Sieben Kilo Comics

18.10.2012
Im Jahr 1938 verkauften zwei Schüler ihre "Superman"-Geschichte an den US-Verlag "Detective Comics". Eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte begann. Das Maxibuch über den Comic-Verlag kommt mit 2.000 Abbildungen daher. Auch die Schattenseiten des Verlags werden beleuchtet.
Im Jahr 1938 verkaufen die High-School-Schüler Jerry Siegel und Joe Shuster die Geschichte eines kostümierten Helden mit übermenschlichen Kräften an einen Verlag namens "Detective Comics". Es ist die Geburtsstunde des Prototypen aller amerikanischen Superhelden: Superman. Ihm und seinen Kollegen Batman und Wonder Woman verdankt DC seinen kometenhaften Aufstieg zum heute größten amerikanischen Comic-Verlag neben Marvel. Dass die beeindruckende Verlagsgeschichte auch weniger heldenhafte Episoden kennt, ist im Jubiläumsband "75 Jahre DC-Comics" nachzulesen - der mittlerweile auch auf Deutsch vorliegt. Hier allerdings in zwei Einzelbänden: Das Reprint des amerikanischen Originals wird durch die Übersetzungen der englischen Texte ergänzt.

Wer damit gerechnet hat, zum 75-jährigen Bestehen von DC durch eine Selbstbeweihräucherung der Marketing-Abteilung zu blättern, wird angenehm überrascht: Autor Paul Levitz, der als ehemaliger Generaldirektor und Herausgeber seit Jahrzehnten mit DC verbunden ist, hat einen reich bebilderten Ritt in sechs Kapiteln beziehungsweise "Zeitaltern" durch die bewegte Verlagsgeschichte vorgelegt, der die dunklen Seiten nicht ausblendet.

Über die frühen Arbeitsbedingungen im "Goldenen Zeitalter" von 1938 bis 1956 ist etwa zu lesen, dass Texter und Zeichner in einem "Fabriksystem" schufteten, das sich kaum von den berüchtigten zeitgenössischen Sweatshops unterschied, "in denen schlecht bezahlte Arbeitskräfte ausgebeutet wurden."

Noch 1968, als der Verlag mit dem Unterhaltungs-Giganten Warner Brothers fusionierte, stieß die Forderung langjähriger DC-Autoren nach einer betrieblichen Krankenversicherung und Altersvorsorge auf taube Ohren. Aber auch inhaltlich verdiente sich DC seinen Ruf als konservativster Comic-Verlag Amerikas: In den 1960er und 70er Jahren wurden neue Serien eingestampft, die sich an kontroverse Themen wie Rassismus oder den Vietnamkrieg heranwagten.

Gerade weil Paul Levitz solche Aspekte der Verlagsgeschichte nicht verschweigt, ist "75 Jahre DC Comics" ein außergewöhnliches Buch geworden. Der Autor rückt die Geschichte der Macher in den Vordergrund, die das Unternehmen geprägt haben: Vom DC-Gründervater Malcom Wheeler-Nicholson, der 1935 das erste amerikanische Comic mit neuen, exclusiv für das Heft produzierten Inhalten herausgab, zur aktuellen Batman-Trilogie des Filmemachers Christopher Nolan, der sich vom düsteren Ritter des Texters und Zeichners Frank Miller inspirieren ließ. Maßgebliche DC-Künstler werden mit Namen, Fotos und ihren Comics einzeln vorgestellt und gewürdigt. Es wirkt fast wie eine späte Geste der Wiedergutmachung. Im Verlag setzte sich erst in den 1970er-Jahren offiziell durch, die Urheber von Comichelden überhaupt namentlich zu erwähnen.

Am stärksten beeindruckt das Buch jedoch mit seinen über 2.000 Abbildungen, die 75 Jahre Verlagsgeschichte dokumentieren, darunter Kostbarkeiten wie Schwarz-Weiß-Fotos der ersten DC-Belegschaften, Abdrucke von Originalzeichnungen wie eine frühe Bleistiftskizze von Superman und jede Menge Comicseiten, die Sammlerherzen höher schlagen lassen.

Das lesenswerte, sieben Kilogramm schwere Maxibuch ist die erste umfassende Darstellung der Verlagsgeschichte von DC: ein reich bebildertes Schatzkästchen - in dem dennoch nicht alles Gold ist, was glänzt.

Besprochen von Tabea Grzeszyk

Paul Levitz: 75 Jahre DC Comics - Die Kunst, moderne Mythen zu schaffen
Übersetzt von Thomas J. Kinne
Taschen Verlag, Köln 2010
721 Seiten, 150 Euro