"Sound of the Cities": Austin

Die Musikliebe der freakigen Texaner

Fans bei einem Konzert auf dem South by Southwest in Austin
Das South by Southwest hat Austin als Kulturmetropole international bekannt gemacht. © imago/ZUMA Press
Von Philipp Krohn · 22.09.2015
Indie-Stars wie Spoon und Trail of Dead haben in Austin/Texas ihre ersten Konzerte gespielt. Die musikalische Bandbreite der Stadt reicht von Indiefolk über Jazzpop bis hin zu Postrock, zu hören in den Hunderten von Liveclubs der Stadt.
Am Flughafen von Austin stehen sechs überdimensionierte E-Gitarren. Sofort wird der Besucher mit dem Motto der Stadt konfrontiert: Keep Austin weird! Sorg dafür, dass Austin schräg bleibt. Es scheint dieser Aufforderung nicht zu bedürfen. Die texanische Stadt zieht alle Texaner an, die sich als Freaks verstehen.
Indie-Stars wie Trail of Dead oder Spoon haben hier ihre ersten Live-Erfahrungen gesammelt. Austin hat sich selbst zur Live-Musik-Hauptstadt der Welt ernannt. Reichlich selbstbewusst zwar, aber wenn man die Stadt besucht, scheint es nicht übertrieben. Club reiht sich an Club und nebenan ist noch eine Open-Air-Bühne.
"Man kann hier an so viele unterschiedliche Orte gehen. Unsere Clubs: Jeden Abend kann man hier in 20 bis 25 verschiedene in Austin gehen. Und da läuft jede Art von Musik: Country, Blues, Zydeco, Jazz und dann auch Folkkonzerte."
Martin Coulter lebt seit 35 Jahren in Austin und arbeitet im Plattenladen Waterloo Records. Er verfolgt intensiv, was sich auf den Bühnen entlang der Sixth Street im Zentrum oder in der South Congress Avenue abspielt.
Austin hat eine reiche Musiktradition. Hier haben sich in den 60er-Jahren die Thirteenth Floor Elevators um den schizophrenen Gitarristen Roky Erickson gegründet. Schon er war äußerst weird. Heute gilt er als einer der Pioniere des Psychedelic Rock. Janis Joplin studierte hier zeitweise und trat auf den Bühnen der Stadt auf.
Countrymusiker wie Townes van Zandt oder Willie Nelson haben sich hier niedergelassen – wohl auch weil Austin offener für unkommerzielle Varianten des Genres ist als die Country-Hochburg Nashville.
Zwei Jahrzehnte später wird ein weiterer schizophrener Musiker zum Helden: Daniel Johnston, der seine selbst aufgenommenen Kassetten vor einem Plattenladen in Downtown verkauft und durch seinen Fan Kurt Cobain über die Stadt hinaus bekannt wird. Weirdes Austin.
"Austin ist einfach sehr true"
Doch die eigentliche Ikone von Austin hatte sich einem Genre verschrieben, das in den 80er-Jahren ziemlich altbacken klingt: dem Blues. Wir besuchen die Stevie-Ray-Vaughan-Statue am Südufer des Colorado. Der virtuose Gitarrist hat das Genre einer Frischzellenkur unterzogen. 1990 kam er bei einem tragischen Hubschrauber-Absturz ums Leben.
"Er hat viele Leute dazu inspiriert, eine Gitarre in die Hand zu nehmen. Er ist einer der grandiosen Gitarristen, die Gitarre spielen können und sie so klingen zu lassen, als wären sie zwei oder drei gleichzeitig, weil er so versiert war."
Heute ist die stilistische Vielfalt Austins atemberaubend. Indiefolk von Okkervil River. Jazzpop von Iron & Wine. Post Rock von Balmorhea.
"Ich denke, Los Angeles – musikalisch – ist genauso verschieden zu Austin wie die Städte an sich. L.A. ist sehr Plastik und Botox, und Austin ist einfach sehr true, ja authentisch. Ich kenne keine einzige Band, bei der etwas aufgesetzt ist. Die Leute leben, was sie machen."
Jürgen Engler lebt seit zwei Jahrzehnten in Austin. Der Frontmann der deutschen Industrialband Die Krupps hat in der lebendigen Szene des texanischen Underground-Zentrums wiedergefunden, was er nach dem Abflauen des Punkbooms in seiner Heimatstadt Düsseldorf immer vermisst hat: den kreativen Austausch mit höchst unterschiedlichen Künstlern auf engstem Raum.
"Dadurch, dass es da Hunderte von Liveclubs gibt, hast du eine große Konkurrenz, aber auch die Möglichkeit durch ständiges Spielen deine Qualität zu erhöhen. Ich habe noch nie eine Stadt erlebt, wo es mehr Musik gibt tagtäglich. Dadurch hast du so eine hohe Qualität musikalisch."
Austin ist ungeschminkt, roh, lebendig. Wie ihre beste Band Spoon. Auch ihr Erfolg in den gesamten Vereinigten Staaten ist der unterstützenden Haltung der Musikfans in Austin zu verdanken, glaubt Martin Coulter.
"Wenn Musiker nach Austin ziehen, werden sie immer willkommen geheißen, weil die Menschen in Austin immer hungrig nach neuen aufregenden Klängen sind."

Punk wurde im London der Siebzigerjahre geboren, House und Techno haben ihre Wurzeln in Detroit, und der wütende Sound des Grunge stammt aus Seattle: Viele Sounds der populären Musik sind untrennbar mit bestimmten Städten verbunden. Andere Orte haben ebenso ihren Beitrag zur Popmusikgeschichte geleistet, ohne dass sie dafür berühmt wurden: Wie klingt die Musik von Antwerpen, wie das popmusikalische Stockholm, was ist der Sound von Köln? Philipp Krohn und Ole Löding portraitieren in unserer Reihe "Sound Of The Cities" zehn bekannte und weniger bekannte Musik-Städte. Sie lassen Musiker, Plattenhändler, Club-Betreiber und Journalisten Musik-Geschichten und Musik-Geschichte erzählen, auf der Suche nach dem Klang der Städte, von Antwerpen bis Austin, von Glasgow bis Wien.
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