"So ein Gerede disqualifiziert sich selbst"

Ulrich Khuon im Gespräch mit Susanne Führer · 18.05.2010
Der Intendant des Deutschen Theaters Berlin, Ulrich Khuon, bezeichnet die vom Schriftsteller Botho Strauß anlässlich einer Preisverleihung vorgetragene Kritik am zeitgenössischen Theater als "merkwürdig". Er finde es "ein bisschen traurig", bei einer Laudatio "sich selber zu loben", sagte Khuon.
Susanne Führer: Schon zum zweiten Mal hat jetzt ein Schriftsteller eine öffentliche Rede genutzt, um mit dem zeitgenössischen Theater abzurechnen. Im vergangenen Jahr verdammte Daniel Kehlmann in seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele das heutige Regietheater.

Gestern druckte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" eine Laudatio von Botho Strauß auf die Schauspielerin Jutta Lampe, in der Strauß dem aktuellen Theater vorwirft, zum (ich zitiere) "Reservat von Dummheit und Bildungsferne" geworden zu sein. Mal hören, was einer dazu zu sagen hat, der heute und schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich Theater macht! Am Telefon ist jetzt Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters in Berlin. Guten Tag, Herr Khuon!

Ulrich Khuon: Guten Tag!

Führer: Botho Strauß war, daran sollten wir vielleicht noch mal erinnern, in den 70er-Jahren ja Mitarbeiter Peter Steins an der Westberliner Schaubühne – selbstverständlich waren wir Hochperiode, können wir in seinem Redetext lesen, er schwärmt von dieser Zeit, als Neuerung und Meisterschaft zusammenfiel. Heute aber gebe das Theater, schreibt er, keinerlei Impulse an die Zeit mehr ab. Teilen Sie diese Analyse?

Khuon: Nein, natürlich nicht. Wobei Teile der Analyse, also der Blick auf sich selbst, ja doch auch stimmt. Also natürlich hat die Schaubühne in dieser Zeit Theater und Gesellschaft beeinflusst, Theater geprägt, Gesellschaft beeinflusst, das war schon eine besondere Zeit. Die Frage ist natürlich, ob man eine Laudatio ...

Das finde ich immer eher ein bisschen traurig, wenn man eine Laudatio, die ja eigentlich dazu da ist, dass man jemand lobpreist (was Botho Strauß ja eigentlich auch besonders kann und in bestimmten Passagen tut er es auch), dass man so eine Laudatio dann wieder benutzt, um sich selber zu loben – das ist dann eine Stilfrage –, oder gar andere, die später arbeiten, quasi ohne sehr genau zu argumentieren, da quasi in Grund und Boden zu reden. Das ist aber trotzdem sein gutes Recht, ich finde es eher merkwürdig.

Führer: Gehen wir mal ein bisschen seine Punkte durch, Herr Khuon. Sie haben gerade von einer anderen Zeit gesprochen – Botho Strauß nimmt für sich in Anspruch, dass damals wohl sehr viel Leidenschaft geherrscht hat auf dem Theater, so was wie Unbedingtheit. Also er schreibt über die heutige Zeit: Wo ist der Glanz, wo das Herzklopfen, wo die Feier, wo bleibt das Beben des Schweigens, des Entsetzens?

Khuon: Ja das sind ja sehr unterschiedliche Dinge, die er einklagt und die er ja so sehr pauschal in den Raum stellt, ohne jetzt zu sagen, wo er es genau vermisst. Ich habe schon den Verdacht, dass er ähnlich wie Kehlmann eigentlich nicht mehr ins Theater geht.

Das ist auch wiederum sein gutes Recht, aber er argumentiert deswegen auch nicht sehr genau, sondern redet halt in der Gegend rum. Man kann nun bei Gott, wenn man diese ganzen Nach-Botho-Strauß-Regisseure, -Autoren und so weiter anschaut ... Ich jetzt nenne nur ein paar Regisseure, weil die kriegen es ja besonders ab: Wenn man Gotscheff, Gosch, Marthaler, Castorf, Breth, Kriegenburg, Stehmann, Bondi, Bosse, wenn man die herausgreift und denen so in Bausch und Bogen Leidenschaft, Dringlichkeit, aber auch Glanz – wobei das würde ich mal fragen, was für ein Glanz ist das, was meint das genau?

Also Leidenschaft, da kann ich im Grunde mitgehen, das wünsche ich mir auch vom Theater und vor allem auch eine Leidenschaft, die sich vermittelt. Also wenn er das denen allen abspricht, dann kann man eigentlich nur sagen, so ein Gerede disqualifiziert sich selbst und jeder, der zwei-, dreimal einen dieser Regisseure oder dieser Inszenierungen erlebt hat, der weiß, dass das einfach Quark ist, was Botho Strauß da jetzt im Negativen beschreibt.

Führer: Er wirft den Regisseuren ja auch vor, dass sie sich nicht mehr wirklich um die Schauspieler kümmern. Also er würde sie, die Regisseure würden die Schauspieler nicht mehr entwickeln und betreuen.

Khuon: Ja das stimmt natürlich auch nicht. Wir können ja mal gucken zum Beispiel, was Gotscheff mit Samuel Finzi und mit Wolfram Koch, um nur jetzt mal zwei zu nennen, da entwickelt hat, was Castorf mit seinen Protagonisten, mit diesem wunderbaren Frauenensemble damals entwickelt hat, was Breth mit ihrem Ensemble geleistet hat ... Es ist im Gegenteil eigentlich so, dass - das müsste man auch noch mal genauer beschreiben – zum Beispiel die Schaubühne ja eher aus einer Bande, würde ich sagen, also im positiven Sinne von ...

Führer: ... einer verschworenen Bande ...

Khuon: ... ja, von Jungen. Also das sei im Grunde kein Ensemble. Dann sagt er, ja wir haben die ganz Großen, Therese Giehse dazugeholt und Joana Maria Gorvin. Also die beiden fallen ihm ein, so diese ganze lange Phase, sie haben die quasi als Gäste mal eingeflogen. Das ist auch schon lobenswert.

Ich finde heute, wenn man nach München schaut, nach Köln, nach Hamburg und Berlin, gibt es doch viel mehr Bemühungen um ein Ensemble im eigentlichen Sinn, was bei allen Schwierigkeiten, die ich ja in der Tat sehe und spüre, auch verschiedene Generationen von Schauspielern versucht zusammenzubringen. Natürlich scheitert das dann auch oft, weil unterschiedliche Geprägtheiten aufeinandertreffen, aber dem ist natürlich die Schaubühne im Grunde aus dem Weg gegangen, so jemand dann mal einzufliegen als Gast.

Und dann zu sagen, ganz toll, wir setzen uns dem auch mal aus, das ist nicht das, was eigentliche Ensemblearbeit meint. Trotzdem wäre ich jetzt nicht auf den Gedanken gekommen, die Schaubühne zu beschimpfen, sondern jeder geht halt so seinen Weg. Aber jetzt umgekehrt anderen Häusern Ensemblepflege quasi abzusprechen, ist purer Unsinn. Wenn Sie gucken, wie lange Andreas Kriegenburg mit Leuten wie Natali Seelig, mit Judith Hofmann, mit Jörg Pose und so weiter, Markwart Müller-Elmau zusammenarbeitet, welche Treue Goschs zu Schauspielern hatten, dann wird, glaube ich klar, dass das auch wieder so ein leeres Argument ist.

Führer: Über die Theaterschelte des Dramatikers Botho Strauß spreche ich in Deutschlandradio Kultur mit Ulrich Khuon, dem Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin. Herr Khuon, man kann doch aber festhalten, dass sich ja tatsächlich die Bedingungen, unter denen Theater heute gemacht wird, seit den 70er-Jahren verändert haben.

Sie haben jetzt so einige Stars genannt, aber für das Gros der Schauspieler gilt doch, dass sie im Grunde genommen kaum noch langfristige Verträge bekommen? Insofern hat Botho Strauß doch hier möglicherweise doch einen Punkt, dass es so eine langfristige Arbeit und Entwicklung von jungen Schauspielern kaum noch gibt?

Khuon: Ja aber das ist doch, das würde ich nun auch bestreiten. Das kann ich nun an der eigenen Arbeit relativ gut deutlich machen: Wenn Sie mal die zehn Jahre, die ich in Hamburg gearbeitet habe, nehmen, und wenn Sie sehen, welchen Weg dort Hans Löw gemacht hat oder Felix Knopp oder Lisa Hagmeister, Susanne Wolf, Maren Eggert, um jetzt nur mal fünf spontan rauszugreifen von ungefähr 30, mit denen wir kontinuierlich gearbeitet haben, von denen jetzt 15 wieder in Berlin sind.

Und wenn man da wieder das Ensemble anguckt, was sich hier entwickelt hat, auf das wir jetzt treffen, dann ist das, wenn man die Kammerspiele anguckt in München, was Baumbauer dort entwickelt hat auch mit jungen Schauspielern, dann kann man da ... Und ich meine, Botho Strauß, in dem mittleren Theater, da guckt der ja gar nicht, schon gar nicht rein, da wird nämlich auch Ensemblepflege geleistet. Also es stimmt einfach faktisch nicht.

Führer: Botho Strauß betont in seiner Rede selbst ja mehrmals, dass das Theater vom Wechsel lebe, also von einer Aufeinanderfolge der Generationen, logisch, jede beginnt wieder neu, Theater ist ein flüchtiges Medium. Das heißt, auf einen Peter Stein folgt dann eben ein Jan Bosse. Meinen Sie, Herr Khuon, dass man diese Rede vielleicht auch so als einen Generationenkonflikt lesen kann, also: Der alte Mann ist wie immer enttäuscht über die Jugend und früher war alles besser? Das klingt so ein bisschen durch.

Khuon: Ja, das klingt so ein bisschen durch, zumal er ja auch in der Argumentation dann wieder überraschend ist. Er sagt dann ja auch, also wir haben mit der Ehrung eines Vorbilds aus ruhmreicher Vergangenheit, deren Spiel man im Übrigen keineswegs fortzusetzen gedachte. Weiter unten sagt er dann aber, dass er sich darauf bezogen hat und so weiter.

Im Grunde, diese unsaubere Argumentation macht deutlich ein Dilemma, das er hatte und das wir auch haben. Dass man natürlich im Bewusstsein von Vergangenheit lebt, auch von Theatervergangenheit, dass man sich auf Vieles bezieht – übrigens bezieht sich auch Castorf natürlich, oder bezog sich, auf Vergangenheit, auf Brecht, auf Meyerhold, auf andere Vergangenheiten als beispielsweise Botho Strauß, der in erster Linie sich natürlich auf eine starke bürgerliche Tradition und so weiter bezog, übrigens auch inhaltlich. Also, da gibt es einfach andere Bezüglichkeiten, die andere wiederum nicht kennen oder nicht respektieren.

Stadelmaier hat ja gerade eine Rede gehalten, wo er zum Beispiel die ganze Ostgeschichte, Theatergeschichte in Bausch und Bogen da in den Boden reingerammt hat – was auch wiederum Quatsch ist, denn jeder hat natürlich andere Traditionslinien. Nun bezieht man sich auf die und gleichzeitig entwickelt man natürlich auch wieder was Neues oder man kombiniert was Neues oder man erfindet was Neues daraus heraus, weil wir uns ja auch mit einer anderen Welt auseinandersetzen, mit anderen medialen Möglichkeiten und mit anderen Zuspitzungen.

Also so wie der Mensch immer wieder neue und gleichzeitig ähnliche Erfahrungen macht, so macht das Theater immer wieder was Neues, aber gleichzeitig auch wieder was Ähnliches. Also es wiederholt sich und erneuert sich zugleich. Und das ist ein sehr komplizierter Vorgang, das Dilemma ist im Grunde für, war für die Schaubühne damals dasselbe wie das später dann für die Volksbühne war oder für Baumbauer in Hamburg oder für mich in Hamburg, für mich in Berlin oder für viele andere. Das Dilemma ist eigentlich oder die Schwierigkeiten, mit denen man kämpft, oder das, worum man sich bemüht, ist ziemlich ähnlich.

Führer: Ich habe den Eindruck, Herr Khuon, dass sich zurzeit die Kritik am zeitgenössischen Theater häuft. Also Daniel Kehlmanns Rede vom vergangenen Jahr hatte ich eingangs erwähnt und nun kommt Botho Strauß, aber auch wenn man sich die alltägliche Theaterkritik anschaut, anhört, habe ich so den Eindruck, es gibt verdammt viele Verrisse, wenn wir auch mal an die Diskussion denken um die Theaterschließung in Nordrhein-Westfalen, da rührt sich eigentlich auch wenig Widerstand. Ist das zeitgenössische Theater vielleicht doch in einer Krise oder wird ihm diese Krise nur zugeschrieben?

Khuon: Also man lebt vielleicht dann doch in Parallelwelten, und es stimmt schon - dass das Feuilleton im Grunde sich kritisch verhält, ist ja auch seine Aufgabe. Ich nehme aber schon Unterschiedliches wahr, also gegenüber dieser ... Was Sie beschreiben, entnimmt man natürlich im Publikum oder in der Auseinandersetzung mit dem Publikum anderes wahr, nämlich eine intensive Auseinandersetzung, eine große.

Also den starken Eindruck, dass man was zurzeit, aber auch zu dem, woraus sie erwachsen ist, zu sagen hat, und dass die Zuschauer das interessiert. Und ansonsten wäre ich immer sehr dafür, konkret zu diskutieren. Der Widerstand in Nordrhein-Westfalen ist schon sehr, sehr heftig nicht nur vonseiten Theaters sondern auch vonseiten des Publikums und wie ich wahrgenommen habe, wenn Sie beispielsweise die "Zeit" lesen oder auch in diesem Fall mal die "FAZ", da wurden schon sehr deutliche Worte gefunden, um die Theaterlandschaft zu schützen.

Führer: Der Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, Ulrich Khuon. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Khuon!

Khuon: Bitte, gerne!