"Sie können ihre Leistung steuern, aber nicht den Medaillengewinn"

Eike Emrich im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 08.08.2012
Der Sportökonom Eike Emrich hat eine Reform der deutschen Sportförderung gefordert. Für jede Sportart müsse geprüft werden, ob die momentane Förderstruktur wirklich die beste ist. Besonders bei der Leichtathletik sei eine zwangsweise Zentralisierung wenig sinnvoll, so Emrich.
Stephan Karkowsky: Rund 130 Millionen Euro an Sportförderung verteilen Bundesinnenministerium und Deutscher Olympischer Sportbund jedes Jahr. Aber wie dieses System genau funktioniert, wie man rankommt an die begehrten Fördertöpfe, das wissen nur die wenigsten. Professor Eike Emrich kennt das System von innen – er war Vizepräsident des deutschen Leichtathletikverbandes und ist Sportökonom an der Universität des Saarlandes. Herr Emrich, guten Tag!

Eike Emrich: Guten Tag!

Karkowsky: In Ihrer aktiven Zeit als Sportfunktionär hat die deutsche Leichtathletik nicht einen einzigen Olympiasieger hervorgebracht. Das erste Gold seit 12 Jahren kam erst gestern wieder von Diskuswerfer Robert Harting. Hatte diese lange Durststrecke eigentlich Auswirkungen auf die Fördergelder, die der Verband bekam?

Emrich: Ja, natürlich hat das Auswirkungen auf die Summe Geldes, die sie bekommen. Die hängt im Wesentlichen ab von der Zahl der Medaillen und der Zahl der Disziplinen und Startplätze bei Olympia, zumindest was die Grundförderung betrifft.

Karkowsky: Die Sockelförderung?

Emrich: Ja, genau, die sogenannte Sockelförderung. Die Projektförderung wiederum, die wird gewissermaßen frei vereinbart und hat auch keine klaren festen Kriterien in der Höhe und in den Gründen, warum sie wie viel wofür bekommen. Dort gibt es eine gewisse Variabilität, aber wir hatten sozusagen schon eine lange Durststrecke damals im DLV, die sich jetzt deutlich bessern dürfte.

Karkowsky: Was mussten Sie tun in Ihrer Zeit als Verbandsfunktionär, damit die Sportförderung für Sie die Taschen geöffnet hat?

Emrich: Na ja, das Problem war, dass die Sportförderung für den DLV seinerzeit die Taschen eben kaum geöffnet hat, und sie bestimmte Dinge eben nicht tun konnten, die sie gerne tun wollten. Das betrifft Trainingslager, das betrifft Verfügbarkeit von Trainern, Einstellung von Trainern, Ähnliches. Das ist besonders deshalb problematisch, weil eben ausbleibende Erfolge sich dann eben gewöhnlich auch in zurückgehendem Geld zeigen. Das heißt, ein umgekehrter Matthäus-Effekt: Wer da wenig hat, dem wird auch noch genommen. Und insofern ist es dann auch schwierig, in der Situation sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Das war nur schwierig machbar.

Karkowsky: Es gibt also keine Nachhilfe für die, die gerade weniger gute sportliche Leistungen bringen, sondern gefördert werden explizit die, die ohnehin schon erfolgreich sind.

Emrich: Ja, aber Sie haben natürlich einen Verdichtungseffekt. Wer besonders erfolgreich ist, bekommt tendenziell auch mehr Mittel, und dadurch nehmen seine Chancen natürlich zu, dass er diese Erfolgsstärke pfadabhängig fortsetzen kann, während es bei den anderen im Rahmen der Projektförderung sicherlich teilweise zu kompensieren versucht wird, aber häufig eben auch nur unzureichend.

Karkowsky: Sie haben die Sportförderung in Deutschland mal feudalistisch genannt und an anderer Stelle sogar mit dem DDR-System verglichen. Was war damit gemeint?

Emrich: Damit war gemeint, dass viele Elemente des DDR-Sports – Sportclubs beispielsweise, Eliteschulen des Sports, der Versuch zentraler Lenkung in einem föderalen System – aus dem DDR-Sport-System in eine föderale Gesellschaft übernommen wurden erstens, und zweitens, dass die – sagen wir – beiden kommunizierenden Röhren, Sockelförderung und Projektförderung, zwar auf der einen Seite transparent sind – Sie wissen genau, wie viel Sie warum in der Sockelförderung bekommen, aber in der Projektförderung hat die vergebende Seite in weiten Bereichen freie Hand, wie viel sie Ihnen gibt.

Und dort haben Sie natürlich die Möglichkeit, in hohem Umfang freihändig – partiell zumindest freihändig – zu steuern. Das heißt, wenn Sie dort anderer Auffassung sind oder vielleicht andere Ideen entwickeln, wird das aller Wahrscheinlichkeit nach wahrscheinlich nicht mit höheren Fördersummen in der Projektförderung belohnt.

Karkowsky: Das erzählen ja nicht alle so. Wolfgang Willam, der Sportdirektor des Deutschen Turnerbundes, der sagt, ein paar Jahre habe man bei den Turnern kaum messbare Erfolge gehabt, sei aber vom Deutschen Olympischen Sportbund und dem Bundesinnenministerium gerade nicht fallen gelassen worden.

Emrich: Das ist ja umso interessanter. Also offensichtlich gibt es selbst dann in der Sockelförderung eine gewisse Variabilität. Wir hatten seinerzeit große Probleme, unseren täglichen Bedarf gewissermaßen zu decken, und es war sehr schwierig zu verhandeln.

Karkowsky: Was vermuten Sie denn für Motive dahinter?

Emrich: Na ja, Motiv – also ich bin da kein Hellseher. Es gibt eben einfach Situationen, die sind so, wie sie sind, und sie haben eine bestimmte Masse Geldes, der Kuchen muss verteilt werden. Und dort gibt es Präferenzen, die speisen sich aus unterschiedlichen Quellen. Und insofern wäre das spekulativ, also wir hatten große materielle Sorgen in jener Zeit und mussten dort sehr kreativ arbeiten, sage ich mal.

Karkowsky: Hat das was mit Sympathien zu tun gegenüber den einzelnen Verbandsvertretern oder mit der Politik, die sie machen, wie sehr sie vielleicht auch Bundesinnenministerium oder Deutschen Olympischen Sportbund kritisieren?

Emrich: Ja, das schließe ich nicht aus, das wäre menschlich, und die Politik des DLV war ja in der Phase des Neuaufbaus gewissermaßen eine starke Betonung des Aspektes der Freude, der Ästhetik auch, dass wir Athleten wollten, die sich gerne dem Wettkampf stellen, die aber dem Fair-Play-Prinzip genügen, den Wettkampf dann genießen können, wenn sie den immer nach fairen Kriterien bestreiten, und wir wollten klarmachen, dass Medaillen erwünschte Nebenfolge von Athleten sind, die sich gerne dem Wettkampf stellen, aber dass wir Medaillen nicht primär ansteuern, weil dies ist, wenn Sie das gestatten, auch absurd, denn je mehr Nationen in der Welt intensiver Leistungssport fördern, umso unwahrscheinlicher wird der Gewinn von Medaillen selbst bei absoluter Höchstleistung. Das heißt, im olympischen Finale treten gleichwertige Athleten an, und die Windbedingungen, die Wahl der Bahn, die Strömungsverhältnisse und so weiter bestimmen, ob sie Erster, Zweiter, Dritter oder Vierter werden. Also sie können ihre Leistung steuern, aber nicht den Medaillengewinn. Das ist eine der Paradoxien.

Karkowsky: Sie hören Professor Eike Emrich, er ist Sportökonom an der Universität des Saarlandes. Sie haben die anderen Nationen angesprochen, Herr Emrich, wie läuft denn in anderen Ländern die Sportförderung, sagen wir, in den USA?

Emrich: Sie haben im Kern zwei Pole, zwischen denen sich das Ganze strukturell aufspannt: Sie haben einmal das Modell des Marktes, in dem eben der Markt und die Einkommensmöglichkeiten am Markt bestimmen, welche Sportarten Athleten betreiben, welche Einkommen sie erzielen und so weiter, das ist das Modell der USA mit einer sehr starken Basis des Sports in den Colleges und den Universitäten.

Karkowsky: Und ihr Geld verdienen die durch Sponsorengelder und Werbeverträge?

Emrich: Sponsorengelder, Einkommen aller Art, ganz genau, zumindest vornehmlich, und Sie haben natürlich auf der anderen Seite planwirtschaftliche, zentral gesteuerte Sportmodelle, wie sie es sicherlich noch in Russland haben, in Ansätzen natürlich auch in Frankreich. Und zwischen diesen beiden Polen bewegen sich gewissermaßen alle Ausprägungen. Australien liegt sicherlich näher am amerikanischen Pol, Frankreich liegt näher an dem planwirtschaftlichen Pol – die Frage lautet eben, ob Mischformen, wie wir sie bei uns haben, einerseits marktlich durchdrungen und andererseits im Versuch der Planwirtschaft im föderalen System, wirklich effizient sein können.

Karkowsky: Sie haben doch sicherlich eine Antwort auf diese Frage?

Emrich: Ich würde sagen, das hängt davon ab, welche Sportarten Sie wie fördern wollen. Sie haben Sportarten, die werden von wenigen betrieben und bedürfen großer Sachkapitalvoraussetzungen, Skischanzen beispielsweise, Bobbahnen. Dort können Sie Athleten konzentrieren und auch Entscheidungen zentralisiert treffen, wenn Sie Anreize setzen dafür, dass Athleten sich diesem Prozess stellen – das heißt, auch materielle Anreize.

Und es lohnt meines Erachtens nicht, Sportarten wie Fußball oder Leichtathletik, die Sie an vielen Stellen in dieser Republik auch mit ausgewiesener Kompetenz betreiben können, zwangsweise zentralisieren oder einheitlichen Kriterien zu unterwerfen. Das würde auch zum Verlust von Innovationsfreude und Fähigkeit führen.

Karkowsky: Was wäre denn dann die Lösung?

Emrich: Na, die Lösung wäre gewissermaßen, sich mal die Sportarten alle anzuschauen und zu gucken, auf welche trifft sozusagen die Förderstruktur, die wir haben, in geeigneter Weise zu. Dann kann man diese auch so fortführen und die anderen Sportarten, die eben nach anderen Kriterien optimalerweise zu betreuen wären, der Verantwortung der Verbände wirklich zu überlassen und dort Kontrolle einer zentralen Planungsbehörde durch Vertrauen zu ersetzen, und vielleicht statt Kontrolle und Überwachung so etwas wie Organisationsentwicklung zu setzen.

Karkowsky: Nun fordern Sie ja die Reform der Sportförderung schon seit vielen Jahren. Was denken Sie denn, woran es liegt, dass da so wenig Bewegung rein kommt?

Emrich: Sie haben hier natürlich ein verwobenes – sagen wir – interdependentes Strukturgerüst, komplex gesprochen. Also schlicht und einfach, Sie haben dort Personen, die haben bestimmte Interessen, und diese Interessen werden verteidigt, und die werden genau so lange verteidigt, bis das System tatsächlich in eine existenzielle Krise gerät. Und das sehe ich im Moment noch nicht.

Karkowsky: Die Sportförderung in Deutschland gehört auf den Prüfstand, sagt der Sportökonom und Soziologe Professor Eike Emrich von der Universität des Saarlandes. Herr Emrich, danke für das Gespräch!

Emrich: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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