Simbabwe

Zwischen Angst und Hoffnung

Simbabwer stehen Schlange bei den Präsidentschaftswahlen 2013 in einem Vorort der Hauptstadt Harare.
Simbabwer stehen Schlange bei den Präsidentschaftswahlen 2013 in einem Vorort der Hauptstadt Harare. © dpa / picture alliance / Aaron Ufumeli
Von Leonie March · 08.07.2014
Simbabwes Kulturszene ist voller Überlebenskünstler. Sie trotzen mangelnder öffentlicher Förderung, schwierigen Lebensbedingungen und staatlicher Kontrolle. Viele Künstler wollen zur Veränderung ihrer Heimat beitragen – auch mit Hilfe des Internets.
Soundcheck im Book Café. Auf der Bühne unter dem großen Blechdach spielt sich die Band ein. Es duftet nach gebratenem Fleisch. Der Barkeeper reicht Bierflaschen über den langen Tresen. Die ersten Gäste sitzen bereits an den Bistrotischen, nippen an ihren Drinks, unterhalten sich, wippen im Takt der Musik mit. Andere trudeln nach und nach ein.
Das Book Café ist ein beliebter Treffpunkt für Künstler und Kreative in Harare. Eine lebendige, aber offenbar überschaubare Szene. Fast jeder, der zur Tür reinkommt wird von den anderen begrüßt, mit coolem Handschlag oder warmherziger Umarmung. Auch Fungai Nengare macht erst seine Runde bis er sich an einen der Tische setzt. Fast jeden Abend gibt es hier eine Veranstaltung, erzählt der Musiker. Poetry Slams, Lesungen, Konzerte.
"Musik spielt eine sehr wichtige Rolle in unserer Kultur. Sie erzählt Geschichten und vermittelt Gefühle. Man erfährt, was im Leben der Leute vor sich geht und wie sie die Dinge sehen. Ich denke da zum Beispiel an Thomas Mapfumo‘s Song, der warnt, dass es da draußen Leute gibt, die es nicht gut mit einem meinen, die eine Karriere zerstören können, die es auf den Besitz und die Familie anderer abgesehen haben."
Wegen seiner kritischen Texte saß Thomas Mapfumo - der sogenannte "Löwe von Simbabwe" - schon vor der Unabhängigkeit seiner Heimat im Gefängnis. Auch mit dem Regime Robert Mugabes legte er sich an. Songs, die die ausufernde Korruption und das Leid seiner Landsleute anprangerten wurden zensiert. Der Druck wurde so groß, dass Mapfumo im Jahr 2000 ins Exil ging. Wie viele andere Künstler auch. Die staatliche Zensur greift vor allem dann, wenn es um direkte Kritik an Präsident Robert Mugabe geht, betont Roberta Wagner, Leiterin des Goethe-Zentrums in Harare:
"Es gibt diese Fälle, wo Künstler ins Gefängnis gehen. Das sind aber eher die Ausnahmen. Also ich finde, hier wird sehr viel mit der subtilen Angst gespielt. Es geht darum, unterschwellig zu zeigen: "Wir sind stärker und wir wissen, was Du machst. Wenn Du weitermachst, dann erhöhen wir den Druck." Und ich glaube, das ist so ein bisschen ein Mechanismus, den wir hier auch am Goethe Zentrum erleben. Wir haben auch durchaus Besuch vom Geheimdienst, wir stehen unter Beobachtung. Nicht in extremem Maße, aber man muss dessen sich bewusst sein, dass man mit diesen Themen alltäglich konfrontiert ist, weil wir im Kultursektor arbeiten."
Nicht alle Künstler interessieren sich für politische Themen
Auch zu Konzerten des Book Café taucht regelmäßig der Geheimdienst auf. Wie an diesem Abend bleiben die Songtexte jedoch häufig unpolitisch. Auch in einem Land wie Simbabwe interessieren sich nicht alle Künstler für politische Themen, meint Musiker Fungai Nengare. Einige wollen einfach nur unterhalten. Andere meiden den offenen Konflikt, aus Rücksicht auf Familie und Karriere. Oder sie packen ihre Kritik zwischen die Zeilen. Er selbst definiert seine Rolle so:
"Meine Musik berührt politische Themen nur am Rande. Ich singe über die alltäglichen sozialen und persönlichen Probleme, mit denen viele von uns kämpfen. Für mich geht es in erster Linie darum, meinen Zuhörern zu vermitteln, dass ich verstehe, was sie gerade durchmachen. Viele haben nicht viel Geld, vielleicht sind sie arbeitslos geworden. Aber durch die Musik kommen sie zusammen, können ihre Probleme ein paar Stunden vergessen und fühlen sich nicht mehr allein. Wir erinnern wir uns daran, dass wir eine Nation sind, egal, was wir gerade durchmachen."
Am nächsten Morgen vor der Nationalgalerie von Harare. Drinnen werden Porträts des Präsidenten ausgestellt - von Robert Mugabe, der sich in den letzten Jahrzehnten vom Unabhängigkeitskämpfer zu einem autokratischen Machthaber gewandelt hat. Draußen sind die Konsequenzen seiner Herrschaft unübersehbar. Die Staatskasse ist so gut wie leer: Viele Gebäude sind deutlich in die Jahre gekommen, die Straßen mit Schlaglöchern übersät. Der Strom ist wieder einmal ausgefallen, ohne funktionierende Ampeln herrscht heilloses Verkehrschaos.
Simbabwes Wirtschaft steckt in einer schweren Krise: Allein in der Hauptstadt mussten seit Jahresbeginn durchschnittlich zehn Unternehmen jeden Monat schließen. Landesweit wird die Arbeitslosigkeit auf 80 Prozent geschätzt. An den Kreuzungen und auf den Bürgersteigen bieten fliegende Händler ihre Waren an: Telefonkarten, Obst und Gemüse. Die Mehrheit der Bevölkerung versucht sich irgendwie über Wasser halten. Für Kunst interessieren sich in dieser Situation die wenigsten, meint Misheck Masamvu. Der Maler ist auf dem Weg in sein Atelier:
"Jeder Tag ist eine Herausforderung. Momentan wissen vielleicht 0,1 Prozent aller Simbabwer, was der nächste Tag für sie bringt. Die meisten sehen Kunst daher als elitär an. Sie haben keine Zeit, sich zu fragen, wer sie sind und ihre Träume zu entwickeln. Dazu kommt ein Mangel an kultureller Infrastruktur; an Räumen, in denen Leute kreativ arbeiten können."
Simbabwes Kunstmarkt besteht nur aus wenigen Galerien und Sammlern
Als Reaktion auf diesen Mangel hat Misheck Masamvu sein Atelier vor zwei Jahren auch für andere Künstler geöffnet und in das kleine Kulturzentrum "Village Unhu" verwandelt. Ein lichtdurchfluteter Raum in einem ruhigen Vorort von Harare.
Der Maler begrüßt einen Kollegen und seine Frau Gina, die ebenfalls Künstlerin ist. Ihr Sohn malt auf dem Boden ein Bild auf einen Pappkarton. An den Wänden lehnen Gemälde und Skulpturen dicht an dicht. Es riecht intensiv nach Farbe. Wir arbeiten hier rund um die Uhr und buchstäblich Schulter an Schulter, bemerkt der Maler schmunzelnd:
"Der einzige Unterschied zu einem Sweatshop ist, dass es dort darum geht, den Markt zu bedienen, um Angebot und Nachfrage. Bei uns gibt es keine Nachfrage."
Auch wenn der Kunstmarkt in Simbabwe nur aus wenigen Galerien und Sammlern besteht, kann sich Misheck Masamvu selbst nicht über mangelnde Nachfrage beklagen. Seine Werke sind bei internationalen Galerien und Sammlern gefragt. Spätestens seit sie 2011 bei der Biennale in Venedig hingen, gilt der 34-Jährige als einer der vielversprechendsten zeitgenössischen Maler Simbabwes. Schon oft wurde er als politischer Künstler bezeichnet, denn seine großformatigen Gemälde nehmen deutlich Stellung zu Themen wie Machtmissbrauch, Unterdrückung und Gewalt. Nachdenklich mustert der Maler sein neuestes noch unvollendetes Werk. Die gebückte Figur einer verschleierten Braut, umgeben von phallischen Bananen.
"Auch in diesem Bild spielt Politik eine Rolle, man muss sie nur finden. Denjenigen, die mein Werk ohnehin mit Politik assoziieren fällt es leicht, die entsprechenden Symbole zu finden. Ich kann sogar Anspielungen über den Präsidenten machen. Entweder entdeckt er sie nicht, oder er ignoriert sie, weil er sowieso weiß, dass das Bild von der Bevölkerungsmehrheit in Simbabwe keine Aufmerksamkeit bekommen wird."
Selbstzensur ist unter Künstlern verbreitet
Diese Einsicht hat Misheck Masamvu nicht etwa frustriert, sondern dazu angeregt, sich zu engagieren. Künstler könnten auch in Simbabwe zu der Veränderung der Gesellschaft beitragen, davon ist der Maler überzeugt.
In seinem Kulturzentrum finden neben Ausstellungen auch Workshops und Diskussionsrunden statt, außerdem gibt er Kunstkurse in Schulen. So will er Interesse an Kunst wecken und junge Talente dazu anregen, eine kritische Stimme zu entwickeln. Viele würden die Schere leider schon im Kopf ansetzen, Selbstzensur sei verbreitet. Dabei bedeute Kritik ja nicht unbedingt eine direkte Konfrontation mit dem Regime:
"Der alte Mann wird die nächsten zwanzig Jahre nicht mehr überleben. Deshalb spreche ich lieber mit denjenigen, die dann noch hier sind. Momentan ist die politische Führung nicht an der Mehrheit der Bevölkerung interessiert und diese ist wiederum nicht bereit, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Daran kann ich nichts ändern. Aber ich kann auch nicht hinnehmen, dass ein Kind, das heute geboren wird, keine Zukunft hat."
Misheck Masamvu mischt Farbe an, nimmt einen Pinsel in die Hand und vertieft sich in seine Arbeit.
Gleichzeitig in einem Café mitten in der Stadt: Fungai Machirori sitzt vor ihrem aufgeklappten Laptop. Neben ihr liegen zwei Handys auf dem Holztisch. Die 30-Jährige ist immer online. Ihre Leidenschaft gilt den neuen Medien. Für sie eine großartige Plattform, um Debatten anzuregen und eine Diskussionskultur zu entwickeln:
"In unserer Kultur gehört es sich nicht, der älteren Generation zu widersprechen.Das hat sich durch den Kollaps unseres Landes in den vergangenen Jahren weiter verschärft. Wir leben in einer Situation, in der es nicht nur als falsch angesehen wird, kritische Fragen zu stellen, man bringt sich sogar in Gefahr. Man könnte festgenommen werden. Wie sehr einen das prägt und im Griff hält, bemerkt man jedoch erst, wenn man die Chance bekommt, das Land zu verlassen."
Fungai Machirori hatte diese Chance. Sie hat in England studiert und sich in ihrer Abschlussarbeit mit der simbabwischen Frauenbewegung beschäftigt, mit den unterschiedlichen Stimmen in der Heimat und der Diaspora. Nach dem Abschluss kehrte sie zurück und gründete das Internetforum "Her Zimbabwe" - ein virtueller Treffpunkt für Simbabwer im In- und Ausland, ein kritisches Forum des Austauschs. Diskutiert werden Frauenrechte, patriarchalische Traditionen, kulturelle Normen, aber durchaus auch politische Themen wie die Polarisierung der Medien, die Rolle von Oppositionspolitikerinnen oder die Gesetze gegen Homosexuelle. Die Debatten sind erstaunlich offen für ein Land, in dem Menschen schon wegen Facebook-Kommentaren festgenommen wurden.
"Wenn man sich mit Frauenthemen beschäftigt, wird man mehr oder weniger in Ruhe gelassen. Denn die Leute denken: Was sollen diese Frauen schon zu sagen haben. Das wird schon nicht aufsehenerregend sein. Das heißt aber nicht, dass nicht auch Frauen regelmäßig in Konflikt mit dem Staat kommen. Gerade erst habe ich erfahren, dass wieder ein paar Frauen festgenommen wurden und darüber berichten wir auch."
Kontroverse Debatten sind in Simbabwe möglich – auch im Internet
Fungai Machirori beweist, dass kontroverse Debatten auch in Simbabwe möglich sind. Die Kulturszene hat sehr unterschiedliche und teils kreative Strategien für den Balanceakt zwischen Kunst, Kritik und Zensur entwickelt. Was sie eint, sei die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, meint Roberta Wagner vom Goethe-Zentrum. Fast ein Jahr nach dem überwältigenden, international angezweifelten Wahlsieg von Mugabes Zanu-PF sei die Stimmung keineswegs pessimistisch.
"Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass es nach den Wahlen erst mal eine absolute Frustration gab. Allerdings sehe ich da jetzt auch eine kleine Veränderung und es einen Stimmungswechsel gibt. Ich sehe, dass es wieder mehr positive Geschichten gibt, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage, die ja im Moment wirklich sehr heikel ist. Dass es aber auch den Wunsch gibt: Wir müssen in die Zukunft blicken, wir müssen was verändern und wir wollen was verändern und wir bleiben hier und wir sind Simbabwer und wir sind stolz Simbabwer zu sein. Also da erlebe ich gerade auch noch mal einen ganz anderen Schub an Energie, als direkt nach den Wahlen."
Diese Energie ist auch am Abend beim Konzert im Goethe Zentrum spürbar. Der Musiker Fungai Nengare sitzt diesmal nicht im Publikum, sondern steht selbst auf der Bühne. Seine Songs verbreiten Hoffnung, machen Mut und sollen seinen Landsleuten das verlorene Selbstbewusstsein wiedergeben.
"Ich wünsche mir, dass Zimbabwe als kreative Nation gesehen wird. Wir haben viel zu bieten, nicht nur in der Musik, sondern auch in Malerei und Bildhauerei. Die meisten von uns haben eine gute Ausbildung. Es wäre schön, wenn das international auch so wahrgenommen würde. Unser Image hat in den letzten Jahren deutlich gelitten und es liegt an uns, es wieder aufzupolieren."
Mehr zum Thema