Singapur

Wie Multikulti im Stadtstaat funktioniert

Das Parlamentsgebäude in Singapur
Das Parlament in Singapur wird von der People's Action Party beherrscht © dpa/picture-alliance/Wallace Woon
Von Peter Kujath · 21.01.2016
In Singapur leben Chinesen, Malaien und Inder friedlich zusammen. Das ist nicht immer so gewesen, doch der kleine Stadtstaat hat aus seiner Vergangenheit gelernt - und setzt zugleich auf eine strenge Politik.
"Da ist natürlich immer die Angst vor Unruhen, die genutzt wird. In den 60er Jahren gab es Ausschreitungen zwischen den Chinesen und den Malaien. Die Malaien sind die ursprünglichen Bewohner, die um ihr angestammtes Recht gebracht worden sind, nachdem die Chinesen politisch und wirtschaftlich die Führung übernommen haben."
Die Chinesen stellen heute rund 74 Prozent der Bevölkerung in Singapur. 13 Prozent werden der malaiischen Urbevölkerung zugerechnet und 9 Prozent sind Einwanderer aus Indien, ursprünglich dem südlichen Tamil sprechenden Teil.
"Innerhalb dieser Kategorien gibt es wiederum sehr große Unterschiede", ...
betont Indira Arumugam. Sie ist Junior-Professorin an der National University of Singapore. Nach der Gründung als unabhängigem Staat 1965 kam es zu Unruhen zwischen den Ethnien, die bis heute als Triebfeder für einen Integrations- und Identitätsprozess dienen.
"Weil so große Teile der Gesellschaft des sozialen Lebens in Singapur von der Regierung kontrolliert werden, ist dieses friedliche Zusammenleben möglich. In Indien, Europa oder den USA wäre so ein Einfluss des Staates nicht vorstellbar. Singapur ist ein kleiner Staat. Man ist von Kindheit an gewöhnt, dass es ein 'social engineering' gibt, staatliche Eingriffe zur Verbesserung der gesellschaftlichen Strukturen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Amerikaner diese Art von Einmischung hinnehmen würden."
Viel "social engineering" in Singapur
Singapur wird als parlamentarische Demokratie de facto von einer Partei, der People's Action Party, beherrscht. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt, die staatliche Kontrolle in vielen Bereichen ausgeprägt. Kapitalismus mit Sinn für die Gemeinschaft prägt wie in vielen Ländern Asiens das Wirtschaftssystem. Beispiele für das social engineering findet man beim öffentlichen Wohnungsbau oder im Erziehungssystem.
"Die meisten Kinder gehen dort zu Schule, wo verschiedene Ethnien um sie herum sind. Sie bekommen sozusagen die Unterschiede als normal mit. Man geht gemeinsam in den Unterricht und spielt zusammen. Ich denke, die Grundpfeiler für die multikulturelle Gesellschaft sind der staatliche Wohnungsbau und das Erziehungssystem."
Der Staat fördert und regelt den öffentlichen Wohnungsbau. HDB, das Housing and Development Board, gilt als die Errungenschaft in Singapur. In seinem Auftrag werden Häuser oder ganze Appartement-Komplexe errichtet. Jeder Bürger kann sich um den Kauf einer Wohnung in Erbpacht bemühen, deren Preis deutlich unter dem Marktpreis liegt. Allerdings werden die Appartements entsprechend der Bevölkerungsanteile vergeben, das heißt Chinesen erhalten etwa Dreiviertel der Wohnungen, während sich Inder und Malaien das restliche Viertel teilen.
"Es gibt Quoten für das öffentliche Wohnsystem. Es müssen die Minderheiten in dem Appartementhaus vertreten sein. Das bedeutet auch, dass du deine Wohnung nicht an irgendjemanden weiterverkaufen darfst, wenn er nicht aus der gleichen Volksgruppe kommt. Das ist ein Weg, um die verschiedenen Ethnien zu integrieren."
Zudem sind die Wohnblocks so konzipiert, dass sie im Erdgeschoss eine freie Fläche haben, die für Festlichkeiten aller Art genutzt werden kann.
"Und in diesen Wohnblöcken kann man erleben, dass sich die Menschen gegenseitig einladen, wenn zum Beispiel Feste gefeiert werden. Es geht also nicht nur um das Wohnen sondern um das Drumherum. Die Bewohner kommen bei Hochzeiten zusammen oder wenn Feiertage begangen werden wie das Deepavali-Festival der Hindus oder das chinesische Neujahrsfest oder das Hari Raya der Malaien."
Singapurs Nationalitätenpolitik ist teuer
Rund 80 Prozent der Singapurer leben in diesen HDB-Komplexen. Die Touristenzentren Little India, Chinatown oder die Arab-Street beherbergen vor allem Einkaufs- und Essmöglichkeiten der entsprechenden Volksgruppe. Die Regierung versucht auch hier, mit staatlichen Wohnbauprojekten eine Ghettobildung zu vermeiden. In der Verwaltung von Singapur sind alle Volksgruppen vertreten – sieht man einmal von der Führungsebene der kleinen, singapurischen Armee ab.
"Es gibt die beständigen Klagen, dass Malaien keine höheren Positionen im Militär bekleiden dürfen, weil sich Singapur als mehrheitlich chinesischer Staat in einer malaiischen Region befindet."
Der Prozess der Bildung einer Identität als Singapurer ist auch nach 50 Jahren Unabhängigkeit nicht abgeschlossen. Dank der boomenden Wirtschaft konnte sich Singapur diese Art der Nationalitätenpolitik leisten. Mittlerweile wächst die Wirtschaft langsamer, aber noch besteht die Übereinstimmung zwischen den Bürgern und der politischen Führung, meint die Soziologin Indira Arumugam.
"Es ist eine Art von Gesellschaftsvertrag. Einverstanden - ihr gebt uns wirtschaftlichen Wohlstand und wir akzeptieren eure Regeln. Es ist eine utilitaristische Herangehensweise hier in Singapur. Die Menschen wissen, was auf dem Spiel steht."
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