Sind Psychopathen die besseren Aktienhändler?

Thomas Noll im Gespräch mit Marietta Schwarz · 26.09.2011
Ein sogenanntes Gefangenendilemma-Spiel im Rahmen einer Studie habe gezeigt, dass Aktienhändler noch egoistischer und unkooperativer agieren, als Psychopathen, sagt Thomas Noll, Vollzugsleiter eines Schweizer Gefängnisses. Zudem erzielten die Händler sogar weniger Gewinn.
Marietta Schwarz: Dass Aktienhändler Milliardengewinne für ihr Unternehmen einfahren, das ist bekannt, dass sie sich aber gelegentlich auch ziemlich verzocken, das kommt dann ans Licht, wenn es um ebenso hohe Summen geht und das Ganze womöglich auch noch illegal war. Zuletzt wurde der Londoner UBS-Händler Kweku Adoboli inhaftiert, fast fünf Milliarden versenkte 2008 ein Händler der Société Générale, und auch der britische Händler Nick Leeson ging in den 90er-Jahren mit seinen Betrügereien in die Geschichte ein. Eine neue Studie der Universität St. Gallen versucht dem Verhalten dieser Zocker auf den Grund zu gehen – dabei mussten sich die Probanden, 28 Aktienhändler, in Computersimulationen dem Vergleich mit Psychopathen stellen. Für die Studie verantwortlich zeichnet unter anderem Thomas Noll, Jurist, Psychiater, Arzt, Wirtschaftswissenschaftler und Vollzugsleiter des größten Gefängnisses Pöschwies in der Schweiz. Herr Noll, guten Morgen!

Thomas Noll: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Herr Noll, habe ich Sie richtig verstanden, dass es darum geht, ein Psychogramm von Aktienhändlern zu erstellen, und was haben Sie in der Studie denn zum Beispiel getestet?

Noll: Also es geht weniger darum, ein ausführliches Psychogramm zu erstellen, als vielmehr ganz konkret die Punkte Egoismus und Kooperationsbereitschaft zu untersuchen. Und das haben wir in einem sogenannten Gefangenendilemma-Spiel getan. Das ist ein Spiel, wo wie gesagt die Kooperationsbereitschaft geprüft wird, indem man gegen einen reellen Gegner oder in unserem Fall einen computersimulierten Gegner spielt und dabei ein möglichst gutes Ergebnis erzielen muss. Wobei bemerkt werden muss, dass falls man betrügt – also man kann entweder kooperativ sein oder betrügen –, und wenn man betrügt, dann beginnt irgendwann der Computer auch zu betrügen, und dann pfuscht man sich schlussendlich gegenseitig ins Handwerk, und das macht dann auch die Performance schlecht schlussendlich.

Schwarz: Das hört sich ja nach einem lustigen Spiel an. Wie haben denn die 28 getesteten Aktienhändler – Trader nennen Sie die – abgeschnitten bei diesem Spiel?

Noll: Das war ein sehr interessantes Ergebnis aus unserer Sicht. Da muss ich vielleicht vorausschicken, es gab im Jahr 2008 genau die gleiche Studie mit einer Gruppe von Psychopathen, die wurden mit einer Gruppe von Personen aus der Allgemeinbevölkerung verglichen. Und da bei den Psychopathen hat man gesehen, dass die sehr unkooperativ waren, also sehr egoistisch, aber einen sehr großen Gewinn erzielt haben am Schluss. Bei unseren Tradern hingegen, das war das Erstaunliche, die waren noch unkooperativer, also noch egoistischer als die Psychopathen, haben aber einen viel schlechteren Gewinn erzielt, was eigentlich sehr erstaunlich ist bei einer Gruppe von Personen, die beruflich eigentlich möglichst große Gewinne erzielen sollten.

Schwarz: Das heißt aber, Sie rücken die Aktienhändler in die Nähe der Psychopathen aufgrund dieses Ergebnisses?

Noll: Das kann man so nicht sagen. Wir haben auch einen Psychopathietest bei allen 28 Tradern durchgeführt, der hat in einzelnen Skalen ... in einzelnen Subskalen dieses Tests hat der sehr hohe Wert gezeigt. Insgesamt muss man aber betonen – das möchte ich wirklich unterstreichen –, waren die Trader weniger psychopathisch als die Allgemeinbevölkerung sogar, also nicht nur weniger psychopathisch als die Psychopathen, sondern sogar noch weniger als die Allgemeinbevölkerung. Es gab aber wie gesagt Subskalen, wo sie sogar psychopathischer waren als die Psychopathen selber, das war bei der Subskala Egoismus und bei der Subskala, wo gemessen wird, wie groß die Tendenz ist, Fragen unaufrichtig zu beantworten. In diesen beiden Skalen waren sie also sehr psychopathisch, schlimmer als die Psychopathen, und erhöhte Werte hatten sie auch in der Subskala Risikobereitschaft, was nicht erstaunt.

Schwarz: 28 Trader haben teilgenommen, Investmentbanker, die sich an der Studie beteiligt haben – kann man davon ausgehen, dass es sich dabei vielleicht sogar noch um die Kooperativeren der Szene handelt?

Noll: Das ist eine gute Frage, das haben wir uns auch überlegt. Das waren immerhin solche, die bereit waren teilzunehmen, aus einem Kollektiv von Personen, die eigentlich eher so studienscheu sind im Allgemeinen. Deshalb war das auch die erste Studie weltweit unseres Wissens, die zu diesem Thema mit Tradern gemacht wurde. Aber Sie haben recht, das ist möglich, dass das jetzt sogar eher die kooperativeren Trader waren, die hier geprüft wurden.

Schwarz: Was machen wir jetzt mit diesem Ergebnis? Wir haben gelernt, was wir vielleicht teilweise schon wussten, Investmenthändler sind egoistisch und unkooperativ, und was wir jetzt noch erfahren haben, dass sie sozusagen auch weniger effizient sind als die Psychopathen. Also sollten vielleicht in Zukunft eher die Psychopathen an die Börse gehen und mit Milliarden handeln?

Noll: Ja, das würde man so im ersten Moment schon denken, aber man möchte eigentlich wirklich keine Psychopathen in der eigenen Firma, weil die sind zwar geschickt im Gewinnemachen und im Gegner-über-den-Tisch-Ziehen und so weiter, aber schlussendlich sind die dermaßen egoistisch, dass sie auch die eigene Firma betrügen. Also das will man nicht, in der Firma einen Psychopathen, wirklich nicht. Mit dem Resultat, was wir da anfangen, das ist natürlich eine gute Frage. Wir haben uns gedacht, dass es eigentlich auffällig ist, dass bei diesen Verwerfungen, die man da beobachtet hat, jetzt zuletzt mit diesem Trader aus Ghana, der zwei Milliarden verzockt hat, dass man da sich vor allem auf Lösungsansätze wie Investmentbanking abspalten oder aufheben, interne Kontrollmechanismen erhöhen und so weiter konzentriert. Ich sage nicht, dass das falsche Lösungsansätze sind, im Gegenteil, ich glaube, das sind sogar gute Lösungsansätze, insbesondere das mit den internen Kontrollmechanismen. Aber unsere Studie hat jetzt gezeigt, dass es auch noch andere Faktoren gibt, nämlich die Psyche der Trader selber. Und da könnte man beispielsweise im Rekrutierungsprozess bestimmte Tests einführen, man könnte während der Arbeit, also wenn sie schon angestellt sind, berufsbegleitend gewissermaßen könnte man persönlichkeitszentrierte Schulungen anbieten und so weiter. Also das wäre auch eine Möglichkeit.

Schwarz: Also noch viel zu tun. Thomas Noll war das, unter anderem Vollzugsleiter, Jurist und Psychiater, über die Psyche der Trader. Herr Noll, vielen Dank für das Gespräch!

Noll: Vielen Dank Ihnen, Frau Schwarz!

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