Sicherheitskonzept

Skepsis gegenüber De Maizierès' Plänen

Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.
Nun wird diskutiert, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln stärker zentralisiert und ausgebaut werden sollte. © dpa / Oliver Berg
Christoph Möllers im Gespräch mit Dieter Kassel  · 04.01.2017
Das neue Sicherheitskonzept von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht der Berliner Jura-Professor Christoph Möllers kritisch. Zentralisierung von Behörden passe nicht in die Zeit. Außerdem seien diese in Phasen der Umorganisation lange mit sich selbst beschäftigt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dringt angesichts der Terrorgefahr in Deutschland auf eine stärkere Koordinierung der Sicherheitsbehörden und eine übergeordnete Steuerungseinheit. Dazu schlug er in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor, das Bundeskriminalamt zu stärken und die Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten der Bundesbehörde abzuschaffen. Aus den Ländern gab es viel Kritik an den Vorschlägen, auch von Unionsvertretern.

Frage nach moderner Lösung

"Die Frage, die man sich stellen müsste und zu der hört man eigentlich wenig, ist, was ist eigentlich die beste Verwaltungsorganisation und die modernste", sagt Christoph Möller, Professor für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt Universität im Deutschlandradio Kultur. Er zeigt sich skeptisch angesichts der Ministerpläne. "Da ist es zumindest auf den ersten Blick nicht völlig klar, dass die Komplettzentralisierung mit einer Behörde moderner oder angemessener ist als eine etwas flexiblere Struktur, in der man eine Behörde hat, die sozusagen die anderen Behörden koordiniert und im Zweifelsfall auch Weisungen haben kann." Das gelte heutzutage eher als modern und sei bereits der Zustand, der vorhanden sei.

Gefahr der Selbstbeschäftigtung

Möllers sagt auch, dass die Erfahrung zeige, dass Behörden in Phasen der Umorganisation jahrelang sehr mit sich selbst beschäftigt seien. Gerade wenn man Landesämter in Bundesämter überführe, gebe es immer sehr viel Ärger. Das könnte die Aufmerksamkeit der Organisation in die falsche Richtung lenken.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Der Bundesinnenminister hat Vorschläge zur künftigen Sicherheitspolitik in Deutschland gemacht, und die sehen unter anderem vor, die Landesämter für Verfassungsschutz aufzulösen und in eine größere neuere Bundesbehörde zu integrieren. Auch in anderen Teilen seines Sicherheitskonzepts ist die Rede davon, bisherige Aufgaben der Länder auf den Bund zu verlagern, und das hat ihm viel Kritik eingebracht. Die einen sagen ganz schlicht, das ist nicht durchsetzbar und haben damit wahrscheinlich recht, weil die anderen sagen, das kann man nicht machen, weil es die föderalen Grundsätze der Bundesrepublik berührt. Ist das wirklich so, und heißt das, man kann solche Dinge nicht ändern, sie sind in Stein gemeißelt – das wollen wir jetzt von Professor Christoph Möllers wissen. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität. Professor Möllers, schönen guten Morgen!
Christoph Möllers: Guten Morgen!
Kassel: Wäre tatsächlich schlichtweg die Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz schon ein Angriff auf den Föderalismus?
Möllers: Na ja, in gewisser Weise ist es jedenfalls in unserem System unüblich, dass es eine Zentralbehörde gibt. Wir machen es eigentlich meistens so, dass die Gesetze entweder von den Ländern alleine vollzogen werden oder, dass es so etwas gibt wie koordinierende Behörden. Dass man dann alles dem Bund zuschlägt, auch bei so einer Materie, ist etwas, was im Grundgesetz erst mal nicht vorgesehen ist. Man kann das Grundgesetz ändern, aber in der Tat ist das nicht so, wie unser Föderalismus normalerweise funktioniert.
Kassel: Nun hat Thomas de Maizière ja noch nachgelegt mit seiner Bemerkung, wir lebten halt nicht mehr in den 50er-, 60er-Jahren, man müsste auf neue Herausforderungen auch neu reagieren können. Er hat schon angedeutet, er halte den Föderalismus, in Teilen zumindest, für langsam überholt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Möllers: Ich denke, das erste, was man sagen muss, ist, dass sich unser Föderalismus eigentlich permanent gewandelt hat. Wir haben das Grundgesetz unendlich oft geändert, und wir haben unendlich oft auch die Verwaltungsstrukturen angepasst, neu gemacht. Es ist also eigentlich auch nichts mehr so, wie es in den 50er-Jahren war, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz im Übrigen nicht und die Landesämter, bei denen das Bundesamt mittlerweile eine stärkere koordinierende Funktion hat.
Insofern ist es etwas unfair zu sagen, wir leben nicht mehr in den 50er-Jahren, weil tatsächlich so alles anders ist. Die Frage, die man sich stellen müsste, und zu der hört man eigentlich wenig, ist, was ist eigentlich die beste Verwaltungsorganisation, die modernste, und da ist es zumindest auf den ersten Blick nicht völlig klar, dass die Komplettzentralisierung mit einer Behörde jetzt moderner oder angemessener ist als eine etwas flexiblere Struktur, in der man eine Behörde hat, die sozusagen die anderen Behörden koordiniert und im Zweifelsfall auch Weisung haben kann. Ich würde sagen, das gilt eigentlich heutzutage eher als modern, und das ist eigentlich der Zustand, den wir haben.

Seit dem NSU-Skandal haben viele Ämter dazu gelernt

Kassel: Nun denken aber, glaube ich, viele Menschen, wenn von den Landesämtern für Verfassungsschutz die Rede ist, eher an die Fehler, die da im Zusammenhang mit dem sogenannten NSU gemacht wurden und weniger an die Vorteile. Sie sehen also auch Vorteile?
Möllers: Ja, ich meine, man muss sagen, dass wir heute nicht mehr den Zustand haben, den wir zu NSU-Zeiten hatten. Ich denke schon, dass die meisten der Ämter eine Menge gelernt haben, das Bundesamt übrigens auch, bei dem es ja auch Versäumnisse gab, auch in anderen Fällen, und der Informationsaustausch, das ist, glaube ich, ziemlich klar, ist heute zwischen den Behörden viel, viel besser als es damals war, und die Möglichkeiten, zuzugreifen des Bundes, sind auch noch mal verbessert worden. Also es ist jetzt auch schon eine andere Behördenstruktur als sie es vorher war.
Die andere Frage wäre, wäre das alles gelöst, wenn man eine Riesenbehörde bauen würde. Das ist mir auch nicht ganz klar. Eine Erfahrung ist natürlich, dass, wenn man Behörden umorganisiert, sie erst mal jahrelang nur mit sich selbst beschäftigt sind und es unglaublich viel Ärger gibt, gerade wenn man Landesämter in Bundesämter überführt, werden da sehr viele Eifersüchteleien, sehr viele Fragen, wo stellen hinkommen und so weiter, gestellt werden und vielleicht die Aufmerksamkeit der ganzen Organisation in die falsche Richtung lenken können.
Kassel: Das ist ein Argument, das ich nachvollziehen kann. Andererseits kann man doch nicht sagen, nur weil Veränderung so schwierig ist, machen wir keine Veränderung.
Möllers: Nein, aber man muss erst mal einen Grund dafür haben. Ich denke, das Argument, das de Maizière in dem Artikel bringt, ist ja erst mal ein richtiges. Er sagt, eigentlich schützen ja alle dieselbe Verfassung. Also in der Tat auch das Verfassungsschutzamt von Nordrhein-Westfalen schützt im Prinzip die Kerngehalte des Grundgesetzes nicht die nordrhein-westfälische Verfassung, aber das ist erst mal kein organisationstheoretisches Argument, das ist erst mal nur eine Beobachtung. Die Frage ist, wie kann man ein und dieselbe Verfassung praktisch am besten schützen, und da bin ich mir nicht ganz sicher, ob eine Riesenbehörde wirklich die richtige Antwort ist.
Am Ende ist ja auch klar, sie würden ja nicht nur ein Haus haben oder faktisch ein Gebäude, in dem alle diese Arbeit erfüllen, sondern Sie hätten auch dann wieder regionalisierte Strukturen, verschiedene Unterbehörden in verschiedenen Ländern und Regionen, die sich das lokale Wissen zu eigen machen müssen, was da irgendwie rumliegt, und das heißt, Sie haben immer irgendwie eine Form von interner Dezentralisierung, und vor dem Hintergrund bin ich mir weiterhin nicht ganz sicher, ob das das Richtige ist.
Ich denke, wenn man sowas angeht, ist es eigentlich keine genuin politische Frage. Man müsste noch mal gucken, wie andere Behörden in anderen Ländern föderal organisiert und so weiter, und ich bin mir relativ sicher, dass da nicht die Antwort wäre, dass die zentralisiertesten die am besten funktionierenden sind.

Unser System ist nicht statisch

Kassel: Dann gehen wir doch mal weg von der Sicherheitspolitik. Es gibt ja andere Bereiche, in denen schon seit langem darüber diskutiert wird, ob der Föderalismus da überwiegend Vorteile habe. Die Bildungspolitik zum Beispiel: Ich habe gerade vorgestern erst mit einem Bildungsexperten über das Abitur geredet und darüber, dass es so eine Art Pseudozentralabitur gibt ab diesem Jahr in Deutschland, was schon wieder – und das sagen, glaube ich, die meisten – ein fauler Kompromiss zwischen Bund und Ländern ist. Bildung: 16 verschiedene Schulsysteme, 16 verschiedene Abschlussprüfungen, 16 verschiedene Qualitätsstufen beim Ergebnis – das spricht aus meiner Sicht eher nicht für Föderalismus.
Möllers: Nein, aber das ist halt so, dass die unterschiedlich sind. Also, wenn Sie der Meinung sind, dass alles gleich sein soll, dann spricht das natürlich nie für Föderalismus, sondern Sie müssen sich fragen, wollen wir irgendwie ein System haben, in dem wir Dinge auch verschieden machen können, und da, würde ich sagen, ist das Wichtigste erst mal, zu sehen, dass unser System gar nicht statisch ist, sondern, wie gesagt, permanent verändert wurde und dass wir eigentlich mittlerweile auch nicht mehr daran glauben, wie vielleicht noch zum Beginn der 90er-Jahren, dass ganz schlichte, einfache Strukturen, die diese Sachen entscheiden und sagen, hier ist die Verantwortung bei dem Land, hier ist die Verantwortung beim Bund, immer das Beste sind, sondern wir sind mittlerweile, glaube ich, schon so weit, auch zu sehen, dass sozusagen etwas undurchsichtigere, komplexere Strukturen auch Vorteile haben können.
Das Ganze ist aber, wie gesagt, sowieso schon ein permanentes Hin und Her. Wir haben auch schon manche Strukturen erst zentralisiert, dann wieder rezentralisiert, dann wieder zentralisiert, und wir schauen immer, was damit passiert. Manchmal ist das nicht so ein Vorteil für die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben, aber jedenfalls wird es permanent geändert. Also man kann nicht behaupten, dass unser System besonders statisch wäre.
Kassel: Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität über Möglichkeiten und Sinn einer Verlagerung von Länderkompetenzen auf den Bund. Professor Möllers, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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