Das Mara-Gefängnis in El Salvador

Erniedrigt und weggesperrt

09:13 Minuten
Häftlinge hocken in Reihen auf dem Boden
Jeden Tag gehen in El Salvador zehn bis zwölf Tote auf das Konto der Maras - Das Mara-Gefängnis in der Kleinstadt Ciudad Barrios © Anne-Katrin Mellmann, ARD Mexiko
Von Anne-Katrin Mellmann · 14.11.2018
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Mit äußerster Härte geht El Salvador gegen die Maras-Jugendbanden vor, die die Armenviertel des Landes terrorisieren. Wer geschnappt wird, landet zu unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis. Unsere Korrespondentin durfte eines dieser Gefängnisse besuchen.
Die Insassen des Mara-Gefängnisses wirken wie eine Armee: Alle sind kahlgeschoren und tätowiert. Sie sind zwischen 18 und 40 Jahre alt. Aus ganz El Salvador werden sie in das Hochsicherheitsgefängnis der Kleinstadt Ciudad Barrios gebracht. Viele haben mehrfach gemordet. Andere sind wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hier. So stuft das Gesetz die Banden seit 2015 ein.

Strenge Regeln auch im Knast

Die Häftlinge hier gehören zur Mara Salvatrucha, kurz MS. Sie hat strenge Regeln, die auch im Knast gelten: Diszipliniert und schweigend auf dem nackten Boden sitzend präsentieren sich die Sträflinge Mikrophon und Kamera. Reden darf nur ihr palabrero – der Sprecher und Anführer, Carlos Rodríguez, 40 Jahre alt.
"Hier fehlt es an allem: an Medizin, Hygiene-Artikeln, Sportgeräten wie Bällen. Es gibt nichts, um irgendetwas zu lernen, um sich mit Kultur oder Religion zu beschäftigen. Anstatt in diesem monotonen Alltag nur rumzuhängen, könnten wir die Zeit für etwas Produktives und Positives nutzen. Vielleicht würde sich dadurch unsere Mentalität ändern und auch das Bild, das andere von uns haben: dass wir ein hoffnungsloser Fall sind und nicht wert, Geld und Zeit in uns zu investieren."
"Wir könnten die Zeit für etwas Positives nutzen" - Carlos Rodríguez, der Anführer der Mara.
"Wir könnten die Zeit für etwas Positives nutzen" - Carlos Rodríguez, der Anführer der Mara.© Anne-Katrin Mellmann, ARD Mexiko
Carlos sitzt wegen dreifachen Mordes eine Strafe von 81 Jahren ab – aber alt wird im Knast niemand: Die jungen Männer werden gehalten wie Tiere. 3166 Insassen in Zellen, die für maximal 1000 geplant waren. Überbelegung ist ein generelles Problem in lateinamerikanischen Gefängnissen, aber hier verschärfen sogenannte "besondere Maßnahmen" die Haftbedingungen, die seit 2016 für Maras gelten. Besuch dürfen sie nicht empfangen.

Hundert Personen in einer Zelle

Die Mara Salvatrucha ist die größte Bande in El Salvador. Insgesamt zählt das kleine Land mit seinen gerade mal sechs Millionen Einwohnern etwa 65.000 Bandenmitglieder. 2005 waren es noch elftausend. Die MS ist verfeindet mit der Mara Diesyocho. Aus Sicherheitsgründen bleibt jede Bande im Knast unter sich. Nur zwei Mal pro Woche dürfen die Gangmitglieder raus aus dem Gestank ihrer Zelle. Die teilen sich 100 Personen – mit nur einer verstopften Toilette. Zu viert schlafen sie auf einer dünnen Matte, klagt ein Häftling. Viele hätten Tuberkulose-Symptome.
Hinter Gittern - über 3000 Maras in Zellen, die für maximal 1000 geplant waren.
Hinter Gittern - über 3000 Maras in Zellen, die für maximal 1000 geplant waren.© Anne-Katrin Mellmann, ARD Mexiko
Ansteckende Hautkrankheiten grassieren, dazu schwere Magen-Darm-Infektionen durch schmutziges Trinkwasser. Im letzten Jahr starben 36 Häftlinge an Nierenversagen oder Tuberkulose.

"Vor allem fehlt Platz"

Gefängnisdirektor Juan José Montano sagt, er würde die Haftbedingungen verbessern, wenn er könnte:
"Wir haben zu viele Häftlinge und zu wenig Personal, um Kurse oder Programme zur Vorbereitung auf die Freiheit anzubieten. Wenn nicht so viele von ihnen rückfällig würden, wäre auch mehr Platz in den Gefängnissen. Es fehlt uns an Sicherheitskräften, wenn evakuiert werden muss, an Ausstattung der Räume, Betten, Möbel. Viele Reparaturen wären notwendig. Aber vor allem fehlt Platz."
"Es fehlen Programme zur Vorbereitung auf die Freiheit".
"Es fehlen Programme zur Vorbereitung auf die Freiheit".© Anne-Katrin Mellmann, ARD Mexiko
El Salvador ist extrem arm, und für Maras ist nichts übrig. Nach Jahren der erfolglosen Politik der "harten Hand" gilt heute immer noch das Prinzip "Wegsperren". Das Land befinde sich in einem Krieg, meint Kardinal Gregorio Rosa Chávez:
"Leider gibt es heute niemanden, mit dem man verhandeln könnte. Jeden Tag gehen zehn oder zwölf Tote auf das Konto der Jugendbanden. Viele sagen, dass wir diesen Krieg nicht beenden können, auch weil die Maras weite Territorien kontrollieren. Wenn die Regierung ihnen mit noch mehr Repression begegnet, bringen die Gangs mehr Polizisten um. Es gibt kein Gesetz, das den Bandenmitgliedern eine Rückkehr in die Gesellschaft ermöglicht. Wer schützt sie, wenn sie die Gruppe verlassen, wer gibt ihnen eine Chance? Es interessiert sie nicht, irgendwo für 500 Dollar im Monat zu arbeiten, wenn sie mit dem Drogengeschäft oder Erpressungen viel mehr verdienen. Wir müssen sie auffangen, statt sie zu behandeln, als seien sie für immer verloren. Und wir müssen verstehen, dass es für sie die Todesstrafe bedeutet, ihre Bande zu verlassen."

Die Brutalität aus der Geschichte erklären

Einmal Mara, immer Mara. Eine Rückkehroption haben die jungen Männer nicht. Sie sind Schwerverbrecher, terrorisieren die Armenviertel. Und sie machen die Drecksarbeit für mexikanische Drogenkartelle, die die Schmuggelrouten Zentralamerikas kontrollieren. Zugeben will ihr Knast-Sprecher Carlos Rodríguez das nicht. Entstanden sind die Banden zwar in den Auswandergettos von Los Angeles und erst durch Abschiebungen hierher gekommen. Die Brutalität aber erklärt Rodríguez mit der Geschichte El Salvadors und dem Bürgerkrieg, der erst 1992 endete…
"In den 1990er-Jahren, nach dem Ende des Bürgerkriegs, hat sich niemand darum gekümmert, dass wir El Salvadorianer unsere Erlebnisse aus der Kriegszeit aufarbeiten. Viele von uns sind in der Gewalt des Krieges aufgewachsen, haben erlebt, wie sich Soldaten und Guerrilleros gegenseitig umbrachten. Sie waren alle Salvadorianer, standen aber auf zwei unterschiedlichen Seiten. Heute sind es immer noch zwei Seiten, nur die Namen haben sich geändert: Heute kämpft die Mara Salvatrucha gegen die verfeindete Mara 18."

Leben lieber kurz, aber mit Geld

Mit dem Unterschied, dass keine der beiden Maras ein politisches Ziel hat. Viele perspektivlose Kinder der Armenviertel wollen la vida loca – das verrückte Leben: lieber kurz, aber mit Geld, Drogen und Ansehen leben, als unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften und extrem arm bleiben. Carlos Rodríguez erklärt es so:
"Die jungen Leute schließen sich den Maras an, weil der Staat keine Mittel für sie hat. Er gibt nichts für ihre Bildung aus. Es gibt keine Werte. Religion, ja, aber davon kann man sich kein Essen kaufen. Viele sehen in der Bande die Möglichkeit, sich Kleidung und Schuhe zu kaufen, leben zu können. In unserem Land gehen die Kinder lieber arbeiten als zur Schule, um ihre Familien zu unterstützen. Wer sich einer Bande anschließt, kann sein Geld viel leichter verdienen. Denn unsere Banden kontrollieren die Viertel, und wer mitmacht, kann auch mitentscheiden."

Wer nicht mitmachen will, wird umgebracht

Was der Mara-Boss nicht erzählt: Manche werden zwangsrekrutiert. Wer nicht mitmachen will, wird umgebracht. Das ist einer der Gründe für die Migration ganzer Familien nach Norden. Die Maras regieren die Armenviertel, erpressen, rauben, morden und besingen stolz ihre Macht...
"Der Krieg beginnt, die Erde bebt. Willkommen in meinem Viertel, meine Jungs schießen dir direkt ins Gesicht, weil du dich mit uns angelegt hast…."

Auch Verbrecher haben Anspruch auf Menschenrechte

Im Knast von Ciudad Barrios bitten sie Gott um Vergebung für ihre Verbrechen – alle Mitglieder dieser Mara Salvatrucha gehören einer evangelikalen Freikirche an. Ihr selbst organisierter Religionskurs bringt ihnen wenigstens eine zusätzliche Stunde an der frischen Luft im Gefängnishof. Auch wenn sie Verbrechen begangen hätten, müsse man im Gefängnis ihre Menschenrechte achten, fordert Mara-Sprecher Carlos Rodríguez:
"Die Justiz in El Salvador ist wie eine Giftschlange. Sie beißt nur diejenigen, die barfuß laufen müssen – also die Armen. Das ist ungerecht."
So seien er und seine compañeros allesamt zu hart bestraft worden, weil sie arm seien und sich keine guten Anwälte leisten könnten. Armut und extreme Ungleichheit machen die jungen Männer zu Verbrechern. El Salvador hat keinen Plan, wie es den Kreislauf durchbrechen kann.
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