden der Legionäre Christi, die sehr, sehr viel Geld …
Weber: Dessen Gründer auch ein Mexikaner war.
Kruip: Ja, der ist auch ein Mexikaner, Marcial Maciel ist der Gründer. Die verfügen über sehr viel Geld, sind allerdings in den letzten Jahren eben dadurch in Verruf geraten, dass Marcial Macel sehr vieler Missbrauchsfälle überführt worden ist und deswegen eben nicht mehr als Ordensgründer die Anerkennung genießt, die er vorher genossen hat. Aber zu Zeiten von Johannes Paul II. und diesem Nuntius Girolamo Prigione wurde also in Mexiko sehr, sehr darauf geachtet, Bischöfe zu berufen, die der Regierung nahestanden, die auch sehr papsttreu waren, wenig kritisch gegenüber der Kirche, wenig kritisch gegenüber dem mexikanischen Staat.
Das hat sich dann erst wieder eigentlich in den letzten Jahren geändert und ich denke, dass der Papst jetzt auch deutliche Akzente setzen will. Es kommt darauf an, dass die Bischöfe auf der Seite ihres Volkes stehen und nicht in erster Linie mit der Regierung zusammenarbeiten. Das hat er auch bei dem Ad-limina-Besuch der mexikanischen Bischöfe im letzten Sommer so formuliert.
Weber: Aber es scheint ja wirklich einen Filz zu geben jedenfalls zwischen Drogenmafia und Regierung und Polizei, und man ist auch nicht ganz sicher, ob nicht Teile der katholischen Kirche da auch drin verstrickt sind. Kann so ein Papstbesuch so etwas aufbrechen? Ist das nicht ein Monstrum, dem er da gegenübersteht?
Kruip: Ja, also, das ist richtig. Es gibt diese Vermutungen und es ist auch ziemlich sicher, dass eben Drogenhändler auch Geld an die Kirche gegeben haben, vielleicht auch um sich von ihren Sünden reinzuwaschen, und dass die katholische Kirche teilweise solche Gelder auch angenommen hat. Darüber weiß man nichts Genaueres. Der Papst kann nicht alleine diesen Filz zerschlagen, aber er kann natürlich einen gewissen Beitrag dazu leisten. Er kann in Mexiko diejenigen Gruppen stärken, die versuchen, diese mafiösen Strukturen zu überwinden, diese Korruption zu bekämpfen. Und davon gibt es durchaus einige, sowohl unter den jüngeren Leuten als auch in den Bereichen, in denen sich Menschen in der Zivilgesellschaft engagieren.
Weber: Ich habe es in der Anmoderation gesagt: Wir hierzulande denken bei Chiapas gleich an die Zapatisten und an den Aufstand in den 90er-Jahren. Das schien ja eine antikapitalistische Bewegung zu sein, die eine Zeit lang zumindest Hoffnung für viele auch anderswo in der Welt war, für viele Unterdrückte. Es ist in den letzten Jahren ziemlich still geworden um die Zapatisten, jedenfalls in den internationalen Medien, es gibt sie aber noch und sie haben sogar einen kleinen Teil der Chiapas in ihrer Selbstregierung oder Autonomie. Wie ist deren Verhältnis denn zur katholischen Kirche?

Zapatisten haben sich in 38 autonomen Gemeinden organisiert

Kruip: Das ist sehr unterschiedlich, da gibt es Leute in den Führungsstrukturen, die der katholischen Kirche sehr nahestehen, die vielleicht sogar früher Katecheten gewesen sind. Vielleicht ist auch der eine oder andere ständige Diakon dabei. Es gibt aber auch andere, die kommen aus ganz anderen Kontexten, eben eher aus einem intellektuell linken Milieu, und haben da nicht so viele Verbindungen zur katholischen Kirche.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Forderung der Zapatisten beim Aufstand von 1994 durchaus gerechtfertigte Forderungen waren, mehr soziale und ökonomische Möglichkeiten für die indigenen Völker, weniger Exklusion, weniger Diskriminierung. Sie wollten auch nicht alle Verhältnisse umstürzen, sondern sie wollten eigentlich vor allen Dingen vor Ort bessere Verhältnisse schaffen. Dass das dann so als globale antikapitalistische Initiative gesehen wurde, hängt auch mit der Projektion zusammen, die eben von vielen anderen Gruppen weltweit auf diese Aufständischen gerichtet worden ist.
Vor allen Dingen geht es ihnen um die Situation vor Ort, um das Wohl der indigenen Völker vor Ort, und tatsächlich gibt es inzwischen so eine Art De-facto-Autonomie in den Gebieten, die von den Zapatisten beherrscht werden. Sie haben sich in 38 autonomen Gemeinden organisiert, den juntas de buen gobierno, und haben eben dann Regionen gebildet, um sich selber zu verwalten.
Ökonomisch geht es ihnen nicht besonders gut, das ist eben auch sehr, sehr schwierig, da eine gute ökonomische Entwicklung in Gang zu setzen. Aber die Situation ist eigentlich im Moment relativ ruhig. Es gibt natürlich eine hohe Militärpräsenz im Chiapas, aber es gibt in letzter Zeit jedenfalls nicht die massiven Übergriffe und die massive Repression, die es noch in den 90er-Jahren gegeben hat.
Weber: Glauben Sie zum Schluss ganz kurz, dass Papst Franziskus sich irgendwie positiv auf die Zapatisten beziehen wird in einer Ansprache?
Kruip: Explizit, glaube ich nicht. Er wird sich positiv beziehen auf Bewegungen und Initiativen, die das Los der indigenen Völker verbessern wollen, dazu gehören natürlich die Zapatisten. Aber ich glaube nicht, dass er sie explizit erwähnen wird. Aber das ist eine Spekulation, das werden wir sehen am Montag!
Weber: Genau, wir werden es sehen am Montag! Herzlichen Dank, Gerhard Kruip, Mexiko-Experte und Professor für christliche Anthropologie und Sozialethik an der Universität Mainz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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