Sizilien

Ein Priester kämpft gegen den "Umweltkrebs"

Rauch steigt aus einem Schornstein.
Bereits 815 Menschen sind in Augusta an Lungenkrebs gestorben. © picture-alliance / dpa / Armin Weigel
Von Thomas Migge · 26.06.2016
Nirgendwo in Italien sterben mehr Menschen an Lungenkrebs als im sizilianischen Augusta. Verantwortlich dafür sollen die zahlreichen chemischen Fabriken in der Region sein. Der Priester Don Palmiro Prisutto kämpft gegen die "tödliche Luft".
Ein Name nach dem anderen. Über 800 werden einmal im Monat, jeweils am letzten Sonntag eines Monats, in der barocken Kirche Chiesa Madre am zentralen Domplatz verlesen. Am Altar steht ein älterer, kräftig und kämpferisch wirkender Geistlicher, der mit ernstem Gesicht die Namen aufzählt. Von Monat zu Monat werden es mehr.
Es sind die Namen von Verstorbenen, die Don Palmiro Prisutto hier vorliest. Von bis dato 815 Bürgern der sizilianischen Hafenstadt Augusta, die, davon ist der katholische Geistliche überzeugt, Opfer von desinteressierten Unternehmern und Politikern geworden sind:
"Um es auf den Punkt zu bringen: die Stadt Augusta und ihre nächste Umgebung sterben. Leben kann man hier nicht mehr. Stellen Sie sich vor, die Kinderabteilung im städtischen Krankenhaus wurde jetzt geschlossen. Hier kommen drei Mal so viele behinderte Kinder wie anderswo in Italien zur Welt. Mittlerweile übersteigt die Zahl der Totgeburten die der Lebendgeburten."

36.000 Einwohner, 12 Chemiefabriken

Augusta, an der Ostküste Siziliens. Gegründet im 13. Jahrhundert vom Stauferkaiser Friedrich II. Etwa 36.000 Einwohner hat die Stadt heute. Hier steht Italiens größte Anlage für Erdölverarbeitung. Außerdem befinden sich auf etwa 40 Quadratkilometern zwölf chemische Fabriken. Sie sind der wichtigste Arbeitgeber in Ostsizilien. Ein mörderischer Arbeitgeber, davon ist Don Palmiro überzeugt:
"Schon 2005 protestierten hier auf dem Domplatz tausende von Menschen, auch Oppositionspolitiker der Grünen waren anwesend, gegen den stummen Massenmord, der hier stattfindet. Über die Opfer dieses Massenmords wird in der Regel nicht gesprochen."
Nirgendwo sonst in Italien ist die Zahl der an Lungenkrebs Verstorbenen so hoch wie in Augusta. Mindestens 800 Bürger sind den kommunalen Gesundheitsbehörden zufolge in den vergangenen zehn Jahren durch die Luftverschmutzung erkrankt und gestorben. Der "Umweltkrebs", wie der katholische Geistliche ihn nennt, hat auch in seiner Familie Opfer gefordert: Seine Schwester starb daran, sein Bruder ist schwer erkrankt, zwei Neffen kamen missgebildet zur Welt.
Umwelt- und Bürgerorganisationen, Linkspolitiker, Grüne und Gewerkschafter unterstützen Don Palmiro im Kampf gegen das Verschweigen dieser Realität. Zu seinem Kampf gehören nicht nur das Verlesen der Namen der Verstorbenen, sondern auch das Organisieren von Demonstrationen durch die Stadt, Sit-ins vor dem Rathaus und den Toren der petrochemischen Unternehmen sowie ständige Auftritte im Fernsehen und im Radio. Das alles soll dazu dienen, dass die Luftverschmutzung von Augusta endlich als solche anerkannt wird. Dazu Mara Nicotra, Biologin und Mitarbeiterin Don Palmiros:
"Seit Jahren klagen wir gegen diese Verschmutzung, gegen die wir nicht viel unternehmen können, weil die Behörden auf der Seiten der Unternehmen zu stehen scheinen. Und die Unternehmen behaupten, dass die tödliche Luft bei uns nicht von den Fabriken verursacht wird."

Don Palmiro hofft auf die Hilfe des Papstes

Don Palmiro nennt die Dinge beim Namen. Das kommt nicht nur bei Politikern und Unternehmern schlecht an, sondern allem Anschein nach auch bei seinem Bischof Salvatore Pappalardo. Er hat im April die Versetzung des aufmüpfigen Geistlichen angeordnet.
Kurz nachdem diese Nachricht bekannt wurde, versammelten sich hunderte aufgebrachte Bürger vor dem Dom, um gegen die Entscheidung zu demonstrieren. Der Umweltschützer Marco De Bittis erklärt:
"Wir lassen uns nicht aufhalten in unserem Kampf. Wir machen weiter, und wenn es uns das Leben kosten wird!"
Tausende von Bürgern stehen hinter Don Palmiro. In einem Brief an Papst Franziskus legte er jetzt seine Gründe für seinen Kampf dar. Don Palmiro hofft, dass der Verfasser der ersten Umweltenzyklika seine Klage erhören wird und ihn in seinem Kampf für gesunde Luft im sizilianischen Augusta unterstützen wird.
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