So wird's gemacht

Von Martin Reischke · 07.06.2007
Für die rund 100 Bewohner des Öko-Dorfs Sieben Linden im Norden Sachsen-Anhalts macht ökologisch bewusstes Leben richtig Arbeit. Ihr Holz schlagen sie selbst, gekocht wird vegan, und der stille Ort ist ein Kompostklo.
Pragmatiker zimmern sich ein Niedrigenergiehaus und Öko-Puristen verzichten sogar ganz auf Strom. Ihr alternatives Leben bezeichnen sie als: "Modell- und Forschungsprojekt für eine zukunftsorientierte Lebensweise".

Samstagnacht in Sieben Linden, einem kleinen Dorf im Norden von Sachsen-Anhalt. Aus dem Löschteich des Dorfes dringt ein ohrenbetäubendes Froschkonzert. Doch wer jetzt noch wach ist, tanzt lieber zu richtiger Musik.

Ungezählte Schuhpaare warten gleich neben dem Eingang der Transzendierbar auf ihre Besitzer. Die fegen derweil zum Takt der Musik barfuß über die glatten Holzdielen.

Wo sich heute das Dorf zum Tanzen trifft, waren einmal Schweine und Kühe in Ställen untergebracht. Dann stand der Hof lange leer, und der Zustand der alten Gebäude wurde immer schlechter, erzählt Hans Henning Müller, der seit zehn Jahren in Sieben Linden lebt.

"Es war lebensgefährlich, das Dach war offen, die Etage war offen, der Kellerboden war kaputt, man konnte von oben bis unten in den Kellerboden durchgucken."

Normalerweise hat heute niemand mehr Interesse an einem verfallenen Bauernhof in der Altmark. Denn Arbeit gibt es kaum in der strukturschwachen Region, und so ziehen die Leute weg.

Sieben Linden aber wächst. Rund hundert Menschen jeglichen Alters leben heute in dem Dorf, das sich selbst "sozial-ökologisches Modellprojekt" nennt. Schon 1989 hatten sich in Heidelberg einige Menschen getroffen, die an ein selbst versorgtes, ökologisches Leben glaubten, erzählt Dieter Halbach, der kurz danach dazu stieß.

"… und die Idee war: Wir wollen ein Modellprojekt machen, was die ganzen Alternativen, die es zur kapitalistischen Industriegesellschaft gibt, das diese ganzen Alternativen, die eben verstreut sind, dass die zusammenkommen an einem Ort. Dass wir eben ein neues Dorf bauen für 300 Menschen, was ein Gegenmodell zu einem herrschenden Wirtschaften und Leben bietet."

Zuerst suchte die Gruppe per Zeitungsannonce weitere Mitstreiter. Später dann einen Ort, um ihr Modellprojekt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein alter Bauernhof in Groß Chüden in der Altmark wurde zum Projektzentrum umgebaut.
Kommunalpolitiker interessierten sich für das Konzept und kamen zu Besuch. In wenigen Jahren hatte sich der Hof in Groß Chüden erfolgreich etabliert. 1996 wurde das Projekt deshalb als "vorbildliche ökologische Gemeindeinitiative" von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt mit dem Tatorte-Preis ausgezeichnet.

"Was der Türöffner war, überhaupt dafür, dass wir nicht irgendeine alternative, ausgeflippte Gruppe sind, sondern ein politisch anerkanntes, wichtiges Modell."

Schon ein Jahr später war die Standortsuche für das Ökodorf erfolgreich: Von Anfang an sei die Gemeinde Bandau in der Altmark interessiert gewesen, erzählt Dieter Halbach. Der neue Ortsteil von Bandau heißt heute Sieben Linden.

"Hier ist es dann eben zusammengekommen, dass das Land da war, dass wir es kaufen konnten, dass es eine wunderbare, zusammenhängende, vielfältige Fläche war, dass die Menschen in der Gemeinde sehr offen waren, und dass wir hier eine Verwaltung und eine Politik vorgefunden haben, Sachsen/Anhalt 97/96 zu der Zeit, rot-grüne Regierung, die auch bereit war, so ein Projekt zu unterstützen."

Hier wollte die Gruppe endlich ihre Idee von einem ökologischen Leben in Gemeinschaft aufbauen. Nicht nur ein Projektzentrum wie in Groß Chüden, sondern ein ganzes Dorf. Doch gekauft hatte sie nur einige Hektar Land, mit Ackerflächen und Wald und einem alten, baufälligen Bauernhof, der schnell ausgebaut wurde. Er sollte das Zentrum von Sieben Linden werden. Aber eine Baugenehmigung für neue Häuser gab es noch nicht.

"1998 im August, als wir das Eröffnungsfest hatten, kam dann die magische Situation, dass der Bürgermeister sagte: 'Ja, was feiert ihr hier?' Und wir sagten: Prinzip Hoffnung, wir wollen immer noch ein Dorf hier aufbauen, und dann kam die Nachricht, dass das Regierungspräsidium doch die Bewilligung hier ausgesprochen hat und wir dann auch einen Anlass hatten zu feiern."

Fast zehn Jahre hatte die Ökodorf-Gemeinschaft auf diesen Moment gewartet. Nun zeigte sich, dass die größte Herausforderung nicht die ökologische Lebensweise war, sondern das Leben in der Gemeinschaft, sagt Ökodorf-Bewohnerin Corinna Felkl.

"Am Anfang stand für mich die Ökologie im Vordergrund, also am Anfang hatte die Einschätzung, dass wir durch unser ökologisches Handeln oder ein anderes Handeln die Welt verändern können und als wir dann gesehen haben, dass wir vom Rahmen – ob das Solarenergie ist oder die Art der Kläranlage oder unsere Art der Ernährung, dass war das, was wir relativ schnell umgesetzt haben, und die Grenzen, die wurden uns dann auf der sozialen Ebene gezeigt."

Deshalb haben die Ökodörfler auch neue Formen des Umgangs miteinander entwickelt: Sie üben sich in gewaltfreier Kommunikation oder treffen sich regelmäßig zum sogenannten Forum, einer Art emotionaler Vertrauensrunde. Es ist der behutsame und respektvolle Umgang miteinander, der Gäste des Ökodorfes immer wieder überrascht. Doch trotz des geschärften Bewusstseins für das eigene Verhalten bleiben Rückschläge nicht aus, sagt Dieter Halbach.

"Also wir stehen jetzt gerade an einem Punkt in der Gemeinschaft, wo wir sehr schöne, tiefe Erfahrungen oft miteinander teilen von dieser anderen Bewusstheit im Umgang miteinander und dann sitzen wir auf einer Vollversammlung miteinander oder in einer Arbeitsgruppe miteinander und schlagen uns die Köpfe ein. Und jetzt scheint es so zu sein, dass wir dieses Spirituelle und weiche Art zu sein viel stärker noch zusammenbringen mit unseren harten Strukturen."

Die Entscheidungen im Ökodorf sollen im Konsens getroffen werden – und das ist manchmal ziemlich kompliziert. Doch das Grundkonzept ist klar: Die Dorfgemeinschaft besteht aus einzelnen Nachbarschaften – Kleingruppen, die gemeinsam bauen und eigene Lebensstile pflegen. Eine davon ist der Club 99, der sich ohne Kompromisse einem ökologischen Leben verschrieben hat, sagt Nachbarschaftsmitglied Jörg Zimmermann.
"Grundsätzlich ist es beim Club 99 dieses Achtung vor der Mitwelt, also nicht einfach nur zu gucken: Was sind meine Bedürfnisse, wie will ich leben und wie kann ich das am besten umsetzen, sondern immer auch dabei zu schauen: Was passiert dabei mit meiner Umwelt, wenn ich diese Bedürfnisse habe und auch umsetze und auch zu versuchen, wenn ich sehe, ich kann diese Bedürfnisse gerade nur auf Kosten anderer umsetzen, dann nach anderen Wegen zu suchen."

Für Jörg Zimmermann und die übrigen fünf Clubmitglieder heißt das nicht nur vegane Ernährung, sondern auch weitgehenden Verzicht auf Elektrizität, Maschineneinsatz und die Nutzung fossiler Energieträger. Das gilt auch für den Bau ihres ersten Hauses, das in kompletter Handarbeit entstanden ist. So wollen sie ihren Ressourcenverbrauch auf zehn Prozent des bundesdeutschen Durchschnitts senken. Laut einer Studie von Misereor und BUND ist dies der Wert, der allen Menschen eine nachhaltige Lebensweise ermöglichen würde. Doch die Konsequenz der Gruppe sorgt im Dorf auch für Schwierigkeiten.

"Auf der einen Seite gibt es so was, dass der Club 99 auch vom Ökodorf als was sehr positives, als ein Magnet gesehen wird, auf der anderen ist es natürlich für viele Leute im Ökodorf auch anstrengend, ständig diesen moralischen Zeigefinger Club 99 vor Augen zu haben."

Manchmal führen die unterschiedlichen Vorstellungen der richtigen Lebensweise auch zu handfesten Konflikten – zum Beispiel im Fall der Tierhaltung. Für Gärtner Michael Schönicke eine klare Sache.

"Für mich war der Zeitpunkt da, wenn mein Bauwagen frei wird, dann wird das ein Hühnerwagen, und so hab ich das dann mal angesprochen, dass ich das machen möchte und da ist dann ein großes Tabu gewesen, es war große Aufruhr dann hier."

Denn Menschen wie Jörg Zimmermann vom Club 99 möchten keine eingesperrten Nutztiere auf dem Ökodorfgelände.
So einigten sich die Veganer, Vegetarier und Fleischesser im Dorf schließlich auf einen Kompromiss: Tiere dürfen im Dorf zwar gehalten, aber nicht geschlachtet werden. Doch Michael Schönicke will das nicht akzeptieren.

"Es gibt viele Fleischesser oder Eieresser hier, warum soll ich für die nicht Eier produzieren und wer ein Huhn oder Hähnchen essen möchte, kann eins abhaben, warum sollen wir das von außen kaufen, wenn wir ein Selbstversorgerdorf sind?"

Auch wenn nicht alle mit dem Ergebnis zufrieden sind – für Corinna Felkl war es trotzdem eine wichtige Auseinandersetzung.

"Ich glaube diese Tierhaltungsdiskussion, so anstrengend wie sie für uns war und oft auch an so Punkten, wo viele verzweifeln wollten, so viel hat sie auch bewusst gemacht, in wie viel Widersprüchen wir leben, ich habe das Gefühl, wir haben jetzt keine Entscheidung getroffen, die für alle wirklich stimmt, und dennoch ist es wieder eine Entscheidung auf dem Weg, um etwas noch bewusster werden zu lassen, und sich noch mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen."

Ein Leben in Widersprüchen – das ist für die Ökodörfler nicht anders als für andere Menschen. Das gilt auch für die bauliche Entwicklung des Dorfes. In Bauwagen waren die Gründungsmitglieder 1997 angereist. Doch aus dem Provisorium, das vor allem für Neuankömmlinge gedacht war, ist für manche ein Dauerzustand geworden. Von den rund 100 Bewohnern leben noch immer 44 in Bauwagen, der Rest in modernen und hellen Niedrigenergiehäusern, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Geplant war das nicht, sagt Dieter Halbach.

"Wir haben uns sicherlich vorgestellt, dass der Bauprozess schneller geht. Aber dadurch, dass wir Bauprozess an einen sozialen Prozess gekoppelt haben und gesagt haben: Es baut nicht jeder Single und jede Familie für sich, sondern es müssen mindestens drei Leute sich zusammentun und dann auch eine Planung gemeinsam für diesen Bereich machen, dass da noch mehr Menschen dort sich dazusiedeln können, dadurch dass wir das so als Voraussetzung gemacht haben war dieser Findungsprozess immer relativ langwierig, bis diese Gruppen sich gebildet hatten, die dann bauen konnten."

Doch längst nicht überall im Dorf soll gebaut werden. Es gibt Schneisen, die bewusst freigehalten werden, erzählt Hans Henning Müller auf einer Dorfführung seinen Gästen.

"Die Erde hat hier eine starke Energie durchlaufen, eine sogenannte Drachenlinie, die ist auf jeden Fall gemeinschaftsfördernd."

Eine gemeinschaftsfördernde Drachenlinie – für manche Besucher wirkt diese Wahrnehmung der Natur mit Hilfe der sogenannten Geomantie befremdlich. Dieter Halbach vertritt einen pragmatischen Ansatz.

"Manche können das nachvollziehen und manche nicht. Manche interessieren sich dafür und manche nicht. Für mich ist oft zum Beispiel persönlich die Orte, die als geomantische Orte festgestellt worden sind, sind einfach wunderbare Orte, die einfach besonders sind, wo man sich besonders gut hinsetzen kann, wo einfach eine besondere Konstellation einfach von der Natur ist. Also das Natürliche und das Spirituelle sind nicht unbedingt zwei verschiedene Dinge. Aber das Wort Geomantie und ob man sich dafür interessiert, das ist sicherlich sehr verschieden."

So ist Sieben Linden auch zehn Jahre nach der Gründung keine homogene Gemeinschaft, sondern eine große Gruppe verschiedener Individuen, die gemeinsam leben. "Einheit in der Vielfalt" ist das Motto des Ökodorfs. Die Lebensmittel stammen aus ökologischem Landbau. Der Kot aus den Trockentrenntoiletten wird kompostiert, das Schmutzwasser mit einer Pflanzenkläranlage gereinigt. Autos werden auf dem Dorfgelände nicht benutzt, ebenso wenig wie Handys. Doch was hält die Gemeinschaft – abgesehen von der ökologischen Lebensweise – eigentlich zusammen?

"Für mich ist die übergreifende Idee nach wie vor ein Gesellschaftsmodell zu entwickeln, wo ein friedlicher und fruchtbarer Austausch zwischen verschiedenen Menschen stattfinden kann. Und was wir hier versuchen, ist in einer modernen Form Gemeinschaft zu leben."

Wie gut das trotz aller Konflikte schon heute gelingt, erstaunt sogar den Bandauer Bürgermeister Helmut Fehse.

"Was beeindruckend ist für das eigene Leben, muss ich immer wieder sagen, dieser sorgsame Umgang untereinander, der da gepflegt wird, dieser Ton, der schließt glaub ich viele Türen auf, da sollte sich jeder ein Beispiel dran nehmen, der Umgang untereinander, der ist im Dorf nicht so."

So wird das Leben in Sieben Linden von den alten Dorfbewohnern durchaus geschätzt. Einmal im Monat öffnet das Ökodorf seine Türen zum Sonntagscafé, auch die vielen kulturellen Veranstaltungen sind öffentlich. Es gibt ein gemeinsames Volleyball-Turnier, und seit zwei Jahren ist das Ökodorf auch mit zwei Mitgliedern im Gemeinderat vertreten. Trotzdem sei der Kontakt zu den alteingesessenen Dorfbewohnern nicht immer einfach, erzählt Henning Britsch.

"Auch im Dorftratsch oder im Dorfinformationsnetzwerk sind wir nicht, wahrscheinlich, weil wir nicht in der Feuerwehr drin sind, vermute ich mal, ich nehme an, dass ein Großteil des sozialen Lebens über die Feuerwehr läuft, und die Schwelle haben wir noch nicht übertreten, ich selbst hätte grundsätzlich Interesse daran oder eine Bereitschaft, auf der anderen Seite: So ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich da gewünscht oder gewollt bin."

Feuerwehrmeister Eckhard Schwieger sucht eine diplomatische Antwort.

"Bestimmte Skepsis gibt es immer, das ist eben so, weil sich nicht alle mit der Lebensweise identifizieren können."

Doch auch er respektiert das Ökodorf, selbst wenn er manchmal über das Verhalten der Ökodörfler schmunzeln muss.

"Das hat schon alles Hand und Fuß, was die machen, weil sie sich da reinknien. Aber es gibt auch bestimmte Dinge: Wir haben alle noch einen Gemüsegarten, das ist für uns eine Selbstverständlichkeit, und wenn das Ökodorf einen Gemüsegarten hat, dann denken sie, sie haben die Welt erfunden, ich kaufe keine Kartoffeln, die kriege ich noch alleine angebaut, und wenn das Ökodorf drei Kartoffelstauden auskriegt, dann denken sie, es ist Weihnachten, nur so ein paar Beispiele, ja, das gehört zu unserem Leben so."

So gibt es einige Anknüpfungspunkte zwischen Alteinwohnern und Ökodörflern – und dennoch lebt man meistens nebeneinander her.

Doch wichtiger als das Zusammenleben mit den Dorfnachbarn ist für Sieben Linden die Frage der eigenen Gemeinschaft. Denn das Nachbarschaftskonzept mit vielen unabhängigen Kleingruppen stellt das Dorf vor eine Richtungsentscheidung, meint Club 99-Mitglied Jörg Zimmermann.

"Klar, wir wollen im Club 99 diesen intensiven gemeinschaftlichen Prozess miteinander machen, und das heißt, dass wir das dann im Ökodorf nicht so intensiv machen können zusätzlich, nicht auf Dauer, bisher machen wir es, aber ich merke auch, wir ziehen uns aus diesen ganzen Ökodorf-Sachen immer mehr zurück, weil es uns zuviel ist. Also es ist dann eine Abstimmung mit den Füßen und eigentlich wird es Zeit dass da das Ökodorf oder alle Menschen, die da im Ökodorf leben mal sich klar positionieren und wir mal wieder eine klare Ausrichtung finden."

Ein neuer Konflikt: Während die einen Geborgenheit in der großen Gemeinschaft suchen, koppeln sich Kleingruppen wie der Club 99 immer weiter vom Ökodorf ab.

Das hat auch Jens Heeren beobachtet. Gerade nimmt der 37 Jahre alte Sozialarbeiter an einem Gemeinschaftskurs teil. Denn langfristig möchte auch er in Sieben Linden wohnen – selbst wenn viele Fragen für ihn noch ungelöst sind.

"Aber ich sehe trotzdem, dass es ne Phase ist, wo auch viel möglich ist, ich sehe die Risiken, aber auch die Chancen, es ist schon sehr viel möglich hier, es hat sehr viel Freiheiten und Freiräume, also hier ist sehr viel möglich, und von dem, wie ich mir ein Leben vorstelle, sehe ich hier gute Chancen, das realisieren zu können."

Doch wie wird er seinen Lebensunterhalt im Ökodorf verdienen? Das Leben in Sieben Linden ist zwar billig, kostenlos allerdings ist es nicht. So muss jeder versuchen, etwas Geld zu verdienen – durch einen Job draußen oder die Mitarbeit im Dorf. Manche beziehen auch Rente, andere Hartz IV.

Sollte Jens Heeren am Ende tatsächlich in die Gemeinschaft von Sieben Linden mit einsteigen, so müsste er auch einen Anteil von rund 11.000 Euro für die Siedlungsgenossenschaft aufbringen.

"Für mich wäre es sehr schwer, ich würde es eher als Prüfstein sehen, will ich wirklich hierher?, und dann denke ich, ist es immer noch möglich, mit meinem Hintergrund an sozialem Netz oder Familie, mir es so zusammenzustückeln, zusammenzuleihen."

Auch wenn der hohe Einstiegsbetrag einige Interessenten abschrecken könnte: Für Dieter Halbach ist klar, dass ein politisch ernsthaftes Projekt auch eine finanzielle Beteiligung erfordert.

"Wir sehen auch, dass wir eine soziale Verantwortung innerhalb der Gesellschaft haben, und wir machen hier ne politische Arbeit, das heißt, wir wollen etwas erreichen, wir wollen etwas aufbauen, und wir sind nicht mehr in der Phase, wo man nur von Luft und Liebe lebt und nach ein paar Jahren wieder auseinander fällt, weil man es nicht gebacken gekriegt hat …"

Stattdessen hat sich das Projekt längst fest etabliert. Zahlreiche Gäste kommen jedes Jahr nach Sieben Linden, nehmen an Workshops teil und tragen die Ideen des Ökodorfs wieder hinaus in die Welt.

Trotzdem müsse man an der eigenen Außendarstellung noch arbeiten, meint Kosha Joubert, die sich um die internationale Vernetzung kümmert.

Denn auch wenn manche der radikalen Ideen hierzulande vielleicht belächelt werden, sind sie in anderen Teilen der Welt ein Hoffungsschimmer.

"Auch die Bedeutung von einer Nachbarschaft wie dem Club 99, wo man sagt wir versuchen unseren Konsum auf zehn Prozent des deutschen Durchschnitts runterzudrehen, das ist etwas, was in Deutschland als Vorbildfunktion völlig uninteressant ist, weil kaum jemand das nachahmen wird, das ist zu radikal für Deutschland, aber was das bedeutet für Projekte in der Dritten Welt, die gerade noch unter dieser Zehn-Prozent-Marke leben und im Moment darauf aus sind, ihren Konsum möglichst schnell zu steigern, also was das für die bedeutet an Inspiration, zu wissen, dass es hier in Deutschland ein Projekt gibt, was das versucht, ist zum Beispiel enorm."

Dabei sind auch die Öko-Puristen vom Club 99 keine verbitterten Weltverbesserer, sondern Menschen, die praktisch zeigen, dass ein anderes Leben möglich ist – und die Lebensqualität dabei sogar steigen kann.

"Das hat nichts mehr mit Askese zu tun, das hat nichts mehr zu tun mit einem einfachen, grauen Leben, also mit einem einfachen Leben ja, aber dass einfach leben auch luxuriös sein kann, sinnlich sein kann, schön sein kann, dass die Menschen strahlen und Freude haben an ihrem Leben, dass es nicht was Muffiges ist, das ist was, wo die Gemeinschaftsbewegung ich finde leidet auch an einer schlechten Außendarstellung der letzten Jahre seit den 68ern."

Trotzdem muss nicht jeder in Sieben Linden leben, auch wenn er sich vielleicht für eine ökologische Lebensweise interessiert. Deshalb hat Dieter Halbach gemeinsam mit einigen Mitstreitern die Initiative "Aufbruch anders besser leben" gegründet. In verschiedenen deutschen Städten und Regionen treffen sich nun Menschen, um sich über neue Möglichkeiten eines solidarischen und ökologischen Lebens auszutauschen. Und Halbach glaubt daran, dass diese Idee wachsen wird.

"Die Sehnsucht der Menschen ist da, der Bedarf ist da, die Menschen suchen nach Erfahrungen, und nicht nach irgendwelchen Argumenten und Belehrungen."