Sound

Mit der Kraft der Röhren

Der amerikanische Gitarrist Jimi Hendrix tritt am letzten Tag (06.09.1970) des dreitägigen Pop-Festival "Love and Peace" auf der Ostseeinsel Fehmarn auf. Es war sein letzter Konzert-Auftritt. Hendrix starb am 18.09.1970 in London im Alter von 27 Jahren.
Hendrix drehte seinen Verstärker so weit auf, sodass die Röhren an ihre Grenzen kamen und das Gitarrensignal verzerrten © picture alliance / Dieter Klar
Von Tim Hannes Schauen · 06.05.2014
Röhrenverstärker, das sind diese großen, meist schwarzen Kisten, die auf einer noch größeren Lautsprecherbox stehen. Wenn man eine elektrische Gitarre andockt, kommt Lärm heraus. Neuerdings gibt es aber auch klein-laute Verstärker, wie sie kürzlich auf der Frankfurter Musikmesse vorgestellt wurden.
Schweiß, Scheinwerfer, Starkult: Zur Pop- und Rockmusik gehört die Elektrogitarre unbedingt dazu. Sie ist die Ikone des Genres.
Jimi Hendrix gilt als der erste ikonografische E-Gitarrist, er entwickelte Spieltechniken – und eine ungeheure Lautstärke. Hendrix drehte seinen 100-Watt starken Marshall-Verstärker weit auf, sodass die Röhren in Vor- und Endstufe an ihre Grenzen kamen und das Gitarrensignal verzerrten. Ergebnis: ein ganz neuer Sound, der bis heute gültig ist: "Verzerrung".
Bei diesem Stichwort juckt es Rockgitarristen in den Fingern und Rockgitarrenfans in den Ohren. Was wäre die Rockmusik ohne den Klang übersteuerter Röhrengitarrenverstärker? Und da Gitarrenverstärker erst mit zunehmender Lautstärke richtig klingen, muss man sie weit aufreißen.
Wie es sich anfühlt, von 50 oder 100 Watt eines Röhrenverstärkers angebrüllt zu werden, ist schwer zu beschreiben – man muss den Schalldruck, der große Mengen Luft auf das Zwerchfell pumpt, erlebt haben.
Damit Gitarrenfreaks auch bei geringeren Lautstärken in den Genuss von verzerrenden Endstufenröhren kommen können, ohne sich Ärger mit den Nachbarn einzuspielen, bauen die Hersteller nun Gitarrenverstärker, deren Endstufen 20 Watt oder weniger leisten.
Stephan Schmitt aus der Nähe von Darmstadt hat sich kürzlich mit solch einem 15-Watt-Gerät verstärkt:
"Der Rücken wird nicht besser im Alter, und wenn ich zur Probe fahre, kann ich den im Prinzip mir wie eine Handtasche umhängen und habe da nicht so viel zu schleppen."
Toastergroß und leicht im Gewicht
Seit über 25 Jahren spielt der 42-jährige Ingenieur Gitarre und andere Instrumente in verschiedenen Bands, einiges an Equipment ist und war in seinem Besitz. Die kompakteren Ausmaße seines etwa toastergroßen VOX-Verstärkers und dessen geringes Gewicht von sieben Kilogramm waren indes nur ein Grund für seine Kaufentscheidung.
"Letztendlich war es eigentlich wirklich der Sound."
Und da muss Stephan Schmitt mit seinem kleinen Verstärker nur in einer Hinsicht Abstriche machen, sagt er:
"Ja gut, er kann das nicht, was ich auch nicht brauche – nämlich ganze Stadien beschallen oder riesengroße Bühnen beschallen – das kann er nicht, das ist heute auch gar nicht mehr so notwendig, weil: selbst wenn ich mal auftrete, dann würde man den Verstärker ohnehin mit einem Mikrofon abnehmen und über die Hauptanlage nach draußen schicken."
Gregor Imbusch leitet die Gitarrenabteilung eines großen Kölner Musikgeschäfts:
"Die kleinen Verstärker mit geringen Röhrenwattleistungen sind stark auf dem Vormarsch - zum einen, weil der Preis natürlich deutlich günstiger ist, als bei den großen Geräten, zum anderen, weil die handlicher sind, wobei das sich eher auf das Volumen bezieht, und weniger auf die Leistung, denn auch 5 oder 10 oder 15 Watt können ganz schön laut werden."
Die Hersteller verfolgen dabei unterschiedliche Konzepte: Einige liefern 15- oder 20-Watt-Geräte, wie die britischen Hersteller Orange, Blackstar oder auch Vox mit dem "Nighttrain". Hier wird die Gesamtlautstärke per "Mastervolume"-Regler eingestellt.
Andere stellen von vorneherein gleich bloß fünf Watt auf die Bühne. Die Firma ENGL aus dem oberbayrischen Tittmoning ist mit kraftstrotzenden Boliden für den stark verzerrten "High Gain"-Klang des harten Rock und Heavy Metal am Weltmarkt vertreten.
Gefährlich fürs Porzellan
Doch auch ENGL hat "kleine" Verstärker im Portfolio: Der "Ironball" hat – wie auch andere Geräte der neuesten Generation - einen Schalter zur Leistungsreduktion an Bord, den sogenannten "Powersoak. 20 Watt sind für die Bandprobe oder den Auftritt in einem kleinen Club mehr als ausreichend, im Wohnzimmer aber gefährlich fürs Porzellan. Per Schalter kann nun die Leistung auf 5 oder sogar ein Watt reduziert werden. Gregor Imbusch:
"Was sie leisten ist, dass der Punkt der Endstufenkompression früher zu erreichen ist, das heißt, die subjektive Lautheit ist nicht unbedingt geringer, in Gegensatz zu einem 50-Watt-Verstärker oder 100-Watt-Verstärker, aber sie gehen eher in die Knie: die Kompression setzt ein, und damit die Endstufenübersteuerung, und die Endstufenübersteuerung in Wechselwirkung mit der Arbeit des Lautsprechers erzeugt erst den eigentlichen Charakter, den man von einem Röhrenverstärker erwartet."
Um die 500 Euro kostet ein 20-Watt-Röhrenverstärker und damit ein Drittel bis die Hälfte der Großen. Interessant für viele Hobby- und semiprofessionelle Gitarristen – wie Stephan Schmitt.
"Für meine Begriffe gibt es eigentlich keine Argumente mehr für einen großen Verstärker. Wir haben einen sehr lauten Schlagzeuger, der nun mal als einziger unverstärkt spielt, die Lautstärke vorgibt, und ich kann mit diesem Verstärker ganz entspannt mit dem Schlagzeuger zusammen spielen und wir hören uns beide."
Profigitarristen jedoch werden weiterhin große Verstärker verwenden. Denn neben dem größeren Geldbeutel kommt es gerade in der Macho-Rockmusikbranche viel aufs Präsentieren an – die Wahl des Verstärkers ist da schon ein Statement, bevor überhaupt eine Note gespielt wurde. Doch ob Profis oder Hobbymusiker: Sie wollen doch bloß alle: spielen. Und da gehört Verzerrung zum guten Ton! Auch zuhause.
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