Showdown im Schlachthof

04.06.2009
Ein Serienmörder, der seine Opfer in Stücke zerlegt und als Gefrier- und Frischfleisch in Umlauf bringt, läuft im schottischen Aberdeen frei herum - und die Polizei ist machtlos. In seinem Roman "Blut und Knochen" bringt der Autor Stuart MacBride inkompetente Polizisten, schrille Exzentriker und finstere Gestalten in einer Geschichte zusammen.
"Der Fleischer" trägt eine Maggie-Thatcher-Maske zur blutigen Metzgerschürze. Er schlachtet seine Opfer, zerteilt sie, bereitet sie entweder gleich zu oder speist sie portioniert in den Warenkreislauf für Gefrier- und Frischfleisch ein. "Der Fleischer" ist ein Serienmörder. Also einer jener überflüssigen Gesellen, die schon viel zu lange die Kriminalliteratur bevölkern? Nein, so einfach ist es hier nicht. Denn diese finstere Gestalt ist von dem schottischen Autor Stuart MacBride erfunden worden, der in seinem vierten Roman "Blut und Knochen" den Topos "Serienmörder" noch wahnwitziger traktiert, als er dies in den ersten drei Büchern schon getan hat.

Detective Sergeant Logan McRea von der Polizei im nordschottischen Aberdeen und ein ganzes Ensemble von wenig bis hin zu inkompetenten Polizisten, schrillen Exzentrikern, Gerichtsmedizinern und Journalisten bevölkern einen sehr wirklichkeitsnahen Arbeitsalltag. Helden gibt es da keine. Die Polizei ist eine fehleranfällige, pfuschende Behörde, die Hierarchien sind knallhart und brutal. MacBride erzählt nicht mit den Augen eines hochrangigen Chefermittlers, sondern aus der Perspektive derer, die stundenlang frierend im Auto sitzen, die in jedem buchstäblichen Dreck wühlen müssen, die von den Chefs gescheucht werden - also aus der Perspektive der Leute, die die manchmal arg widerwärtige Arbeit machen.

Der Killer ist so vielschichtig wie die Geschichte um ihn herum. "Der Fleischer" killt aus Gründen. Wen er jedoch schlachtet oder nur gefangen hält, das pendelt zwischen Zufall und verblüffender "Notwendigkeit", es folgt keiner Pseudoästhetik und Kultiviertheit à la "Hannibal the Cannibal", sondern einer robust lebenspraktischen Logik.

Die Metapher vom "Fleischer" dreht MacBride ins Wörtliche: Das Fleisch der Opfer reiht sich in die industriell strukturierte Nahrungskette ein. Rindfleisch, Lamm und Mensch sind als Hackfleisch, Steak oder Keulenstück nicht unterscheidbar. Und das sagt eine Menge über unsere Lebensmittel - und über die Lebensmittelindustrie. Der komische Schock entsteht beispielsweise dann, wenn ein Brustwarzenpiercing an einem vermeintlichen Stück Schweinebug entdeckt wird.

Der krasse Showdown im Schlachthof läuft auf mehreren Sinnebenen: zwischen Splatter und Realismus à la Upton Sinclairs "Dschungel". Ständige Mehrsinnigkeit strukturiert den Roman, der sowohl Serienkiller als auch Polizeiroman ist sowie die kritische Parodie beider Genres.

MacBride schreibt und parodiert gleichzeitig auch einen knallhart realistischen Roman, wenn er das Buch mit auf authentisch getrimmten Zeitungsausschnitten über die Morde des "Fleischers" spickt. Im Roman selbst verwischt er die Grenzen zwischen Realität und Halluzination, Suggestion und Autosuggestion - in den Visionen eines Fleischer-Opfers, das ein Stockholm-Syndrom entwickelt und für einen der verblüffendsten und tiefschwarzhumorigsten Romanschlüsse aller Zeiten sorgt.

Mit anderen Worten: "Blut und Knochen" benutzt sämtliche Klischees und Topoi des Genres und der Nachbargenres Horror und Splatter, um daraus Realismus, Trennschärfe, Komik und Tragik zu destillieren. Denn echte Tragik kommt immer dann ins Spiel, wenn der fürwitzige Leser endlich meint, kapiert zu haben, wie der Hase läuft.

Besprochen von Thomas Wörtche

Stuart MacBride: Blut und Knochen
Aus dem Englischen von Andreas Jäger
Goldmann Verlag, München 2009
537 Seiten, 8,95 Euro