Singen als Brauchtumspflege

Von Georg Gruber · 23.08.2013
Im oberbayerischen Kolbermoor pflegen zahlreiche Sänger noch das traditionelle Liedgut. Im alten Rathaus trifft sich seit Jahrzehnten der "Mannergsang" - und manch einer kannte sogar noch den Kiem Pauli, der als Bewahrer der oberbayerischen Volksmusik galt.
Kolbermoor in Oberbayern. Im ehemaligen Rathaus im Zentrum des Städtchens ist die "Stadtsing- und Musikschule" untergebracht. Im ersten Stock probt jeden Montagabend der Frauenchor, im zweiten Stock, im holzvertäfelten Stüberl oben unterm Dach trifft sich der "Mannergsang", der Männergesang. An diesem Abend wird allerdings vor der eigentlichen Probe noch angestoßen, mit einem Gläschen Wein. Der Huber Willi hatte Geburtstag:

"Wir wünschen dir eine gute Gesundheit und ein langes Leben. Prost Willi!"

Klar, dass er sich auch ein Lied wünschen darf. Peter Maier spielt die Zither, er leitet den "Mannergsang" seit 1974. Zu neunt sind sie, erste, zweite und dritte Stimme doppelt besetzt, der Bass dreifach.

Zither, Gesang: "Wie wundaloa is ma ..."

Peter Maier: "‘Wie wundaloa is ma‘, wie wunderlich ist mir, ‚seid I nimma hob gsehgn mei routgwanglats‘ - rotbäckiges müsste man sagen – ‚mei rotgwanglads Dirnei, werd ihr denascht nix g’schehgn‘. Bayerisch kann man nicht so ohne weiteres übersetzen, weil das ist eine ganz eigene Grammatik, das Bayerisch. Also man kann ja oft mit zwei drei Wörtern im Bayerischen mehr sagen, als im Hochdeutsch mit einem ganzen Satz. In dem Dialekt da klingt das irgendwie so feinfühlig, find‘ ich."

Heiner Seyfried gründete den "Mannergsang"
Gegründet hat den Mannergsang ein anderer, der auch noch immer mitsingt, Heiner Seyfried. Er war in den Sechzigerjahren als Lehrer nach Kolbermoor versetzt worden und hatte vorher in München in einem Viergsang gesungen. Die Sänger sehen sich in der Tradition des Kiem Pauli, des großen Sammlers oberbayerischen Liedgutes, der Ehrenmitglied im Kolbermoorer Chor gewesen war. Die Lieder handeln von den Bergen - und vom Jagen und der Liebe.

Heiner Seyfried: "Dass wir Gämsen und Hirschen aufwarten und warten, dass sie uns vor die Flinte laufen und dann schießen wir sie - die wenigsten von uns sind Jäger, aber alle kennen wir jemand, der jemand kennt, der Jäger ist, wenn Ihnen das was sagt. Mit der Liebe ist es auch so, wir singen Liebeslieder, weil wir waren ja auch mal alle jung und haben unsere Vorlieben gehabt zum Tanzen und die blondhaarigen Dirndl und was halt alles so ist, und erinnern können wir uns noch, singen tut sich das noch ganz gut."

Brauchtumspflege, das Liedgut vor dem Vergessen bewahren - darum geht es den Männern. Bayrisch ist als Alltagssprache auf dem Rückzug.

Peter Maier: "Ich komme mir manchmal schon vor, als wenn ich in Norddeutschland wohnen würde, weil die Kinder alle hochdeutsch sprechen. Es ist eine Seltenheit, dass da noch ein Kind bayrisch spricht, ist so. Es ist halt ein bisschen so ein Vorurteil vorhanden, dass man, wenn man Dialekt spricht, eher beschränkt ist."

Auf über 30 Auftritte kommen sie im Jahr, in Kolbermoor und Umgebung. Und in der Adventszeit schon auch mal in München im Landtag:

Peter Maier: "Und da waren die ganzen Minister da, da haben wir die Weihnachtsfeier gestaltet, das war für uns schon einen Auszeichnung."

Eines ist allen wichtig: Was der Mannergsang macht, darf man nicht mit volkstümlicher Musik im Musikantenstadl-Stil verwechseln. Nobert Scherbaum, der schon seit vielen Jahren mitsingt:

"Wir sind beim Musikantenstadl optisch weit entfernt, beim Herzen weit entfernt und auch vom Musikgut weit entfernt. Und wir haben nicht eine Schickimicki-Lederhosen an, sondern wir haben eine echte bayerische Lederhosen an, im Sommer eine kurze, im Winter eine dreiviertelte.

"Wir sind halt wie so Brüder beieinander"
Und eigentlich gibt’s ja den Begriff der echten Volksmusik und da würden wir uns aus Überzeugung dazu zählen, und nicht Musikantenstadl, das ist für die anderen schön, für uns ist das schön, was wir, unsere Väter, unsere Großväter und wenn wir Glück haben, unsere Kinder auch mal tun."

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum sich die Männer seit Jahrzehnten oben in der holzvertäfelten Stube treffen, wie Emil Hackenberger erklärt. Er ist der älteste mit über 80 Jahren.

Emil Hackenberg: "Was das besondere ist? Der Zusammenhalt, wir sind halt wie so Brüder beieinander, und das ist halt viel wert."

Selbst Nicht-Bayern sind willkommen, so wie Herbert Schröers, der aus Krefeld stammt und erst seit sechs Jahren in Kolbermoor lebt:

Herbert Schröers: "Man hat mich hier sehr freundlich aufgenommen, und ich freue mich sehr, dass ich mitsingen darf. Ich hab einen guten Lehrer, durch den Heiner, der mir die Texte übersetzt, damit man auch versteht, was man singt, damit man es auch vernünftig singen kann. Reden kann ich nicht bayerisch, werde ich auch nicht, aber singen geht dann schon."


Deutschlandradio Kultur stellt jeden Freitag um 10:50 Uhr im "Profil" Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" stehen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes, jeden Alters, jeder Formation und Größe oder Stilrichtung, seien sie Mitglied eines Chorverbands oder auch nicht.

Mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Chorverbands
Mehr zum Thema