"Soll er doch homosexuell sein!"

21.12.2006
Im Rahmen des Schriftsteller-Austauschprogramms "Westöstlicher Diwan" haben der libanesische Romancier Rashid al-Daif und der Berliner Autor Joachim Helfer zusammen ein Buch geschrieben. Schon im deutschen Titel steckt genügend Explosivstoff, um jeglichen politisch korrekten Seifenblasen-Dialog in die Luft gehen zu lassen.
Der "Westöstliche Diwan" ist ein Schriftsteller-Austauschprogramm, das unter anderen auch den libanesischen Romancier Rashid al-Daif mit dem Berliner Autor Joachim Helfer zusammenspannte, worauf ein quasi vierhändig geschriebenes Buch entstand. Allerdings: Nur im deutschen, soeben bei Suhrkamp erschienenen Text ist diese "Rede gegen Rede" nachzulesen, die Beiruter Ausgabe unter dem Titel "Wie der Deutsche zur Vernunft kam" beinhaltet lediglich al-Daifs Beobachtungen während seiner Zeit in Berlin und Helfers Aufenthalt im Libanon.

Weshalb das so ist? Weil das deutsche Buch den Titel "Die Verschwulung der Welt" trägt und nicht nur im Titel genügend Explosivstoff steckt, um jeglichen bemüht politisch korrekten Seifenblasen-Dialog in die Luft gehen zu lassen. Von was nämlich reden wir, wenn wir von der Konfrontation zwischen Okzident und Orient sprechen? Von wohl allem außer Sex, jener unverzichtbaren Chance zu wirklicher kultureller Durchdringung. Nun ist allerdings, was jeder weiß, Joachim Helfer homosexuell und dazu ein Romancier, der die seelischen und ästhetischen Implikationen jener nicht allein sexuell zu buchstabierenden Lebensform skrupulös auslotet. Wie wird sein Beiruter Kollege darauf reagieren?

"Soll er doch homosexuell sein! Vielleicht könnte ich von dieser Erfahrung ja profitieren, denn schließlich interessiere ich mich für alles, was mit Moral zu tun hat, insbesondere mit Sexualmoral, und schreibe darüber." Also ein intellektuelles Come together ähnlich der globalisierten Zigarettenwerbung? Rashid a-Daif jedenfalls bleibt erst einmal auf der Hut: Springt in Berlin vom Sofa auf, um auf selbigem nicht allzu nah an Joachim Helfer zu sitzen (der dies zuerst als verständliches Distanzhalten eines erfolgreichen Romanciers gegenüber einem jüngeren Kollegen interpretiert), erwähnt immer wieder seine Freundin und nestelt an den Hemdärmeln herum, um seine behaarten Handrücken zu bedecken, da diese Homosexuelle angeblich besonders erregen.

Joachim Helfer findet in diesen Aussagen allerlei kulturell vorgeprägte (Miss-)Verständnismuster, die er gleichwohl nicht als absolut setzt: Eingedenk der Tatsache, dass die Emanzipation auch in Europa noch jüngeren Datums ist, spricht er lieber von "Ungleichzeitigkeiten" und "Anachronismen". Dieser Ansatz ist freilich das Gegenteil eines werterelativistischen Sermons, denn gerade wer den jeweils anderen nicht in dessen Kultur einsperrt (und diese nicht als unwandelbar fehldeutet), kann Menschenrechts-Universalismen wie jene von der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der Legitimität lesbischer oder homosexueller Beziehungen plausibel vertreten. Helfer schreibt:

"Die Verachtung des Homosexuellen in der arabischen Welt ist eben nicht zu trennen von der Verachtung der Frau, wird gegenüber dieser nur noch gesteigert um den Hass auf den Verräter, der sich zu den Verächtlichen schlägt, obwohl er von Gott als Verächter geschaffen wurde."

Und dennoch erweckt im Laufe der Lektüre der überforderte Herr al-Daif eine gewisse Sympathie, steht hinter seinen unfreiwillig archaisch anmutenden Statements doch oft genug ein Fragezeichen oder ein Klammersatz ("Bin ich tatsächlich so traditionell?"), ist der Wille zum Verstehen des ihm recht verwickelt Anmutenden offensichtlich, während Joachim Helfer mitunter vielleicht ein wenig zu routiniert und unbarmherzig das intellektuelle Interpretations-Besteck klappern lässt, um dem Araber einmal so richtig zu zeigen, was so alles an Verdrängtem aus ihm spricht, wenn er spricht.

Andererseits erkennt er die progressive Haltung seines Kollegen innerhalb des libanesischen Rahmens sehr wohl an und entwirft ein Credo, wie es schöner und würdevoller nicht sein könnte:

"Wo es Sitte ist, Menschen und ihre Handlungen pauschal, also nach Maßgabe einer auf welches Merkmal auch immer begründeten Identität, statt situativ, kasuistisch, also im eigentlichen Sinne moralisch zu beurteilen, muss der Dichter und Denker gegen die Sitte verstoßen; oder vielmehr, ob mit Worten oder Taten, der Gesellschaft Anlass bieten, diese Sitte als böse statt gut zu erkennen, und sie abzulegen. So macht es Rashid, und so mache auch ich es."

Rezensiert von Marko Martin

Joachim Helfer/ Rashid al-Daif: Die Verschwulung der Welt. Rede gegen Rede, Beirut-Berlin.
Mit einem Nachwort von Joachim Satorius.
Edition Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2006, 199 S., brosch., 10,- Euro