Sieg der Fabulierlust

15.02.2013
Mit "Wann wird es endlich …" taucht Joachim Meyerhoff mitten in das Leben in einer riesigen psychiatrischen Klinik. Dabei verschwimmen im neuen Roman des Theaterschauspielers gegenwärtiges erzählerisches Erfinden und Erinnern an die Vergangenheit.
Gleich am Anfang dieses genau beobachteten und immer wieder sehr komischen Romans macht Joachim Meyerhoff seine Poetologie klar. Sein kindlicher Icherzähler, der hier über sein vorpubertäres Heranwachsen inmitten einer riesigen Psychiatrie berichtet – sein Vater ist der mitsamt seiner Familie auf dem Gelände der Einrichtung namens Hesterberg bei Schleswig wohnende Direktor der Einrichtung – findet einen Toten.

Ein Rentner hatte einen Herzinfarkt erlitten. Natürlich bedrängen seine Schulkameraden den Erzähler, Einzelheiten zu berichten. Zuerst hält er sich noch an seinen Vorsatz, nichts auszuschmücken. Doch dann siegt die kindliche Fabulierlust. Immer mehr Details werden dazugedacht.

Unter anderem erhält der Tote einen kostbaren Ring. Und siehe: "Während ich das mit dem Ring erfand, schoss mir plötzlich ein heißer Schauer über den Rücken, und ich sah den Ring tatsächlich vor mir. Es stimmte! Ich hatte es gar nicht erfunden. Mein Toter trug einen goldenen Ehering an seiner leblosen linken Hand." Und so zieht der Erzähler das Fazit: "Für mich war das eine unfassbar befreiende Erkenntnis: Erfinden heißt Erinnern." Von da her erklärt sich auch der Titel des Romans. "Wann wird es endlich so, wie es nie war" – gegenwärtiges erzählerisches Erfinden und Erinnern an die Vergangenheit fließen zusammen.

Es ist eine Freude, diesem Erzähler dabei zu folgen, wie er sich an seine Kindheit an diesem ungewöhnlichen Ort zurück erfindet. Das Leben inmitten einer Psychiatrie mit über 1200 Betten wird beleuchtet. Ein Leitmotiv sind die nächtlichen Schreie der Patienten, die den Erzähler in den Schlaf wiegen. Alle Mitglieder der Kleinfamilie – Vater, Mutter, drei Brüder, ein gutmütiger Hund – werden eingehend porträtiert. Und im Hintergrund läuft die Zeitgeschichte ab.

Ein Höhepunkt ist die Schilderung der Schneekatastrophe aus dem Jahr 1979. Großartig beschreibt Joachim Meyerhoff noch die ungewöhnliche Form der Schneeflocken, die wochenlang ganz Schleswig-Holstein unter sich begruben.

Dabei ist die Anlage dieses Romans gleich doppelt riskant. Die kindliche Erzählperspektive will gemeistert sein, was Joachim Meyerhoff mit Bravour gelingt, indem er Schilderungen aus seinen Kinderaugen mit Einordnungen aus dem etwa 35-Jährigen Erzählabstand heraus kombiniert. Auch die Umgebung der Psychiatrie hält Fallen bereit, in die Meyerhoff aber nicht tritt. Er macht sich niemals billig über Patienten lustig, entfaltet aber doch das tragikomische Potential des Ortes.

Manche Episoden dieses Romans kennt man bereits. Joachim Meyerhoff ist auch Theaterschauspieler, gerade wechselt er vom Wiener Burgtheater ans Hamburger Schauspielhaus. Über seine Kindheit und Jugend hat der 1967 Geborene einen erfolgreichen erzählerischen Theaterzyklus gemacht. Aus ihm ist 2011 bereits der Roman "Alle Toten fliegen hoch" erwachsen, er schildert vor allem das Jahr als Austauschschüler in den USA – und den Tod eines seiner Brüder bei einem Verkehrsunfall.

Der aktuelle Roman geht nun in der Zeit zurück, landet aber wieder beim Tod des Bruders. Manche traumatische Ereignisse kann man eben nicht erzählerisch wegerfinden. Man kann sie nur erinnernd umkreisen. Es ist beeindruckend, wie hinter aller Leichtigkeit präzise Joachim Meyerhoff das tut.

Besprochen von Dirk Knipphals

Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2013
352 Seiten, 19,99 Euro
Mehr zum Thema