Sicherheit in der freien Gesellschaft

Von Rainer Burchardt · 17.04.2007
Gewiss, es geht ja alles: Die neue, die schöne digitale Datenwelt macht es möglich. Und in Tateinheit mit der archetypischen menschlichen Eigenschaft als Jäger und Sammler vereinigen sich virtuelle Welten, technologische Systeme und politische Kontrolleure zu einer fatalen Dreieinigkeit einer sehr konkreten Durchleuchtung. Orwell lässt grüßen, big brother is watching you – der Große Bruder beobachtet dich. Alles angeblich im Namen der Freiheit.
Konkreter: Nachdem schon Otto Schily während seiner Amtszeit als Bundesinnenminister die biometrische Datenerfassung eingeführt hat, setzt sein Nachfolger Wolfgang Schäuble mit seinem Vorschlag der digitalen Foto- und Fingerabdruckdatei jedes einzelnen Bundesbürgers diesen fragwürdigen Kurs fort. Ebenfalls im Namen der Freiheitssicherung wird die gesamte Gesellschaft unter einen kriminellen Generalverdacht gestellt und auf unverhältnismäßige Art und Weise für einen schnellen und kaum kontrollierbaren Zugriff archiviert.

Es war kein geringerer als Thomas Mann, der einmal sagte: "Die Freiheit stirbt an ihrer Verteidigung." So ist es. Und je rigoroser die angeblichen Sicherheitsrezepte sind, desto qualvoller und effektiver wird die staatlich verordnete Strangulierung unseres im Kern freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates erfolgen.

Sicher, in dieser Epoche bedroht der internationale Terrorismus die gesamte Welt. Erst jetzt die Anschläge in Nordafrika und die täglichen Selbstmordattentate im Irak beweisen, wie unsicher letztlich das Leben jedes Einzelnen geworden ist. Die rücksichtslose und verlogene Kriegspolitik der US-Administration unter George Bush hat letztlich die menschenverachtenden Terrorzellen auch in Europa eher gezüchtet als beseitigt. Als Antwort auf die verbrecherischen Terroranschläge vom 11. September ist der amerikanische Bellizismus im Irak grandios gescheitert, ein zweites Vietnam steht den USA ins Haus.

Doch es gibt Kollateralwirkungen. Dazu gehört dann eben die wohlfeile Einschränkung von Bürgerrechten hierzulande mit Hinweis auf die terroristische Bedrohung. Da darf sich Osama bin Laden, wenn er denn noch lebt, ins Fäustchen lachen. Wenn das Vertrauen der Bürger gerade in den aufgeklärten westlichen Industrienationen auf dem Altar einer vorgegaukelten Sicherheitspolitik geopfert wird, gar Polizeistaatsmethoden drohen, dann hätte der imperialistisch-terroristische Islamismus schneller mehr erreicht, als erwartet.

Das ganze erinnert ausgerechnet im Jahre 30 nach dem deutschen Herbst des Terrorjahres 1977 an die kruden Ziele der durch geknallten Kleinbürger a la Baader/Meinhof. Die von ihnen gegründete und geführte so genannte Rote Armee Fraktion wollte ja nichts anderes, als den Staat aus der Reserve locken, um dann gegen einen entstehenden Polizeistaat mit den Bürgern im Rücken zu Felde ziehen zu können. Diesen Wahnwitz der RAF kommentierte seinerzeit Heinrich Böll mit der gleichermaßen ironischen wie zutreffenden Formel: "Sechs gegen sechzig Millionen".

Gerade das verantwortungsbewusste Augenmaß der damaligen Politiker der sozialliberalen Koalition mit angemessenen restriktiven Reaktionen hat zum Scheitern der Terrorbedrohung durch die RAF und ihre Nachfolger geführt.
Sicher auch damals lief nicht alles ohne öffentliche Hysterie und gelegentliche lokale Überreaktionen ab, doch die Grundfreiheiten der Gesellschaft waren niemals bedroht.

Diesmal indessen ist politische Gefahr im Verzuge. Schon die umstrittene Anti-Terrordatei hat bis auf den heutigen Tag bei den Datenschützern ein großes Unbehagen hinterlassen. Und in der Tat ist dadurch die Schwelle zu einer unbefugten Ausforschung unter dem Deckmantel einer koordinierten Rasterfahndung der Sicherheitsbehörden erheblich abgesenkt worden. Verfassungsschutz, Polizei, Geheimdienste und andere Sicherheitsinstitutionen haben praktisch uneingeschränkten Durchgriff auf die gespeicherten Daten von Straftätern und Verdächtigen jeglicher Konvenienz.

Wenn das ganze jetzt noch auf praktisch jeden Bürger dieses Landes erweitert würde, dann in der Tat, sind wir eine codierte Kommunität, eine abgestempelte Gesellschaft. Es wäre die von oben verfügte Preisgabe jeglicher Intimsphäre, die Grundrechte wie Schutz der Menschenwürde oder das Recht auf Unverletzlichkeit der Person, nicht nur des Körpers, stünden zur Disposition. Von der Meinungs- und Religionsfreiheit ganz zu schweigen.

Nein, den staatlichen Durch- und Beleuchtern muss Einhalt geboten werden. Ein Staat, der offensichtlich kein Grundvertrauen zu seinen Bürgern und deren Freiheitsansprüchen hat, verspielt ohne Not den selbstverständlichen Vertrauensanspruch, der sich nicht nur im Gewalt- und Gesetzgebungsmonopol manifestiert. Ein Wort des amerikanischen Staatsmannes und Schriftstellers Benjamin Franklin gilt bis zum heutigen Tag: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren."

Prof. Rainer Burchardt lehrt an der Hochschule Kiel im Bereich Medien- und Kommunikationsstrukturen. Er hat zudem seit längerer Zeit eine Honorarprofessur an der Hochschule Bremen inne. Rainer Burchardt war zuvor seit Juli 1994 Deutschlandfunk-Chefredakteur. Vor seiner fast zwölfjährigen Tätigkeit beim Deutschlandfunk war Burchardt langjähriger ARD-Korrespondent in Brüssel, Bonn, Genf und London. Unter anderem schrieb er für "DIE ZEIT", "Sonntagsblatt" und andere Zeitungen und ist Vorstandmitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".
Der ehemalige Chefredakteur des Deutschlandfunks, Rainer Burchardt.
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