Simon Garfield: "Briefe!"

Plädoyer für eine aussterbende Kulturtechnik

Brief aus einer Flaschenpost
Ein Brief sei ein Geschenk, meint der britische Autor Simon Garfield. © dpa / picture alliance / Oliver Berg
Simon Garfield im Gespräch mit Frank Meyer · 04.11.2015
Twitter, E-Mail, SMS - drei Gründe, warum immer weniger Briefe geschrieben werden. Dadurch kommunizierten wir zwar mehr, sagt Simon Garfield. "Aber die Intensität ist eine andere." Sein Buch "Briefe!" erzählt Geschichten vom Briefeschreiben von der Antike bis heute.
Sein Buch "Karten! Ein Buch über Entdecker, geniale Kartografen und Berge, die es nie gab" kürte die Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" zum Wissensbuch des Jahres 2014. In seinem neuen Buch widmet sich der britische Journalist und Autor Simon Garfield jetzt einer vom Aussterben bedrohten kulturellen Praxis: dem Briefeschreiben.
Es erzählt die Geschichte des Briefeschreibens von der Antike bis heute. So geht es etwa um fast 2000 Jahre alte Briefe römischer Soldaten: "Sie sind 1973 entdeckt worden in Vindolanda. Das war eine Garnison der Römer in der Nähe des Hadrianswalls", sagt Garfield. "Eigentlich waren es Notizen, die waren auf Baumrinde streckenweise geschrieben mit Asche und waren wirklich nur so kleine Alltagsnotizen." Zum Beispiel: "Hier ist es unglaublich kalt, wir brauchen mehr Decken und wir brauchen mehr Bier."
Sechs bis acht Postzustellungen am Tag
Früher sei Briefeschreiben ein wesentlicher Bestandteil des Alltags gewesen, sagt Garfield. So habe beispielsweise Oscar Wilde täglich 15 bis 20 Briefe geschrieben. Zum Teil hatten diese die gleiche Funktion wie die heutige SMS.
"Ich weiß nicht, wie es in Deutschland und hier in Berlin war, aber im viktorianischen Zeitalter hat man bis zu sechs- oder acht Mal am Tag wirklich Briefe bekommen, und das täglich. Das heißt, man konnte sich auch wirklich kurzfristig verabreden."
"Ein Brief ist ein Geschenk, eine E-Mail eine Last"
Verantwortlich für den Niedergang des Briefeschreibens sind Garfield zufolge E-Mail, Twitter, Snapchat & Co. "Für mich liegt der Schlüssel für den Niedergang des Briefeschreibens nicht so sehr darin, dass wir nicht mehr kommunizieren – wir kommunizieren sogar mehr", sagt Garfield. "Aber die Intensität ist einfach eine andere."
So habe ein Briefwechsel auch etwas Physisches: "Man schreibt einen Brief. Man bringt ihn zum Briefkasten. Dann kommt dieser Brief an, man nimmt ihn in Empfang. Das ist ein Geschenk." Eine E-Mail dagegen nicht: "Wenn wir morgens durch unsere E-Mails gehen, ist das eher eine Last. Da müssen wir erst mal löschen, löschen, löschen."

Simon Garfield: "Briefe! Ein Buch über die Liebe in Worten, wundersame Postwege und den Mann, der sich selbst verschickte"
Verlag Konrad Theiss, Stuttgart 2015,
520 Seiten, 29,90 Euro

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