Situation in Weißrussland für Künstler und Journalisten "nicht akzeptabel"

Sabine Adler im Gespräch mit Katrin Heise · 21.09.2012
Als jemand mit regierungskritischen Ansichten wahrgenommen zu werden, sei aussichtslos, sagt die Deutschlandradio-Korrespondentin Sabine Adler zur Lage in Weißrussland vor den Parlamentswahlen. Sie selbst sei unsicher, ob es mit ihrer Wiedereinreise klappen wird: "Es ist pure Willkür."
Katrin Heise: Seit 18 Jahren beziehungsweise im achtzehnten Jahr regiert Alexander Lukaschenko in Weißrussland. Am Sonntag sind Parlamentswahlen, die von den beiden größten Oppositionsparteien boykottiert wird, nachdem es vorher schon zu Unregelmäßigkeiten kam. Journalisten, auch eine Deutschlandradio-Kollegin, wurden nicht ins Land gelassen, ein ZDF-Team und andere Berichterstatter wurden vor einigen Tagen attackiert in Minsk, als sie über eine Protestaktion oder Wahlkampfaktion berichten wollten. Die OSZE-Beobachterin Marie-Luise Beck wurde nicht ins Land gelassen – diese Abfolge im Vorlauf lässt erahnen, wie dünn das Eis der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit in Weißrussland ist.

Wie Künstler damit eigentlich umgehen, das konnte Sabine Adler beobachten, die als Korrespondentin gerade aus Minsk zurückgekommen ist und jetzt bei mir im Studio zu Gast ist. Da freue ich mich drüber. Schönen guten Tag, Frau Adler!

Sabine Adler: Guten Morgen!

Heise: Sie waren also gerade vor einer Woche dort. War das eigentlich einfach für Sie, reinzukommen? Also, wenn man das gerade von diesen Visumsgeschichten hört?

Adler: Also, das war natürlich spannend bis zum Schluss. Das wird auch morgen früh im Übrigen wieder spannend, wenn ich dann zur eigentlichen Wahl hinfahre. Ich habe ein Zweifachvisum. Und man muss eigentlich da immer bis zum Schluss damit rechnen, dass man dann doch nicht reingelassen wird, aus welchen Gründen auch immer. Da gibt es ein paar Stolpersteine dann. Direkt, bevor man durch die Zollkontrolle geht oder durch die Passkontrolle, muss man noch eine Versicherungskarte kaufen für einen Euro, glaube ich, pro Tag. Und wer das nicht macht, weil er sagt, wir haben doch hier mit dem Visum, mit der Erteilung des Visums schon gezeigt, dass wir eine Auslandskrankenversicherung haben und sich dann weigert – das habe ich neulich erlebt also bei der letzten Einreise – das ist dann auch schon mal ein Grund.

Also, an solchen Mätzchen sozusagen muss man sich jetzt nicht unbedingt ausprobieren oder Kräfte messen. Das ist nicht notwendig. Und ich bin ganz, ganz sicher, dass es irgendwelche andere Gründe gibt, mich nicht reinzulassen. Ich rechne ein bisschen damit, aber es kann natürlich auch sein, und so funktioniert ja auch dieses System: Es ist pure Willkür, es gibt überhaupt keine Begründungen.

Heise: Also man kann sich auf nichts einstellen, es ist nicht berechenbar, und das gilt natürlich nicht nur für ausländische Beobachter oder Journalisten, sondern natürlich auch im Land wahrscheinlich. Zusammenfassend ist es völlig willkürlich, ob oder ob nicht, und nicht an Funktion oder aktuelle Ereignisse selbst nicht festzumachen, nicht, denn die Deutschlandradio-Kollegin, die abgewiesen wurde, das ist ja auch schon vor einiger Zeit gewesen.

Adler: Das war vor einiger Zeit, und ich habe versucht, die Begründung dafür zu erfahren, und es gab keine Begründung. Es gab sozusagen ein Schulterzucken, und auch derjenige, mit dem man da zu tun hat, das weiß man ganz genau, das ist ein ganz kleines Licht, und der sagt, ja, es wird irgendwas mit den Papieren nicht gestimmt haben, was man natürlich vergessen kann.

Heise: Selbst der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Löning, ist ja schon mal abgewiesen worden.

Adler: Mal reingekommen, mal abgewiesen worden – ganz willkürlich.

Heise: Also bei diesem Wissen um diese leichte Reizbarkeit staatlicher Behörden, auch, was ich gerade geschildert habe, was so in den letzten Tagen passiert ist, fragt man sich natürlich nach den Möglichkeiten der Meinungsäußerung im Land selber für die Bürger Weißrusslands. Von Journalisten weiß man immer wieder, Menschenrechtsorganisationen berichten über Verhaftungen von Journalisten und Aktivisten – wie mutig können eigentlich Künstler sein, Intellektuelle, die sich ja auch immer wieder zu Wort melden?

Adler: Also es ist in Weißrussland nicht mehr so wie in der Sowjetunion, wo man sozusagen am Küchentisch mit den engsten Freunden und Familienmitgliedern diskutiert hat über Politik. Man kann, und das wird auch getan, ganz offen reden. Das ist völlig in Ordnung, und, ich glaube, der größte Unterschied ist, und den muss man sich wirklich auch vor Augen halten, die Weißrussen können jederzeit das Land verlassen. Natürlich will das keiner. Und das kann ja auch nicht der Ausweg sein, dass man sich irgendwo anders eine neue Existenz aufbaut und sie müssen – die nächste Umgebung sind Schengen-Länder dann – da kommen sie auch nicht so ohne Weiteres rein. Also gehen dann auch viele zum Beispiel zum Arbeiten nach Russland. Das heißt also, es ist kein hermetisch abgeriegelter Bereich.

Aber es ist so, wer sich einmischen möchte und auch wahrgenommen werden möchte von den staatlichen Medien zum Beispiel oder überhaupt in der öffentlichen Meinung, der hat es sozusagen schwer. Das ist aussichtslos. Als jemand mit regierungskritischen Ansichten wahrgenommen zu werden in dem vorgegebenen und akzeptierten öffentlichen Raum. Und das ist natürlich eine Situation, die für Künstler oder auch für Politiker, für Oppositionspolitiker oder eben auch für Journalisten einfach nicht akzeptabel ist, dass da eine Diktatur einen Raum für sich in Anspruch nimmt und sagt: Das ist der öffentliche Raum, das ist das, was wir an Meinung zulassen und ...

Heise: Und da hast du keinen Platz ...

Adler: ... und da hast du keinen Platz, da kommst du nicht rein. Das ist nicht akzeptabel.

Heise: Ingo Petz schrieb gestern in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass unter der Oberfläche die weißrussische Gesellschaft mittels hier so Umweltprojekten, Kulturprojekten und Sozialprojekten sehr aktiv scheint, oder aktiver ist, als es immer so scheint. Ist Ihnen das auch so aufgefallen?

Adler: Ja, das fand ich auch. Und ich fand das auch sehr erfrischend eigentlich, das wahrzunehmen, wie viel an Initiative da ist. Und diese Initiative, die ist sehr wohl und sehr sorgfältig aufgesplittert. Das ist im Bezug auf die Opposition genau sozusagen die missliche Kehrseite dieser ganzen Geschichte. Es gibt eben dann doch sehr viele Oppositionsbewegungen und auch Parteien, und die sind nicht in der Lage, leider Gottes, warum, das ist noch einmal ein anderes Thema, sich zu bündeln, sich zusammenzutun zu einer großen, geeinten Oppositionsbewegung.

Aber zum Beispiel bei der Kunst ist es so: Es gibt eben tatsächlich viele Initiativen – oder nicht viele, aber doch einige Initiativen, die durchaus wahrnehmbar sind. Die bleiben, und das hat zum Beispiel das Goethe-Institut bei seiner letzten Ausstellung in Minsk wirklich auch ausgenutzt. Die sind so klein, dass sie unter dieser öffentlichen Wahrnehmung bleiben, aber dennoch wahrgenommen werden. Also man weiß zum Beispiel, als ich diese Galerie U gesucht habe, in der diese Ausstellung stattfand, die hätte man nicht gefunden, wenn man es nicht gewusst hätte. Aber jeden, den man gefragt hat auf der Straße in einem ziemlich großen Umfeld ...

Heise: ... der hat es gewusst?

Adler: Der hat es gewusst. Und das fand ich dann doch wieder ganz interessant. Und was dann möglich ist, und das ist dann auch ganz spannend, wenn man das dann erst mal weiß und findet, was dann an freier Äußerung möglich ist und auch genutzt wird. Und da gibt es so ganz unterschiedliche Ausstellungsprojekte, die man auf den ersten Blick, ehrlich gesagt, nicht so richtig begreift in ihrer Tragweite, auch in ihrer politischen Aussage. Also es gab da zum Beispiel ein Foto mit der gleichen männlichen Gestalt einmal in Wehrmachtsuniform und einmal in der Uniform eines Rotarmisten. Damit kann man ohne Erklärung nicht wirklich etwas anfangen. Aber wenn man dann weiß, dass das eine immense Kritik an dem Geschichtsbild in Weißrussland ist. Dann wird es doch spannend.

Heise: Deutschlandradio-Korrespondentin Sabine Adler war vor Kurzem in Minsk und berichtet uns jetzt vor den Wahlen am Sonntag von der Stimmung im Land. Frau Adler, wenn ich das richtig verstehe: Das ist eines der großen Tabuthemen, oder, die Geschichtsaufarbeitung?

Adler: Exakt. Also es ist ähnlich eigentlich wie in Russland: Man rührt an diesem Sieg im großen vaterländischen Krieg nicht. Alle waren entweder Opfer, also das Volk war Opfer, was es ja auch war. Man hat Millionen Menschen verloren, in Weißrussland ein Viertel der Bevölkerung. Und auf der anderen Seite wird sozusagen diese eigene Beteiligung, das Vorgehen der Roten Armee, auch dieses unglaubliche Blutvergießen, sinnlose Blutvergießen in den eigenen Reihe, weil schlechte Offiziere oder unerfahrene Offiziere falsche Befehle gegeben haben unter anderem, das wird überhaupt nicht thematisiert. Und es wird auch nicht thematisiert, dass in Weißrussland es Partisanen gab, die gegen die Rote Armee gekämpft haben und eben nicht nur gegen die Deutschen.

Heise: Das heißt also, da gehört dann Mut zu, das zu thematisieren.

Adler: Das geht in einer solchen Galerie, weil es dort eben sozusagen ignoriert wird von der Staatsmacht. Oder eben auch nicht, das muss man eben abwarten. Dieses Projekt hätte niemals eine Chance, auch andere Projekte nicht, niemals eine Chance in einem wahrnehmbaren oder in einem geförderten Museum, in einem Kunstmuseum in Weißrussland offiziell ausgestellt zu werden. Niemals.

Heise: Sprechen wir eigentlich ausschließlich über Minsk oder hat das dann doch oder kann das irgendwelche Einflüsse aufs Land haben?

Adler: Das hat Einflüsse aufs Land. Das sieht man an einem ganz, ganz anderen Beispiel, nämlich bei dem Bau des Atomkraftwerkes in Grodno, das ist ganz nah an der Grenze zu Vilnius, also zu Litauen. Da gibt es auch eine Bürgerbewegung, die sehr wohl protestiert gegen diesen Bau. Und die auch wahrnehmbar ist, aber die eben so klein und so zersplittert wiederum ist, dass es, ja, die Macht sozusagen nicht wirklich interessiert. Und es gibt andere Beispiele, wenn wir wieder zurückkommen zur Kunst, zur Musik zum Beispiel. Da ist es so: Jeder Künstler, der sich irgendwie politisch äußert, und ich habe einen Künstler getroffen, Lawon Wolski heißt er, ein Musiker, ein Pop-Musiker, der ist, ich weiß nicht, zwei Jahre lang tätig gewesen für "Radio Liberty", hat da einmal pro Woche einen Song gegen das System, gegen Lukaschenko gemacht, also auf eine sehr kritische und ironische Art und Weise und humorvolle Art und Weise, also im Lied dieses System sehr regelmäßig zwei Jahre lang kritisiert. Seitdem hat Lawon Wolski in Weißrussland, und das gilt für das gesamte Land, Auftrittsverbot. Er tritt, wenn er auftritt, nur im Ausland auf.

Heise: Eine Frage noch: Wie gehen eigentlich die Intellektuellen mit der mehr oder weniger, ja, mit dem Boykott Weißrusslands durch die europäischen Länder um?

Adler: Das ist eine ganz schwierige Geschichte, und da ist man eigentlich ein bisschen, ja, liegt man über Kreuz mit der Europäischen Union und auch mit der Haltung der westlichen Regierungen.

Heise: Man würde sich Hilfe wünschen.

Adler: Man würde sich Hilfe wünschen und man gibt auch zu, ja, diese Hilfe gibt es auch. Die wird allen möglichen Dissidenten, die aus Weißrussland weggegangen sind in die umliegenden Länder, in Polen, in Litauen, in Estland, wo auch immer sie sind, wird diese Unterstützung zuteil. Aber die Opposition selbst im Land erfährt diese Hilfe nicht und sagt: Ihr bestraft uns mit der Isolierung des Systems auch alle gleich mit. Wir werden hier in Kollektivhaft genommen.

Heise: Frau Adler, für Ihre Reise morgen wünsche ich Ihnen dann viel Glück. Und wenn Sie reinkommen, werden wir ja sicherlich von Ihnen hören. Vielen Dank für Ihren Besuch. Weißrussland vor der Wahl am Sonntag. Beobachtungen waren das von unserer Korrespondentin Sabine Adler. Danke Ihnen für das Gespräch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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