Sie rasseln schon wieder

Von Uwe Pörksen · 13.04.2010
"Sie rassle scho wieder", sagte vor kurzem ein Nachbar. Sie rasseln in der Tat. An Moskaus U-Bahnhöfen Lubjanka und Park Kultury haben zwei Selbstmordattentäterinnen ein Blutbad angerichtet, und Putin droht mit Vernichtung, Präsident Medwedew kündigt an, den Krieg gegen den Terror ohne Zögern fortzusetzen: "Kein Terrorist wird entkommen". In Afghanistan sind deutsche Soldaten zu Tode gekommen, von bösen Taliban in den Hinterhalt gelockt, und Verteidigungsminister zu Guttenberg entschließt sich, von "Krieg" zu sprechen, setzt hinzu, "umgangssprachlich" von Krieg: "Wir werden den Kampf gegen den Terrorismus fortsetzen, der Einsatz der Bundeswehr ist alternativlos."
Die Hintergründe beider Ereignisse sind hochkomplex, aber wir erleben ein Sprachschema: ein Attentat - dort Tote, hier Särge - und hören "the war must go on". Ein Spalt hat sich aufgetan, schon fällt die Sprachbrücke – und schließt ihn.

Das 21. Jahrhundert hat uns die Eröffnung eines neuartigen Dauerkrieges gebracht. Das Attentat auf die Twin Towers vom 11. September 2001 war eine Kriegsfalle, schon der folgende Tag brachte die Antwort: "War on terrorism". Man erhob Suizidmörder und das hinter ihnen stehende Netzwerk zur Großmacht und der "Krieg gegen den Terrorismus" wurde Institution.

Die Benennung des Geschehens gewinnt hier den Charakter einer Handlung. Sprache gestaltet Politik. Ein Begriff wird Handlungsanweisung. Das Wort "Krieg", und zwar gerade sein umgangssprachlicher Gebrauch, bezeichnet seit dem 18. Jahrhundert einen "mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. Völkern, eine größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt". Krieg hat einen erklärten Anfang und ein erklärtes Ende.

Ein Attentat als Kriegserklärung aufzufassen, ist die erste Irreführung. Die zweite liegt darin, dass von dem Terminus "Krieg" ein sogenanntes Transfermerkmal, ein Übertragungsmerkmal auf den Kriegsgegner ausgeht. "Terrorismus" wird dadurch zur Einheit, ein feindliches Massiv, ein dinghafter Gesamtkomplex, was an sich gar nicht zutrifft, auch nicht für die Taliban, für das historisch vielfältig geschichtete Afghanistan, wie Helmut Schmidt vor Kurzem eindringlich ausgeführt hat.

Der öffentlich durchgesetzte Bedeutungskern von "Krieg" schlägt durch, das wird auch durch das Wörtchen "asymmetrisch" nicht verhindert. "Krieg" macht aus dem Gegenüber eine feste Größe, zuerst im Begriff, und dann gewinnt eine eingefahrene Wirkungsrhetorik die Oberhand: Der Gegner wird unter einem einzigen Gesichtspunkt zusammengefasst, ein an sich differenziertes Gegenüber wird zu einem Massiv.

Die Macht des Gegners und die durch ihn mögliche Bedrohung werden übertrieben. Man macht den Gegner anschaulich durch die Vergegenwärtigung seiner Attentate und Gräuel. Er wird personalisiert, man braucht ein konkretes Scheusal. Gut und Böse sind klar definiert und gegenüberstellt. So wird ein Wirgefühl erzeugt, wird eine Schicksalsgemeinschaft hergestellt und eingehämmert.

Der Konflikt mit den Netzwerken des Terrors kann nicht durch Propaganda gewonnen, nicht durch Kriege entschärft werden. Er verlangt eine politische Antwort, Rhetorik als Klärungsinstrument, eine Sprache, die Situationen erkennbar macht, neue Horizonte eröffnet, Konzepte entwickelt. Sie hat bei der neuen Ostpolitik und bei der friedlichen Revolution von 89 Pate gestanden ...


Uwe Pörksen, geboren 1935 in Breklum bei Husum; Studium (Geschichte, Deutsch, Philosophie) in Freiburg, Göttingen und Kiel, 1976 bis 2000 Professor für Deutsche Sprache und Ältere Literatur in Freiburg. Pörksens wissenschaftliche Interessen galten vor allem dem Roman und der Lyrik des Mittelalters, der Geschichte der Naturwissenschaftssprachen (Goethe, Darwin, Freud) und der Sprachkritik. Er veröffentlichte u.a.: "Weißer Jahrgang". Roman (1979); "Die Ermordung Kotzebues oder Kinder der Zeit". Vier Erzählungen (1984) (Hesse-Preis) sowie "Schauinsland". Roman (1991).
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Uwe Pörksen© Regula Giuliani