"Sicherheit muss immer Vorrang haben"

Joachim Herrmann im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 26.07.2010
Eine Massenpanik müsse im Sicherheitskonzept einkalkuliert werden, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor dem Hintergrund des Unglücks bei der Loveparade in Duisburg.
Jan-Christoph Kitzler: 19 Tote und mehr als 340 Verletzte in Duisburg – was am Samstagabend eigentlich ein fröhliches Fest sein sollte, eben eine echte Loveparade, das war am Ende eine Katastrophe. Gestern war Aufräumen angesagt, und auch heute werden weiter Fragen gestellt, ob sich das Unglück nicht hätte verhindern lassen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil möglicherweise das Sicherheitskonzept nicht ausreichend war, weil die Warnungen ignoriert wurden, weil es vermutlich zu viele Menschen auf dem Gelände gab und zu wenige Sicherheitskräfte. Über die Konsequenzen, die man jetzt ziehen muss, spreche ich mit Joachim Herrmann von der CSU, dem bayrischen Innenminister. Guten Morgen!

Joachim Herrmann: Guten Morgen!

Kitzler: Sie haben ja auch schon bald wieder ein Riesenspektakel vor der Haustür, das Münchener Oktoberfest. Könnte es da nicht zu einer ähnlichen Massenpanik kommen wie in Duisburg?

Herrmann: Theoretisch kann bei jedem großen Ereignis auch eine Massenpanik auftreten, darauf muss man sich in den Sicherheitskonzepten vorbereiten, genauso wie auf die Gefahren beispielsweise eines Brandes, das muss entsprechend einkalkuliert werden. Beim Oktoberfest gibt es ausgereifte Konzepte. Das ist das Ergebnis natürlich bei großen Veranstaltungen, die immer wieder stattfinden, die am gleichen Ort stattfinden und wo entsprechend natürlich auch über die Jahre hinweg Erfahrungen gesammelt werden können und deshalb auch Sicherheitskonzepte immer ausgereifter werden.

Kitzler: Aber ich verstehe Sie richtig, solche Massenpaniken kann man nie ganz ausschließen und es bleibt immer ein Rest Unberechenbarkeit, oder?

Herrmann: Das gehört natürlich zu den Restrisiken bei großen Versammlungen, da können durch plötzliche Unglücke, da können natürlich zum Beispiel auch durch Feuergefahren oder dann manchmal auch durch ein rein irrationales Verhalten von Menschen plötzlich solche Panik ausbrechen, aber die muss ein gutes Sicherheitskonzept vom Prinzip her natürlich mit einkalkulieren.

Kitzler: Ist das, was in Duisburg passiert ist, in Ihren Augen ein Sonderfall?

Herrmann: Es ist nun eine einmalige Veranstaltung dort gewesen, das scheint mir insgesamt das größte Sicherheitsrisiko immer zu sein. Dort wird eben nicht wie beispielsweise für ein großes Fußballstadion, wo ja dann schon mit dem Baukonzept von vornherein auch das Sicherheitskonzept, die Rettungswege und so weiter einkalkuliert werden, wo einmalig auf einem Gelände, das sonst für anderes genutzt wird, eine solche Veranstaltung genehmigt wird. Und da sehe ich die großen Probleme, dass da nicht in dieser Perfektion wie bei anderen großen Geländen oder Stadien von vornherein diese Sicherheitsaspekte umfassend restlos auch mit einkalkuliert werden. Ich will mich in diese Ermittlungen in Duisburg nicht einmischen, das muss vor Ort geklärt werden, aber wir müssen natürlich jetzt sicherlich bei allen größeren Veranstaltungen in Deutschland noch einmal überprüfen, sind die Konzepte wirklich perfekt, sind sie wirklich so gut, wie es irgendwie nach menschlicher Vorausschau möglich ist.

Kitzler: Das heißt, Konsequenzen müssen nicht nur in Duisburg gezogen werden, sondern die betreffen alle Veranstaltungen solcher Megaevents?

Herrmann: Es ist ganz klar, dass auf jeden Fall auf gar keinen Fall bei der Sicherheit Abstriche gemacht werden dürfen, das ist das Entscheidende. Da darf sich kein Veranstalter in irgendeiner Weise überreden lassen bzw. die Behörden dürfen auf gar keinen Fall sich durch Veranstalter unter Druck setzen lassen, wie wichtig, wie gut es ist, wie viel Menschen interessiert sind, wie toll das ist und dergleichen mehr. Sicherheit muss immer Vorrang haben. Das fängt schon an bei der Frage, wie viel Ordner werden eingeteilt, wie viel Rettungswege, wie breit sind die Rettungswege, sind genügend Zugänge vorhanden und dergleichen mehr. Die wirtschaftlichen Interessen von Veranstaltern dürfen auf gar keinen Fall hier Vorrang haben vor den Sicherheitsinteressen für die Teilnehmer.

Kitzler: Es wird ja nicht nur die hohe Zahl der Menschen auf diesem Platz in Duisburg kritisiert, sondern auch die geringe Zahl der Sicherheitskräfte, da sollen nur etwa 1200 Polizisten im Einsatz gewesen sein. Können die über eine Million Menschen gut absichern?

Herrmann: Das hängt immer vom Charakter der Veranstaltung ab. Wir hatten erst vor Kurzem beispielsweise in München den Ökumenischen Kirchentag für ganz Deutschland. Das ist von der Struktur her eine Teilnehmerzahl oder es sind Teilnehmer, wo man weiß, die sind extrem ruhig, extrem friedlich, die akzeptieren jeden Hinweis von Ordnern. Auf der anderen Seite haben wir natürlich schon mit einer wesentlich geringeren Teilnehmerzahl, beispielsweise Fußballspiele, wo dann Teilnehmer, Fans und so weiter wesentlich rabiater sein können. Auf all dies muss man sich bei der Zahl der Sicherheitskräfte einstellen. Es geht aber nicht nur um die Zahl der eingesetzten Polizeibeamten, sondern es geht zunächst einmal beispielsweise um eine wirklich starke Zahl von Ordnern, die der jeweilige Veranstalter selbst einstellen muss. Das gehört zu jeder großen Veranstaltungskonzeption, dass der Veranstalter selbst verpflichtet wird, die notwendige Zahl an Ordnern bereitzustellen, um zum Beispiel – wenn ich jetzt nur mal das Geschehen in Duisburg, soweit ich es nach der aktuellen Meldungslage kenne, zu sehen – um zum Beispiel zu verhindern, dass jemand Absperrungen übersteigt, dass jemand sich überhaupt auf Wege begibt, die er nicht betreten darf. In dem Fall war das ja wohl möglicherweise einer der Auslöser für die Panik, dass jemand dann hier wieder zurückgestürzt ist und dergleichen. Genau an solchen Stellen müssen Ordner des Veranstalters zunächst einmal stehen, die verhindern, dass so etwas passiert. All das gehört zu einer solchen Veranstaltungskonzeption mit dazu, und auch da gilt, man muss auch einen Veranstalter, egal, wie viel das kostet, dazu verpflichten, die notwendige Zahl von Ordnern bereitzustellen.

Kitzler: Würden Sie so weit gehen und sagen, dass in Duisburg am falschen Ort, nämlich an der Sicherheit gespart wurde?

Herrmann: Ich kann das von hier aus nicht beurteilen, das muss die Staatsanwaltschaft jetzt sorgfältig angehen. Aber klar ist, dass wir auch in Bayern unter dem Lichte dieser schrecklichen, tragischen Ereignisse in Duisburg auf jeden Fall für alle größeren Veranstaltungen die Sicherheitskonzeptionen noch einmal überprüfen werden, denn klar ist, Sicherheit hat absoluten Vorrang.

Kitzler: Die Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg und die Schlussfolgerungen daraus. Das war Joachim Herrmann von der CSU, bayrischer Innenminister. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Herrmann: Danke schön, das wünsche ich Ihnen auch!