Sowjetische Soldaten in Ostdeutschland

"Eine fast sentimentalische Beziehung"

Sowjet-russische Soldaten bei ihrer Exerzierausbildung, Elstal, Juni 1990
Sowjetische Soldaten winken - sie sind in der DDR stationiert © Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst / Wladimir Borissow
Moderation: Nana Brink · 09.09.2014
Mit rund 500.000 Soldaten stellte die Sowjet-Armee das größte Truppenkontingent dar, das jemals über so lange Zeit von einer Besatzungsmacht im Ausland unterhalten wurde. Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel erkennt in dem Blick der Deutschen auf Russland bis heute Spuren dieser 40 Jahre.
Nana Brink: Überall wird an den 1. September 1994 als den Tag des Truppenabzugs der russischen Armee erinnert. Wir sind jetzt mal ganz genau, der letzte russische Soldat verließ am 9. September – also heute vor 20 Jahren – Deutschland, es war General Anton Terentjew, Stabschef der Westgruppe der Truppen, kurzum populär WGT genannt. Nach dem offiziellen Verabschiedungsfestakt mit Boris Jelzin und Helmut Kohl im Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt hat General Terentjew noch die Lichter ausgemacht in den Kasernen, in denen waren ja bis zu einer halben Million russischer Soldaten in der DDR stationiert. 40 Jahre gehörten sie dort zum Alltag, zwar weggesperrt, aber präsent, ob mit ihren Truppenübungen, die schon mal über die Felder hinwegfegten, oder den deutsch-sowjetischen Freundschaftstreffen, den staatlich verordneten, aber manchmal sicher auch den echten.
Nein, es ist und war kein einfaches Verhältnis zwischen Deutschen und Russen, auch nicht in den letzten 20 Jahren. Und darüber wollen wir jetzt sprechen! Bei mir im Studio ist Professor Karl Schlögel, Osteuropahistoriker, seit Jahrzehnten verfolgt er die Entwicklung in den Staaten Osteuropas, war vor kurzem in der Ukraine. Schönen guten Morgen, Herr Schlögel!
Karl Schlögel: Guten Morgen!
Brink: Nun kann man ja sagen, die Erfahrungen mit Russland in Ost und West waren sehr unterschiedlich. Wie hallt das bis heute nach?
Schlögel: Ich glaube, dass 40 Jahre oder 50 Jahre sehr prägend gewesen sind. Die Westdeutschen hatten in der Regel ja nichts zu tun mit der sowjetischen Erfahrung und den sowjetischen Truppen. Man hat sie auf den Interzonenautobahnen, wenn man nach Westberlin fuhr, vielleicht gesehen in Form von Sichtkontakt, aber es gab keine vergleichbare Erfahrung.
Im Westen hatte man die GIs oder die französischen Truppen. Und in Ostdeutschland, glaube ich, hat sich doch über diese langen Jahre eine Beziehung aufgebaut. Da gab es diese offizielle Freundschaftserklärung, Völkerfreundschaft, dann gab es aber in den Hunderten von Orten, in den Garnisonsstädten, gab es natürlich so etwas wie eine Kohabitation, ein Zusammenleben, wo man sich gesehen hat.
Und ich glaube, dass das Hauptgefühl eigentlich der ostdeutschen Bevölkerung war, dass sie mit diesen Soldaten ein gewisses Mitgefühl hatten. Nämlich obwohl sie Besatzungstruppen waren, kamen sie doch in ein Land, das, was die zivilisatorischen Standards, den Wohlstand, den Lebensstandard anging, besser gestellt war.
Und sie konnten auch sehen, dass es eine scharfe Differenz gab zwischen den Offiziersfamilien, die in einer privilegierten Position waren, und den gewöhnlichen Soldaten. Und ich weiß nur aus Orten, wo ich länger war, wie Frankfurt/Oder, dass bis heute, wenn man in Russland ist – ich habe dort Soldaten getroffen, die in Deutschland stationiert waren –, sie hatten eigentlich eine Beziehung der Achtung und Bewunderung und eigentlich gute Erinnerungen an ihren Aufenthalt in Deutschland.
Ambivalente Beziehung zur Sowjetunion
Brink: Und prägt das jetzt dieses Bild noch? Also, bestimmt das auch unsere Politik gegenüber Russland? Gerade auch, wenn man sich die Bundeskanzlerin anguckt, die ja auch dort aufgewachsen ist!
Schlögel: Ja, aber das war, glaube ich, nicht so sehr die Beziehung in der DDR selbst, sondern Frau Merkel hat ja in Kiew studiert und es waren Zehntausende, die aus der DDR in die Sowjetunion gegangen sind und dort studiert haben, die jahrelang, vielleicht sogar jahrzehntelang als Ingenieure, Fachleute gearbeitet haben. Und das erzeugt eine ganz andere, wie soll ich sagen, Vertrautheit, Intimität, wo die wenigen Westdeutschen eigentlich gar nicht mitreden konnten. Das ist sehr ambivalent.
Es gibt jetzt so eine fast sentimentalische Beziehung dazu, die auch verständlich ist, aber es gibt eben auch eine andere Erfahrung, nämlich dass es halt ein Besatzungsregime gewesen ist. Und dieses zusammenzubringen, wie soll ich sagen, die Dankbarkeit gegenüber einer Armee, die Hitler niedergeworfen hat, und einer Armee, die eben 1953 in den ostdeutschen Städten Panzer eingesetzt hat, das zusammenzubringen, ist sehr schwierig. Und das hat sich im Übrigen auch bei der Verabschiedung der sowjetischen Truppen niedergeschlagen. Wie Sie wissen, gab es ja keine gemeinsame Verabschiedungsparade, was ich eigentlich unglücklich fand.
Brink: Aber behindert das immer noch unseren Blick auf Russland? Also, Sie sagten, diese Ambivalenz zwischen Dankbarkeit einerseits und zwischen kritischer Beobachtung andererseits, also gerade auch einer, sagen wir, aggressiven Politik Putins jetzt?
Kein Comeback des Kalten Krieges
Schlögel: Ich glaube, dass diese Haltung angemessen war in diesen Umbruchzeiten nach 1989 beziehungsweise 1991. Wir haben es jetzt mit einer ganz neuen Situation zu tun, auf die niemand gefasst war. Ich glaube, nicht einmal in Russland. Und warum das so ist, warum es dieses aggressive Comeback gibt, darüber sind sich die Analysten ja auch nicht im Klaren.
Ich glaube, es fängt jetzt etwas anderes an, das hat nichts mit Kaltem Krieg zu tun oder einer Wiederaufnahme des Kalten Krieges, sondern die Verhältnisse in der Welt insgesamt haben sich so verändert. Es gibt keine dominierende Hegemonialmacht mehr, es gibt keine Symmetrie der militärischen Bedrohung mehr, es wird möglich, dass wieder kleine, lokale Kriege geführt werden, auch in Europa. Und das ist jetzt eingetreten.
Brink: Aber müssen wir unseren Ton dann gegenüber Russland verschärfen? Oder, neutraler formuliert: in eine andere Richtung lenken, als wir das in den letzten Jahren getan haben?
Schlögel: Ja, ich glaube, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass etwas passiert ist. Nämlich dass ein europäischer Staat einen anderen europäischen Staat angegriffen hat. Und dieses muss man zuerst mal beim Namen nennen und man muss die Konsequenzen daraus ziehen. Und ich denke, die Konsequenz ist, dass man dem bedrohten und angegriffenen Staat beisteht, das ist eine ganz elementare Sache. In welcher Form das geschieht – kulturell, diplomatisch, ökonomisch, vielleicht sogar im militärischen Bereich –, das ist eine andere Frage.
Aber zunächst geht es darum festzuhalten, dass eine Aggression stattgefunden hat und nicht irgendetwas. Man kann noch unterscheiden zwischen einer faktischen Aggression und Propaganda. Und es ist eben so gekommen, es gibt eine Aggression und man muss Schlüsse daraus ziehen.
Brink: Professor Karl Schlögel, Osteuropahistoriker. Schönen Dank für den Besuch hier in "Studio 9"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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