Soziale Spaltung

Wovon Rechtspopulisten profitieren

Farbfoto, ein alter Mann sammelt Flaschen vor einem städtischen Müllbehälter
Armut in Deutschland: Ein Mann sammelt Flaschen. © imago/photo2000
Von Peter Widmann · 23.08.2016
Im Zuge der Globalisierung fühlen sich weite Bevölkerungsschichten als Verlierer, ohne dass diese Erfahrung ernst genommen würde. Wenn man diesen Menschen zuhören würde, hätten es Rechtspopulisten schwerer, meint der Politikwissenschaftler Peter Widmann.
Ein Spalt entzweit viele Gesellschaften Europas. Die Einen fordern den Nationalstaat der Vergangenheit zurück, mit seinen Grenzen, seiner Souveränität und einer dominanten Nationalkultur. Die Anderen glauben, dass man die Herausforderungen der Globalisierung in einem integrierten Europa und in offenen, vielfältigen Gesellschaften angehen muss.

Die Rechtspopulisten haben diesen Spalt nicht geschaffen. Aber sie profitieren von ihm und versuchen ihn zu vertiefen. Ihre Reden und Programme leben von der Abwehr: Von der Feindschaft gegen Muslime, Juden, Roma. Sie schüren Angst vor Arbeitsmigranten und Flüchtlingen, sie hegen Misstrauen gegen die Eliten der repräsentativen Demokratie und sprechen von Untergangsszenarien und Verschwörungstheorien.

Angst von Entgrenzung

Wem etwas an der pluralistischen Gesellschaft liegt, muss diesen Feindbildern, den Verzerrungen und der Verrohung öffentlicher Kommunikation entschieden entgegentreten. Das aber wird nicht reichen. Denn es gibt einen realen Konflikt der Werte und Interessen, entstanden in den Globalisierungsprozessen der vergangenen Jahrzehnte.
Die politischen Eliten Europas reagierten auf die große Entgrenzung der Welt mit der kleinen Entgrenzung in der Europäischen Union. Der gemeinsame Markt, der Fall der Schlagbäume und die gemeinsame Währung ließen die nationale Welt verblassen, die bis in die siebziger Jahre für viele Menschen die Wirklichkeit ordnete. Das wiederum spaltete europäische Gesellschaften in Befürworter und Gegner der Entgrenzung.

Wandlungsprozesse schaffen Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern der Entgrenzung gehören viele derer, die eine gute Ausbildung haben, sich in fremden Sprachen verständigen können, die Jungen, Weltgewandten und Mobilen.

Verlust der Statushierarchie

Als Verlierer fühlen sich viele derjenigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt mit einfacheren Qualifikationen durchschlagen, die sich nur in ihrer Muttersprache verständigen können, die Älteren, die durch Krankheit oder Lebensumstände an eine Region gebunden sind. Dazu kommen Teile der Mittelschichten, die nicht zu den Armen und Marginalisierten gehören, aber fürchten, in der gesellschaftlichen Statushierarchie abzusteigen oder glauben, nicht das erreicht zu haben, was sie eigentlich verdienten.

Aus dieser Wahrnehmung heraus werden solche Parteien und Bewegungen anziehend, die eine Rückkehr in die Geborgenheit der nationalen Welt versprechen.

Lebenserfahrungen wahrnehmen

Gerade deswegen müsste man den Rechtspopulisten mehr entgegensetzen als bisher. Die Politik muss dazu zunächst wahrnehmen, dass dieser real gewordene Konflikt, dieser soziale Spalt, existiert. Denn, wer den Politikern der etablierten Parteien in den vergangenen Jahren zugehört hat – national und europaweit - konnte den Eindruck gewinnen, die europäische Einigung, der gemeinsame Markt, der globale Wettbewerb und eine vielfältiger werdende Gesellschaft brächten für alle nur Vorteile. Diese Erfolgsgeschichte geht an vielen Menschen vorbei: Sie widerspricht der Lebenserfahrung eines Teils der europäischen Bevölkerungen.

Manches wäre gewonnen, würden Erfahrungen des Verlusts deutlicher zur Sprache kommen: Dass man vor Jahren leichter auch dann eine Familie ernähren konnte, wenn man nicht zu den hoch qualifizierten, kompetitiven und mobilen Erfolgsmenschen gehörte, die sich neoliberale Sozialingenieure erträumen. Dass sich gewohnte, lange gewachsene Bindungen, Orientierungen und Sicherheiten auflösen. Dass sich mancher heute am Rand sieht, der sich vor Jahren noch zugehörig fühlte und in der Lage, etwas zur Gesellschaft beizutragen, in ihr einen Status zu haben.

Die Kunst bestünde darin, Erfahrungen ernst zu nehmen, ohne ihre fremdenfeindliche und nationalistische Deutung zu übernehmen.

Man mag einwenden, dass sich weltweite Dynamiken nicht dadurch ändern, dass man denen genauer zuhört, die sie mit Verbitterung verfolgen. Doch man würde es Rechtspopulisten schwerer machen, sich als einziger Ansprechpartner dieser Bevölkerungsgruppen zu inszenieren.

Peter Widmann, geboren 1968, ist Politikwissenschaftler und koordiniert das Projekt "Marburg International Doctorate" an der Philipps-Universität Marburg. Er hat an der Technischen Universität Berlin über die Integrationspolitik deutscher Kommunen promoviert und war Mitarbeiter am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung. Vor 2010 bis 2015 lehrte und forschte er als DAAD-Lektor am Europa-Institut der Istanbul Bilgi University.

Der Politikwissenschaftler Peter Widmann
© Foto: privat
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