Skulpturen

Das Pathos der frühen Moderne

Das Lehmbruck Museum in Duisburg
Das Lehmbruck Museum in Duisburg © dpa / picture alliance / Roland Weihrauch
Von Carsten Probst · 13.06.2014
Durch seine scheinbar freischwebende Glashalle besticht in Duisburg das Lehmbruck Museum. Geplant hat sie der Architekt Manfred Lehmbruck für die Skulpturen seines Vaters Wilhelm. Vor 50 Jahren wurde das Museum eröffnet.
Söke Dinkla: "Wir sehen so viel immer im Alltagsraum gleichzeitig, wir müssen so viele Dinge im Grunde gleichzeitig tun, gleichzeitig wahrnehmen – und im Museum ist es eigentlich schon der Respekt vor den Werken, dass wir auch eine Konzentration, eine Kontemplation, eine Versenkung an der einen oder anderen Stelle ermöglichen."
Das Museum als Rückzugs- und Begegnungsort: So sieht die Direktorin des Lehmbruck-Museums Söke Dinkla die Funktion ihres Hauses in der heutigen, chronisch reizüberfluteten Gegenwart. Die Geschichte des vielleicht wichtigsten Museums für zeitgenössische Skulptur in Deutschland begann mit einer Verspätung, einer ziemlich bedeutsamen womöglich: Ursprünglich ging es bei der Idee für die Gründung dieses Hauses ja nur darum, eine Bleibe für das wegweisende bildhauerische Werk und die Sammlung Wilhelm Lehmbrucks zu schaffen, der sich 1919 mit 38 Jahren in Berlin das Leben genommen hatte. Es sollte eine Art Künstlermuseum sein, aber eben nicht in der Hauptstadt, sondern in der deutschen Kunstprovinz, Lehmbrucks Geburtsstadt Duisburg, in der er auch begraben liegt.
Söke Dinkla: "Das ist 1926 gewesen, die Idee zu dem Lehmbruck-Museum, und realisiert wurde es dann 40 Jahre später, und das find ich insofern interessant, weil es halt deutlich macht, dass die Städte hier im Ruhrgebiet nicht unbedingt mit Kunst und nicht mit zeitgenössischer Kunst in Verbindung gebracht wurden und dass es schon eine große Errungenschaft und Leistung war in der Zeit, 1957, in dieser Zeit war die Grundsteinlegung des Museums, zu sagen: Wir schaffen nicht nur ein Museum für Lehmbruck, sondern eben auch für die Skulptur des 20. Jahrhunderts."

Söke Dinkla
Söke Dinkla, Direktorin des Lehmbruck Museums© dpa / picture alliance / Roland Weihrauch
Die fast vier Jahrzehnte Verspätung zwischen Idee und Ausführung haben dem Haus seinen heutigen Charakter von Grund auf eingeschrieben. So wie es dasteht, ist es eine gebaute Bestandsaufnahme der Moderne. Architekt Manfred Lehmbruck, Sohn des Künstlers, entwarf für die Skulpturensammlung des 20. Jahrhunderts eine große, freitragende Halle mit viel Glas, die deutliche Anleihen beim nüchternen Spätstil Mies van der Rohes oder auch bei Philip Johnson nimmt. Der andere Gebäudeflügel, der das Werk Wilhelm Lehmbrucks beherbergt, ist durch eine umlaufende Empore, ein Atrium und freistehende Wandelemente gegliedert.
Für das Jubiläum wurde hier die erste Ausstellung rekonstruiert, mit der 1964 das Werk Lehmbrucks und insbesondere seine bekannten Großplastiken wie "Die Badende" präsentiert wurden. Durch diese historisierende Aufstellung springt noch deutlicher das Pathos der frühen Moderne vom bewegten, naturähnlichen Raum ins Auge, durch das Manfred Lehmbruck dem Werk seines Vaters hier eine ideale Bühne bereiten wollte.
Söke Dinkla: "Er hat einerseits diese Paradigmen der Moderne gehabt: Transparenz, Offenheit, Flexibilität, Materialien Glas, Stahl und Beton. Aber diese radikale Gleichzeitigkeit des Präsentierten und der einzelnen Werke, das ist aus meiner Sicht schon fast etwas, das in die Postmoderne, in die Nachmoderne verweist, weil der Betrachter im Grunde immer wieder Blickrichtungen wechselt. Es gibt keine Hierarchie der Räume."
In der Halle für die allgemeine Skulpturensammlung begegnen sich dagegen höchst unterschiedliche Werke zum Teil völlig gegensätzlicher Strömungen: Neben einem Anteil expressionistischer Malerei, die das Lehmbruck-Museum in den ersten Jahren auch noch gesammelt hat, sind hier abstrakte und figurative, konstruktive und installative Gattungen seit der klassischen Moderne von Giacomettis berühmter „Frau auf einem Wagen" über Alexandr Rodtschenko und Picasso bis zu Arbeiten seit der Nachkriegszeit von Heinz Mack, Günter Uecker bis zu Tony Cragg zu sehen, ergänzt um zahlreiche Werke im Außenraum des umgebenden Parks. Zusätzlich möchte man das Haus für das Jubiläumsjahr für die entgrenzten Formen der Skulptur im 21. Jahrhundert öffnen, derzeit bespielt etwa die Kompanie von Tino Seghal das Haus mit kleinen, jeweils auf einzelne klassisch moderne Skulpturen bezogenen Performances.
Söke Dinkla: "Wenn man sich diese 50 Jahre, die jetzt vergangen sind, noch einmal Revue passieren lässt – es hat sich sehr, sehr viel verändert in der Gesellschaft, es hat sich viel an Wahrnehmungsgewohnheiten verändert dass wir sicher nicht mehr davon ausgehen können, dass Kunstwerke und Künstler belehren und dass Künstler und Kunstwerke uns Geschichten erzählen, die jeder sofort nachvollziehen kann."
Das Museum der Zukunft muss aber trotzdem ein Ort des Bewahrens und auch der kontemplativen Ruhe bleiben, meint Lehmbruck-Direktorin Söke Dinkla, auch wenn die Künstler die traditionellen Formen von Skulptur heute mehr und mehr aufgäben. Installation, Performance, Partizipation des Publikums: Ja, aber in klaren Grenzen. Auf die Avantgarde-Rolle verzichtet man hier freiwillig – und auch das hat vielleicht schon mit der verspäteten Geschichte dieses Hauses zu tun.
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