"Sie liebte diesen Himmel"

Von Walter Kittel · 04.02.2012
Mit ihren expressiven Blumenbildern aus den 1920er Jahren ist Georgia O’Keeffe bekannt geworden. Sie liebte den Westen Amerikas und gilt als die bekannteste US-Malerin des 20. Jahrhunderts. Nun ist in München die erste umfangreiche Retrospektive in Deutschland zu sehen.
Zarte Aquarelle, Abstraktionen, Landschaften und Kohlezeichnungen stehen am Beginn dieser chronologischen Schau zu Georgia O'Keeffes Leben und Werk. Den eher schüchtern wirkenden frühen Arbeiten folgen schon bald farbenprächtige, leuchtende Bilder. Wie unter einem Brennglas betrachtet O'Keeffe hier vor allen Dingen immer wieder Blüten. Sie projiziert sie oft in magisch wirkende, ganze Leinwände ausfüllende Flächen. Blütenblätter wellen und wölben sich ineinander in Weiß, Rot, Blau oder Gelb. Petunien, Callas, Strelitzien und Kaktusblüten nennt sie diese Bilder aus den 20er Jahren.

Daneben sind weite, rote, vegetationslose Landschaften zu sehen, mit einer übermächtigen Sonne. Oder sie wirft den Blick durch die ausgebleichten Beckenknochen eines toten Tiers auf einen fahlen Mond. Eine geheimnisvolle Frau und ihr in vieles Hinsicht rätselhaftes Werk sind in der Hypo-Kunsthalle zu entdecken.

Barbara Buhler Lynes ist Kuratorin des Georgia O´Keeffe Museums in Santa Fe. Dort, in den faszinierenden Landschaften New Mexicos fühlte sich die Malerin über viele Jahrzehnte zu Hause, sagt Lynes.

"Sie brauchte immer die Freiheit des offenen Himmels und der Natur, wie es sie im Westen der USA gibt. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal dort waren? Es ist alles sehr weit, sehr offen, voller Farben und exotischer Formen. Der Himmel scheint sehr nah zu sein, weil er überall zu sehen ist. Es gibt keine oder nur sehr wenige Bäume. Sie liebte diesen Himmel und die weiten, offenen Flächen. Sie mochte es, wenn sie in ihren Vorstellungen von nichts abgelenkt wurde. Die Rückkehr in den Westen erlebte sie als eine besondere Form von Freiheit. Und sie konnte es sich leisten, dort zu leben."'"

Die Ursprünge ihres Werks liegen jedoch in der Metropole New York. Zu diesem Kapitel werden Fotografien von Alfred Stieglitz gezeigt, ihrem berühmten Mentor, der zunächst ihr Galerist wurde und später ihr Ehemann. Graue Straßenschluchten und rauchende Schornsteine erzeugen in den Aufnahmen ein finsteres Klima. Man spürt sehr schnell, dass sich die Malerin, die doch den weiten Himmel und die Formensprache der Natur so liebte, hier nicht wirklich wohl gefühlt haben konnte.

Dennoch entstehen in New York einige ihrer faszinierendsten Bilder. Die langen Reihen der Hochhäuser malt sie als fensterlose Wände links und rechts und -wohl in Anspielung auf Canyons- in etwas erdigen Farben. Ihr New Yorker Publikum wird sie später mit Eindrücken aus dem fernen Südwesten begeistern.

In New Mexico entstehen auch viele Stilleben oder Bilder von Früchten, Avocados, dunkelroten Äpfeln und den sonnengebleichten Schädeln von Rindern. Alfred Stieglitz hat O´Keeffe oft fotografiert: mit ernstem, in die Ferne schweifendem Blick oder leicht in sich versunken lächelnd.

""Ohne Stieglitz würden wir sie heute vielleicht gar nicht kennen. Weil er derjenige ist, der sie in New York City bekannt machte. Und er hatte den Weitblick, zu verstehen, dass eine Frau eine bedeutende Künstlerin werden konnte. Ebenso hätte ihre Bedeutung nach seinem Tod wieder verblassen können, wenn sie es nicht geschafft hätte, weiterhin großartige Bilder zu malen und ihr Image und ihre Finanzen zu managen. Statt entzwei zu fallen als er starb, blühte sie auf. Das ist wichtig, um sie richtig zu verstehen."

Sie wurde fast 100 Jahre alt. 95 ist sie, als ihr spätestes in der Ausstellung präsentiertes Werk entsteht. Ein etwa ein Meter großer, lang gestreckter Kegel aus Bronze von 1982 - ein Werk ohne Titel, eine Abstraktion.

"Es ist interessant, dass sie hinsichtlich ihrer abstrakten Bilder als eine so fortschrittliche Malerin begann und dann zu einem Realismus zurückkehrt, wie er typisch für die amerikanische Malerei des 19. Jahrhunderts ist. Sie geht also von etwas Neuem, Innovativem zu etwas viel Traditionellerem. Am Ende ihres Lebens kehrt sie dann aber wieder zurück zur Abstraktion."

Auch die letzten Kapitel der Ausstellung bieten noch vielfältige Einblicke in O´Keefes Leben und Werk. Hier sind auch ihre Malutensilien, Farbskalen oder bunte Steine aus New Mexico zu sehen. Auf einem Foto sitzt die Malerin auf der Veranda ihrer Ranch. Ein Sammelsurium aus Gegenständen umgibt sie. Ausgebleichte Tierschädel, Steine und knorriges Holz. Alles wohl geordnet. Die Liebe zur Natur und zu sinnlichen Materialien hatte sie bis an ihr Lebensende nie verlassen.
Georgia O'Keeffe vor ihrem Werk "Red White and Blue", 1930
Georgia O'Keeffe vor ihrem Werk "Red White and Blue", 1930© AP
Georgia O'Keeffe, amerikanische Malerin
Georgia O'Keeffe, amerikanische Malerin© AP
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