Skiurlaub im Keller

20.03.2012
Eine kurze Geschichte vom Erwachsenwerden erzählt Niccolo Ammaniti in seinem Roman "Du und ich". Ein 15-Jähriger gauckelt seinen Eltern vor, in den Urlaub zu fahren - und zieht stattdessen in den Keller. Dann taucht seine drogensüchtige Halbschwester auf.
Eine Novelle von 150 groß gedruckten Seiten legt der italienische Erfolgsautor Niccolò Ammaniti als Roman vor - wahrscheinlich unschuldig, denn vor allem in Deutschland verleiht man am liebsten das Etikett Roman für alles, was Buchstaben hat. Im Falle des hierzulande noch viel zu unbekannten Niccolò Ammaniti ist das schade, denn "Du und ich" ist eine meisterhafte Novelle, mit kleinen Schwächen, aber geradezu mustergültig novellesk. Der 15-jährige Lorenzo hat keine Freunde. Er lügt seinen Eltern vor, dass er welche habe, mit denen er in die Skiferien fahren würde, zieht aber stattdessen ohne Wissen seiner Eltern in den Keller des Familienhauses ein. Im Wesentlichen spielt das ganze Buch in diesem Keller.

Lorenzo richtet es sich gemütlich ein in seinem Keller und ist eines Tages zutiefst erschrocken, als seine drogensüchtige Halbschwester, wohnungslos und auf Entzug, bei ihm einziehen will - ohne Wissen der Eltern. Anfangs spröde und wenig hilfsbereit, taut Lorenzo allmählich auf und es entspinnt sich eine zarte, halb-inzestuöse Liebesgeschichte. "Du und ich" liest sich wie ein Kammerspiel mit unglaublicher Spannung, die einen schon wieder aus dem "Roman" herauskatapultiert, wenn man sich gerade erst warm gelesen hat.

Ammaniti ist ein Meister der soziologischen Beobachtung, der Milieustudie, fast mit Genuss lässt er die brüchigen bürgerlichen Kokons zerfallen. In "Du und ich" trifft die wohlhabende bürgerliche Welt auf ihr Verdrängtes. Der letzte Roman "Wie es Gott gefällt" schilderte gleich in Form von prolligen Neonazis den zur Kenntlichkeit entstellten Normalbürger. Aber seine Schreibstrategie ist nicht die der Provokation oder der Gesellschaftskritik. Es scheint vielmehr, als ginge es ihm um eine Art Aufhebung der Ränder der Gesellschaft.

Was die Bürger zu wenig an Existenz haben, haben die Heroen des sozialen Versagertums zuviel - und dieses Zuviel ist der Stoff für Ammanitis anrührende Geschichten. Allenfalls einen Hauch von Kitsch und wohlfeiler Auflösung kann man dem neuen Buch zum Vorwurf machen. Aber bei dem, worauf es dem Autor ankommt, der Entwicklung der Freundlichkeit aus dem Sumpf der Gleichgültigkeit - da ist Ammaniti gänzlich unsentimental. Das Buch erschüttert und liest sich viel zu schnell. Es macht gespannt auf den nächsten Ammaniti mit vielleicht etwas mehr erzählerischem Raum, der auch in Deutschland hoffentlich einmal die verdiente Leserschaft finden wird.

Besprochen von Marius Meller

Niccolò Ammaniti: Du und ich
Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann
Piper Verlag, 2012
150 Seiten, 14,99 Euro
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