"Sie hat es ja gelebt, was sie predigt"

Lorenz Knauer im Gespräch mit Britta Bürger · 29.08.2010
Jane Goodall hat größte Strapazen auf sich genommen, um die Welt der Schimpansen in Afrika zu untersuchen. Der Regiesseur Lorenz Knauer hat das Leben der britischen Verhaltensforscherin nun verfilmt.
Britta Bürger: Jane Goodall, eine rastlose Weltverbesserin. Eine Frau, die noch immer 300 Tage im Jahr kreuz und quer durch die Welt jettet, um vor allem junge Leute mit ihrer Version von einer besseren Welt anzustecken. "Jane's Journey - die Lebensreise der Jane Goodall" heißt der Dokumentarfilm von Lorenz Knauer. Am Donnerstag kommt er in die Kinos und zuvor war der Regisseur unser Gast. Wie hat er Jane Goodall überhaupt kennengelernt?

Lorenz Knauer: Ich habe sie kennengelernt vor 20 Jahren, ziemlich genau 20 Jahren in New York. Da hatten wir sozusagen beide einen Film in Arbeit, beide in Rohschnittabnahme bei HBO in New York. Unsere Redakteurin betreute beide Filme und sagte: Wollt ihr nicht Jane Goodall kennenlernen, die hat heute Abnahme. Und da habe ich natürlich gesagt, klar. Und die Begegnung, die vergesse ich einfach nie, und es war in mir sofort der Gedanke, mei, wäre das toll, über die mal einen Film zu machen, aber vergiss es gleich wieder, denn die gibt es ja alle schon.

Bürger: Wie war diese Begegnung?

Knauer: Völlig unspektakulär und gleichzeitig sehr bewegend. Sie hat was, was einen gefangen nimmt.

Bürger: Gibt es denn auch eine Seite der Jane Goodall, die Sie kritisch sehen?

Knauer: Also ich sehe ihr Vertrauen, fast Vertrauensseligkeit kann man sagen, sehe ich als eine kritische Seite, die ihr viel Schaden zufügen kann und bestimmt auch schon viel Schaden zugefügt hat. Man kann natürlich auch kritisch sehen, muss man auch kritisch sehen, sieht sie auch selber kritisch, die Art, wie sie ihre Mission verfolgt, nämlich 300 Tage im Jahr um die Welt zu jetten, um dafür zu kämpfen, dass dieser Planet irgendwie für die Zukunft erhalten bleibt.

Das kann man natürlich kritisieren und sagen, das ist ja alles andere als umweltfreundlich und so. Sie antwortet darauf immer, solange ich keine andere Möglichkeit habe, muss ich es so machen, und ihre Jugendorganisation arbeitet ja dran, also mit Bäumepflanzen und so weiter, das irgendwie auszugleichen so weit, wie es geht.

Bürger: Den CO2-Verbrauch.

Knauer: Ja, allen Ernstes, da mag man auch drüber lachen, aber na klar, es bleibt ein Loch da. Es gibt Leute, die ihr vorwerfen, dass sie einen viel zu sanften Ansatz hat, aber gut, das ist halt so.

Bürger: Wenn Sie sagen, 300 Tage im Jahr ist Jane Goodall unterwegs, wie konnten Sie mit ihr überhaupt einen Drehplan entwickeln?

Knauer: Das war ein Alptraum, weil ihr Reiseplan, Vortragsplan ist im Prinzip zwei Jahre im Voraus Tag für Tag schon verplant und ausgetüftelt, das heißt, der Drehplan musste sich weitgehend danach richten, und an den Orten, wo wir jeweils waren, hatten wir nie mehr als zwei oder drei Tage Zeit. Und das, was also für jeden Filmemacher ein Alptraum ist, wenn man auf Licht dann keine Rücksicht mehr nehmen kann oder auf das Wetter und sagen, komm wir müssen die Stimmung abwarten, damit das und so, das ging alles nicht, es war einfach nicht möglich.

Und das hat mich viele, viele, viele schlaflose Nächte gekostet, weil es sollte ja ein Kinofilm sein, und der Kinofilm lebt von der Stärke der Bilder, unter anderem. Und ja, wir haben einfach da dann auch viel, viel Glück gehabt und mussten einfach wahnsinnig flexibel sein.

Bürger: Sie haben sich für starke Musik entschieden, erzählen Sie was über die Musik des Films?

Knauer: Wir haben versucht, von Anfang an ein Konzept zu entwickeln, das eben nicht, wie man annehmen sollte, normalerweise wäre es so ein ethnologisches Konzept gewesen, was sich mit Afrika und Trommeln und so weiter, nein, das wollten wir nicht. Ich wollte ja einen Film machen über die persönliche Seite der Jane Goodall, die ja bisher noch nie gezeigt worden ist in der Form. Und deswegen wollte ich auch einen ganz emotionalen Musikansatz haben, einen, der einem wirklich im Bauch packt.

Bürger: Wenn Sie sagen, ein persönlicher Film sollte es werden, in welchem Punkt sind Sie ihr denn besonders nahe gekommen?

Knauer: Also mit Sicherheit, was ihr Privatleben angeht, bin ich ihr in einer Weise nahe gekommen, wie es noch niemand vorher gemacht hat, wahrscheinlich auch nicht versucht hat. Und vielleicht, wenn sie gewusst hätte, wie hartnäckig ich da werden würde, sein würde, hätte sie vielleicht nie ja gesagt zu dem Film, weiß ich nicht. Aber die Geschichte mit ihrem Sohn zum Beispiel, mit dem sie fast 20 Jahre lang völlig entfremdet war und erst in den letzten drei Jahren, also eigentlich erst während der Film entstand, wie durch ein Wunder kann man sagen, sich wieder angenähert hat, das war eine harte Sache.

Weil ich meine, der hat lebende Lobster, wie sagt man, Hummer nach China exportiert, und zwar massenweise, um Luxusrestaurants zu beliefern, und Jane Goodall, seine Mutter, die reine Vegetarierin ist seit 20 Jahren und für den Erhalt der natürlichen Umwelt kämpft, das kann man sich vorstellen, was das für ein Konflikt war. Und den aus beiden in der Form rauszulocken, ohne voyeuristisch zu werden und peinlich das werden zu lassen, das war eine Herausforderung, ja.

Bürger: Gibt es eine Art Credo der Jane Goodall, das auch Einfluss hat auf Ihr Leben, hat sich tatsächlich irgendetwas geändert?

Knauer: Ich würde mal sagen, im Alltag, in meinem Alltag hat sich nichts geändert, weil ich diese Einstellung, die sie verfolgt oder für die sie kämpft, der gehe ich schon sehr lange nach, selber, also versuche ich jedenfalls in meinem Alltag und meinem Privatleben. Jane Goodall sagte immer: Jeder von uns kann jeden Tag einen Unterschied machen, mit jeder kleinen Handlung. Also egal, ob man jetzt Lichtschalter an und aus oder solche Sachen bis zu brauche ich überhaupt ein Auto oder so – ich meine, ich habe seit 20 Jahren keinen Privatwagen mehr, weil ich ihn aus genau diesen Gründen nicht will.

Also mein Leben hat sich in dem Sinn nicht direkt verändert, es hat sich verstärkt in mir, die Überzeugung, dass es wichtig ist, jeden Tag darauf zu achten, und immer wichtiger wird, jeden Tag darauf zu achten, dass wir alle was tun und nicht nur sagen, ja, die Politiker oder der Umweltschutzverband oder die Organisation muss was machen, nein, wir, Sie und ich müssen was machen.

Bürger: Die Frau ist 76 Jahre alt, sie wirkt aber im Film noch immer, ja, beinahe mädchenhaft, erstaunlich friedlich, sanftmütig, hoffnungsvoll, alles andere als abgeklärt geschweige denn pessimistisch oder aggressiv. Was gibt Jane Goodall diese unerschütterliche Milde, diese beinahe religiöse Hoffnung auf eine bessere Welt?

Knauer: Ich glaube, wenn man 25 Jahre lang weitgehend alleine in diesem unglaublichen Wald von Gombe, mit diesen unglaublichen Tieren, diesen Schimpansen, die ja uns so nah sind, zu 98,9 Prozent genetisch identisch, und doch so anders sind, das über so lange Zeit zu erleben, tagaus, tagein, und diese ganz besondere Energie von denen und diese Ruhe sozusagen über die Poren aufzunehmen, das gibt ihr die Kraft, die man sonst, glaube ich, nicht haben könnte. Also ich wäre schon längst tot umgefallen, wenn ich so leben würde wie sie auf Dauer. Das hält kein Mensch durch.

Und ich frage mich auch und ich hoffe sehr, dass der Film ihr auch dabei hilft, vielleicht ein bisschen weniger reisen zu müssen in Zukunft, weil das ist einfach auch für sie nicht gut, und das ist das, was ich auch, wenn ich es so aus der Nähe mir anschaue, eher kritisieren würde und sage, sie macht zu viel des Guten und sie macht dabei sich selber irgendwie in dem Alter dann auch irgendwann mal kaputt. Und sie ist auch so eine wahnsinnig begabte Autorin, ich finde, sie sollte sich hinsetzen und mehr Bücher schreiben, in der Zeit, die ihr noch bleibt.

Bürger: Es gibt ja auch Leute, die sagen, das ist alles wirklich ein reines Gutmenschentum, eine einzelne Frau kann einfach nicht die Welt retten. Worin liegt denn Ihrer Ansicht nach das Potenzial jetzt dieses Einzelkämpfertums, was ja eben auch durchaus ein, ja, übersteigertes Engagement ist, wie Sie schon angedeutet haben?

Knauer: Ich glaube, dass es daran liegt, dass man viele, viele Leute, vor allen Dingen auch jüngere Leute – und das habe ich ja nun immer wieder beobachtet während meiner Zeit mit ihr – einfach über eine persönliche Begegnung anders packen kann, überzeugen kann, als indem ich ein Pamphlet lese oder eine Politikerrede höre oder in der Schule was zu hören kriege.

Die Frau eben hat dieses Charisma, also sie hat es ja gelebt, was sie predigt, und sie lebt es nach wie vor, was sie predigt. Und diese Bescheidenheit, die sie hat, die ist einfach überzeugend. Und deswegen glaube ich, wenn man das sozusagen auf eine Waage tun würde und gegeneinander abwägen, dann würde ich immer auch sagen, dieses in Anführungsstrichen "Gutmenschentum", das ist trotzdem besser, als gar nichts zu tun.

Bürger: Anscheinend gab es ja in Jane Goodalls Leben so eine Art Wendepunkt, an dem die Wissenschaftlerin zur Aktivistin wurde. Was ist da passiert?

Knauer: Das war anlässlich eines Kongresses zu Ehren ihres großen wissenschaftlichen Werkes für "Chimpanzees of Gombe", und da kamen über vier Tage hinweg sozusagen alle ihre Kollegen, ihre wissenschaftlichen Kollegen, die Schimpansen und Primaten über ganz Afrika beobachtet haben und über die geforscht haben, zusammen und jeder hat berichtet aus seinem Gebiet, und wie ein Blitzschlag hat sie das getroffen, dass jeder gesagt hat, es gibt bald keine mehr, weil der Wald abgeholzt wird, weil die Bevölkerung explodiert, weil die Tiere in Restaurants verkauft werden. Sie hat einfach plötzlich kapiert, Moment einmal, das geht zu Ende. Sie sagt es immer wieder: Ich bin da reingegangen als Wissenschaftlerin und ich bin rausgekommen als Aktivistin nach vier Tagen.

Bürger: Was ist die größte Enttäuschung im Leben der Jane Goodall?

Knauer: Ich glaube, für sie ist die größte Enttäuschung, dass sie – würde ich mal so formulieren – dass sie nicht genug Zeit hat, um weiter, um länger zu kämpfen. Also das kommt am Ende des Films, das ist so in Grönland für mich ist das rausgekommen ganz deutlich, auch so zwischen den Zeilen, wie sie da vor diesem schmelzenden Gletscher sitzt und es rumpelt und kracht im Hintergrund, und der wird, während man zuschaut, immer weniger. Und sie sagt, ich weiß, die Zeit läuft mir davon, und ich habe das Gefühl, ich muss immer noch mehr tun, obwohl ich ja schon alles gebe.

Bürger: Lorenz Knauers Dokumentarfilm über die Umweltaktivistin und Naturforscherin Jane Goodall. Am Donnerstag kommt er in unsere Kinos, "Jane's Journey – die Lebensreise der Jane Goodall". Danke Ihnen, Herr Knauer, für das Gespräch!

Knauer: Ich danke auch!