Simitis: Online-Durchsuchungen nicht verfassungskonform

Moderation: Birgit Kolkmann · 31.08.2007
Der Berater für Datenschutz der EU-Kommission, Spiros Simitis, hat die in Deutschland geplante Online-Durchsuchung als unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben kritisiert. Auch eine richterliche Genehmigung von Online-Durchsuchungen sei kein ausreichender Schutz gegen Manipulationen, betonte Simitis.
Birgit Kolkmann: Stellen Sie sich vor, Sie bekommen E-Mails vom Jugendamt, öffnen sie, nicht ahnend, dass sich darin ein Schnüffelprogramm verbirgt, das sich selbstständig auf Ihrem Computer installiert und fleißig alle Daten an den Geheimdienst sendet. Solche Bundestrojaner hat das Bundeskriminalamt bereits entwickelt, und im Prinzip wird nur noch auf das politische Go gewartet, um die Spionagesoftware zur Terrorabwehr abzuschicken. Diese Pläne von Innenminister Wolfgang Schäuble, CDU, wurden jetzt bekannt, wahrscheinlich nicht ganz zufällig, denn heute trifft sich eine Arbeitsgruppe von Experten des Innen- und Justizministeriums mit Abgeordneten von Union und SPD, um über die umstrittene Online-Durchsuchung zu verhandeln. Der Bundesdatenschutzbeauftragte warnte ebenso wie SPD, Grüne, FDP und der Branchenverband BITKOM vor einem Vertrauensverlust der Bürger. Wir sind jetzt mit dem ehemaligen Datenschutzbeauftragten in Hessen und jetzigen Berater für Datenschutz der EU-Kommission verbunden, Professor Sprios Simitis in Frankfurt. Schönen guten Morgen!

Spiros Simitis: Guten Morgen!

Kolkmann: Professor Simitis - ist diese Form der Online-Durchsuchung mit als Behördenmails getarnten Schnüffelprogrammen ein Angriff auf den Rechtsstaat?

Simitis: Ich würde zunächst einmal sagen, es ist eine Absicht, die völlig unvereinbar ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die wir haben. Das Grundgesetz steht im offenen Gegensatz zu allen diesen Plänen, und genau davon gilt es auszugehen.

Kolkmann: Was halten Sie für besonders gefährlich und verfassungsrechtlich bedenklich?

Simitis: Lassen Sie mich anders anfangen. Wir leben, soweit es die Wahrnehmung der Verfassung angeht, immer noch im 19. Jahrhundert. Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt daneben auch ein Telefongeheimnis, aber heutzutage vollzieht sich Kommunikation ganz anders. Fast jeder schreibt E-Mails, fast jeder kommuniziert über das Internet. Die Konsequenz muss als erste sein, dass ein Rechtsstaat und ein Staat, der sich nach dem Grundgesetz richtet, sich als allererstes überlegen muss: Wie sichere ich ein Kommunikationsgeheimnis, das diesen veränderten Kommunikationsbedingungen entspricht? Dort muss man anfangen. Und wenn man das gemacht hat, dann kann man die weitere Frage stellen: Wie kann man Situationen wie denen, die hier zur Debatte stehen, Rechnung tragen? Wie wäre es möglich, die Technik zu nutzen?

Aber zunächst einmal gilt es, dem Bürger und der Bürgerin die Gewissheit zu geben, dass auch unter den veränderten Kommunikationsbedingungen die Möglichkeit, selbst allein zu sein, zu sprechen mit anderen ohne sozusagen überhört zu werden, zu kommunizieren mit anderen ohne konsequent und fortlaufend verfolgt zu werden, ausgeschlossen ist.

Kolkmann: Ist nun durch die Pläne des Bundesinnenministeriums dieses Vertrauen der Bürger in den Staat wahrscheinlich schon stark erschüttert?

Simitis: Es ist erschüttert, und es wird noch mehr erschüttert. Überlegen Sie sich mal einen Augenblick lang, was man jedem von uns sagt, wenn man seinen Computer aufmacht: Dann sieht man die Spams, dann soll man denen aus dem Wege gehen, dann soll man löschen, dann soll man sich nicht auf alles das einlassen, was da einem angeboten wird. Wenn aber gerade eine Mitteilung - wie Sie sagten - des Jugendamtes oder des Finanzamtes oder einer anderen Behörde kommt, dann wird jeder aufmerksamer, dann geht man darauf ein, dann öffnet man die Mitteilung und liefert sich der Überwachung aus.

Kolkmann: Geheimdienstler sagen ja, das käme nur in wenigen Einzelfällen zum Einsatz, so war es bei der Telefonüberwachung ja auch in der Argumentation, und nahm dann doch Überhand, wie es denn Nordrhein-Westfalens Datenschutzbeauftragte jetzt sagte. Wie stark müsste denn der Staat bei dieser Form der Schnüffelei kontrolliert werden?

Simitis: Der Rechtsstaat und die Verfassung hängen nicht davon ab, ob Sie einmal eingreifen oder hundertmal. Das ganze ändert sich nicht dadurch, dass es von A oder von B gemacht wird, vom Ministerium oder von einem privaten Unternehmen. Für alle gelten Grundsätze, die sich aus der Verfassung ergeben, das heißt: Jeder Bürger und jede Bürgerin in diesem Staat muss darauf vertrauen, dass wenn eine Mitteilung kommt, die von einer staatlichen Stelle ausgeht, diese staatliche Stelle nur den Zweck verfolgt, der ihren Aufgaben entspricht und nicht sozusagen mit dieser Mitteilung den Versuch verbindet, zu erfahren, was der Bürger jeweils macht, womit er sich beschäftigt, mit wem er kommuniziert.

Kolkmann: Nun sagten ja die entsprechenden Geheimdienstler, Vertreter des Bundeskriminalamtes, auch, nicht nur in wenigen Fällen, sondern wenn, dann auch nur mit richterlicher Genehmigung und unter ganz strengen Auflagen würden dann solche Online-Durchsuchungen gemacht. Aber offenbar ist im Entwurf des neuen BKA-Gesetzes doch geplant, für begrenzte Zeit auch ohne richterliche Genehmigung Online-Durchsuchungen durchführen zu können. Setzt damit der Innenminister noch eins drauf?

Simitis: So ist es. Er geht noch weiter. Man kann sogar sagen: Auch die richterliche Genehmigung ist nicht die Antwort, weil die richterliche Genehmigung wenn Sie so wollen nichts anderes als ein Filter ist, und dieser Filter kann nur funktionieren, wenn es so konstruiert ist, dass von vornherein bestimmte Grenzen gesetzt sind, an die sich auch der Richter zu halten hat. Mit anderen Worten, es ist ein erster Schritt, aber kein ausreichender Schritt. Und wenn man auch den weglässt, gibt es überhaupt keine vorbeugende Kontrolle in das, was dort geschehen soll, und genau das ist unannehmbar.

Kolkmann: Rechtlich unsicher ist ja wohl auch, wie beweissicher solche Daten dann sind, die auf diese Weise gewonnen werden. Man kann ja auf Computern und per Internet nicht nur alles herausholen auf diese Weise, sondern auch manipulieren. Was bedeutet das?

Simitis: Man kann auch alles hineintun, wie Sie mit Recht sagen, und das bedeutet noch einmal das, was ich vorhin gesagt habe. Es kommt darauf an, ein Kommunikationsgeheimnis zu garantieren, das unseren heutigen Bedingungen entspricht. Man kann nicht am heutigen Tag, wenn Sie so wollen, die Ausstellung, die Rundfunkausstellung in Berlin eröffnen und dort immer Neues zeigen und gleichzeitig nicht überlegen, wie wirkt sich dieses immer Neue auf unsere Kommunikationsfähigkeit, auf unseren Schutz gegen Manipulation aus und auf unser - von der Verfassung garantiertes und vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betontes - Recht, selbst zu bestimmen, wie wir mit den Informationen umgehen, die uns selbst betreffen.

Kolkmann: Gibt es die Online-Durchsuchung schon in anderen Ländern Europas?

Simitis: Die Online-Durchsuchung, das gibt es schon in einigen Ländern, aber ich würde sagen, ehe sich das Bundesinnenministerium darauf beruft, sollte es sich einmal genau ansehen, welche Länder es dabei anführt. Wenn es um Slowenien und Lettland geht, ist das noch lange nicht überzeugend, sondern man muss sehen, welche Diskussionen es gegeben hat und es gibt in den anderen großen, europäischen Ländern, dort, wo die Technologie schon so fortgeschritten ist. Und dort ist die kritische Auseinandersetzung genauso scharf.

Kolkmann: Vielen Dank. Das war Professor Spiros Simitis, er ist Berater für Datenschutz der Europäischen Kommission.