Songtext von Lary

Taktlos im gleichen Rhythmus

Die Sängerin Larissa Sirah Herden, kurz Lary
Die Sängerin Larissa Sirah Herden, kurz Lary, zu Besuch im Funkhaus vom Deutschlandradio Kultur © Torben Waleczek / Deutschlandradio
Von Gesa Ufer · 30.10.2014
Lary ist der neue Liebling der Musikpresse. In ihrem Song "Sturm und Drang" rumpeln zu einem hypnotischen, fast lähmenden Beat die Worte der Sängerin. Gesa Ufer hat sich das Lied vorgeknöpft und interessante Widersprüche entdeckt.
Um Schüler für den klassischen deutschen Literaturkanon zu begeistern, schrecken Pädagogen vor Nichts zurück: Handreichungen für den Deutschunterricht zum Beispiel erklären, wie Goethes Zauberlehrling zum niedlichen Hip-Hop-Track wird – oder Schillers Handschuh zum kreuzbraven Rap. Nett gedacht, aber cool klingt anders. So zum Beispiel:
Instrumental - Sturm und Drang
Ob sich der ehemalige Deutschlehrer von Larissa Sirah Herden aus Gelsenkirchen wohl auf die Schulter klopft, wenn er ihren, Larys, Song "Sturm & Drang" hört?
"Ich kann hier nicht länger bleiben.
Dieser Teppich ist für meinen Kopf zu grau
Will mich von allen Seiten zeigen
Wenn es sein muss meinen Lebenslauf versau'n."
Sturm und Drang – das waren in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts die Twentysomethings, die von Vernunft und Aufklärung die Nase voll hatten, die jungen Herders, Schillers und Goethes, die nicht mehr der Stimme der Vernunft folgen wollten sondern nur noch ihren Herzen...Und im Jahr 2014 heißt Sturm und Drang für Lary nicht nur ein ästhetisches Problem mit dem grauen Teppich zu haben. Auch dem Streben nach stromlinienförmiger Karriere, das der gerade amtierenden Jugend nachgesagt wird, erteilt sie eine Absage.
"Sturm und Drang
Sturm und Drang"
Zu viele düstere Weltprognosen
Allein: Eine Text-Musik-Schere tut sich auf, denn der Beat hat etwas Hypnotisches, fast Lähmendes. Viel zu resignativ im Vergleich zum Überschwang der jungen Wilden von damals. Als hätte da jemand zu viele Kräuterzigaretten inhaliert – oder zu viele düstere Weltprognosen. Die Stürmer und Dränger von heute kennen auch Angst und transzendentale Obdachlosigkeit.
Ausschnitt: Sabrina Setlur, "Du liebst mich einfach nicht."
Erinnert sich noch jemand an Sabrina Setlur? Die mit der S-Klasse und der stets etwas unterbissig-blasierten Attitüde? ´"Du liebst mich einfach nicht"? Lary singt zwar ähnlich notcool, dennoch viel ungeschützter, manchmal geradezu rührend naiv. Gleichzeitig ist sie längst im Zeitalter von facebook, smartphone und youporn angekommen:
"Reden ist silber
Zeigen ist gold
Halt mein Telefon
Ich tanz die Grenzen an
Sturm und Drang
Sturm und Drang"
Die Sängerin Lary freut sich am 07.09.2014 beim New Music Award 2014  der Berlin Music Week im Admiralspalast in Berlin über die Auszeichnung.
Die Sängerin Lary freut sich bei der Berlin Music Week über den New Music Award 2014.© picture-alliance / dpa / Britta Pedersen
Ob das Gegenüber das Telefon halten soll, um das lyrische Ich beim Tanzen zu filmen oder einfach um auf das kostbare Smartphone aufzupassen, bleibt unklar. Neben dem Rausch klingt bei Lary immer auch gleich schon die Ernüchterung an, neben der hedonistisch-lasziven Verschwendung, der Unvernunft, immer auch schon der klassische Zweifel einer Endzwanzigerin.
Ihre Worte rumpeln und kullern
Was Lary noch beherrscht: ihre Worte rumpeln und kullern, und fügen sich dennoch hochmusikalisch im Takt ohne platt und mechanisch Endreim auf Endreim folgen zu lassen. Die Gleichlaute verlagern sich, mal tauchen sie als Binnenreim auf, mal als Alliteration oder Stabreim, oder es reimt sich rein gar nichts aufeinander. Mit dem Mitschunkeln und – grölen dürfte es bei Lary jedenfalls nichts werden. Oder um es mit Lary zu sagen: "Lass uns im gleichen Rhythmus taktlos sein."
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