"Situation für den griechischen Bürger wird schlimmer und schlimmer"

Dimitri Droutsas im Gespräch mit André Hatting · 08.02.2013
Griechenland soll künftig eine Milliarde Euro weniger im Jahr aus Brüssel erhalten, plant der EU-Ratspräsident. Der griechische Politiker Dimitri Droutsas will dagegen das Europaparlament mobilisieren: Kürzungen träfen das tägliche Leben der Griechen.
André Hatting: Wie viel Geld brauchen die armen Länder in der EU? Weniger als bisher, finden die reichen, die sogenannten Nettozahler, allen voran Deutschland. Sie wollen in Brüssel bei den Haushaltsberatungen durchdrücken, dass der Beitrag für strukturschwache Länder wie Polen, Ungarn oder Spanien sinkt. Auch Griechenland bekommt Geld aus diesem Fonds, in den letzten sechs Jahren waren es zwanzig Milliarden Euro. Das macht im Jahr etwa 300 Euro für jeden Griechen. Ratspräsident van Rompuy will das reduzieren. Sein Vorschlag: 2014 bis 2020 sollen es nur noch 14 Milliarden sein, umgerechnet als 212 Euro pro Kopf im Jahr. Am Telefon ist jetzt Dimitrios Droutsas von der sozialdemokratischen Pasok. Er war bis 2011 Außenminister von Griechenland und ist jetzt Mitglied des Europaparlaments. Guten Morgen, Herr Droutsas!

Dimitrios Droutsas: Guten Morgen!

Hatting: Eine Milliarde weniger im Jahr soll es für Griechenland künftig geben. Was würde das für Ihr Land bedeuten?

Droutsas: Griechenland, das ist bekannt, geht durch eine sehr, sehr schwierige finanzielle Krise, und was das Land braucht, ist neben den notwendigen Strukturreformen, neben den notwendigen auch Sparmaßnahmen, dringend Investitionen aus dem Ausland. Und jeder Euro, der in Griechenland investiert wird, bedeutet für Griechenland, für die griechische Bevölkerung mehr Hoffnung für den notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung, mehr Hoffnung für die notwendige Stabilität. Daher ist, glaube ich, jeder Euro, der nach Griechenland fließt, ein gut investierter Euro für die Zukunft, für die Stabilität des Landes. Und dadurch, das darf man bitte auch nicht vergessen, für die Stabilität des Euros, der gesamten Eurozone.

Hatting: Für die Berechnung der neuen Fördergelder stützt sich die EU auf Daten von 2007 bis 2009. Ein Nachteil für Griechenland?

Droutsas: Ich denke doch, dass dies ein Nachteil ist, denn die wirtschaftlichen Bedingungen haben sich sehr stark geändert in Griechenland. Vergessen wir bitte nicht, dass die tatsächliche Krise erst mit Beginn 2010 wirklich sichtbar und spürbar wurde, vergessen wir bitte auch nicht, dass aufgrund dieser Krise und der Sparmaßnahmen, die aufoktroyiert wurden auf Griechenland und die griechische Bevölkerung, das Wirtschaftswachstum sehr, sehr stark zurückgegangen ist. Griechenland befindet sich seit einigen Jahren jetzt in einer Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt ist gesunken, knapp 25 Prozent gesunken im Vergleich zu den letzten Jahren. Das heißt also, dass die Bedingungen und auch die Zahlen, wenn Sie so wollen, ganz verschieden sind, ganz anders sind als eben in dem Berechnungszeitraum, den sie genannt haben.

Hatting: Herr Droutsas, Sie haben vorhin gesagt, dass jeder Euro für Griechenland wichtig sei. Es gibt allerdings Untersuchungen von Wirtschaftswissenschaftlern, dass diese Regionalförderung in Griechenland gar nicht so viel bringt. Der Grund: Nicht einmal die Hälfte der Subventionen wird von Athen wirklich abgerufen, auch, weil die Anträge in der Bürokratie versanden.

Dimitris Droutsas, griechischer Vizeaußenminister
Dimitris Droutsas© AP
"Verwaltung steht auf einem sehr niedrigen Niveau"
Droutsas: Das ist etwas, das ich nicht leugnen kann. Das ist eine Tatsache, eine bittere Tatsache auch für Griechenland, dadurch, dass eben die öffentliche Verwaltung insbesondere auf einem sehr niedrigen Niveau steht, dass die Bürokratie in Griechenland bekanntermaßen ein sehr, sehr großes Ausmaß besitzt. Es ist eine Tatsache, dass bis dato auch EU-Gelder, die über den sogenannten Kohäsionsfonds geflossen sind nach Griechenland für Projekte, Infrastrukturprojekte und andere Dinge, hier nicht so effizient umgesetzt werden konnten.

Das heißt aber bitte nicht, dass man hier automatisch sagen muss, Kürzungen sind für Griechenland ohne nennenswerte Folgen. Wir müssen eben darauf hinarbeiten hier in Griechenland, das ist, glaube ich, das allererste, was wir tun müssen, die notwendigen Strukturreformen aufzubauen, hier die Bürokratie zu mindern, hier unseren Staatsapparat zu modernisieren. Ich glaube, das ist das, was vordergründig ist, mit Hilfe der EU-Partner, und dann ist, glaube ich, jeder Euro, der nach Griechenland fließt als Investition, eine gute Investition.

Hatting: Sind eigentlich die Gelder aus dieser Strukturförderung, aus diesem Kohäsionsfonds, sind die dazu da, die Wirtschaftskrise in Griechenland abzufedern? Es gibt dafür doch schon Milliardenkredite von EU, IWF und Co.

Droutsas: Das darf man nicht vergessen, dass diese Milliardenkredite der EU-Partner, des IMF und so weiter, dass diese Kredite mehr in die Richtung gegangen sind, um Griechenland das Bankensystem zu stabilisieren und Griechenland vor dem Bankrott zu retten. Dieses Geld, und das ist, glaube ich, auch insbesondere in der deutschen öffentlichen Diskussion nicht so bekannt, diese Hilfsgelder, die nach Griechenland geflossen sind, sind leider nicht in diese Richtungen geflossen, dass hier der griechische Bürger wirklich direkt etwas davon hat. Und auch das ist mein Anliegen, zu betonen und klarzustellen, die Situation für den griechischen Bürger wird schlimmer und schlimmer.

Warum? Es sind sehr, sehr große, sehr, sehr scharfe Sparmaßnahmen aufoktroyiert worden, das heißt, dass der griechische Bürger konfrontiert ist mit großen Kürzungen in seinem Einkommen. Gehaltskürzungen, Pensionskürzungen, bis zu 40 Prozent. Parallel dazu Steuererhöhungen, mehr Auflagen sind gemacht worden. Der griechische Bürger muss jetzt mehr an den Staat liefern, mehr zahlen. Das heißt also, dass sein Lebensstandard sehr zurückgegangen ist. Die Mittel des Kohäsionsfonds, die Mittel des Strukturfonds der Europäischen Union, diese können viel direkter in jene Bahnen gerichtet werden, die für das tägliche Leben des griechischen Bürgers zu tun haben. Und das wäre sehr, sehr wichtig in dieser Situation.

Hatting: Vor einer halben Stunde etwa gab es die Eilmeldung, dass man sich in Brüssel auf eine Haushaltsobergrenze geeinigt habe. Die soll bei 960 Milliarden Euro liegen für die nächsten sieben Jahre. Das sind rund 15 Milliarden weniger als bislang. Nun ist es so, dass nicht nur die 27 Mitgliedsstaaten, sondern auch das EU-Parlament über den neuen Haushalt entscheidet. Wenn es zu diesen geplanten Kürzungen kommt, werden Sie und die sozialistische Fraktion dann dagegen stimmen?

"Sparmaßnahmen sind überall notwendig"
Droutsas: Schauen Sie, es ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig, dass jetzt zum ersten Mal das Europäische Parlament wirklich ein Mitbestimmungsrecht hat, was den EU-Haushalt anbelangt. Und wir werden uns das jetzt genau anschauen müssen im Europäischen Parlament. Nicht nur meine eigene Fraktion, ich glaube, alle Fraktionen. Dazu sind wir auch gewählt worden vom europäischen Bürger, um jetzt einmal genau zu sehen, was geschieht mit diesen Geldern, denn ich möchte betonen: Es geht jetzt nicht nur um die Gesamtsumme, und Sparmaßnahmen sind überall notwendig. Wir gehen durch eine Krise durch, und wir müssen hier auch Kürzungen hinnehmen, keine Frage. Es geht aber viel mehr darum, wo diese Gelder fließen sollen, die jetzt beschlossen worden sind, und wo eben solche Kürzungen vorgenommen worden sind.

Wenn es sich um Kürzungen handelt, wo man wirklich einsparen kann, dort, wo zu viel Geld sinnlos, wenn Sie wollen, ausgegeben werden, dann finden Sie bei mir offene Türen, dann rennen Sie bei mir offene Türen ein. Sollte es aber sich um Kürzungen handeln, die zum Beispiel im Bereich der Forschung, der Innovation gehen, in den Bereichen, wo wirklich das tägliche Leben, der Alltag des europäischen Bürgers negativ beeinflusst ist, da werden wir, glaube ich, im Europäischen Parlament uns das sehr, sehr genau anschauen müssen, denn das ist unsere Aufgabe, dafür sind wir ja auch gewählt worden, um hier das möglichst Richtige zu tun für den europäischen Bürger.

Hatting: Der Europaparlamentarier Dimitri Droutsas von der sozialdemokratischen Pasok. Vielen Dank für das Gespräch!

Droutsas: Ich danke Ihnen auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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