Shortlist zeigt "Geburtsfehler dieses Deutschen Buchpreises"

Moderation: Stephan Karkowsky · 11.09.2013
Die Jury des Deutschen Buchpreises hat sechs Titel für die Shortlist ausgewählt. Bei dem Preis müssten aber so viele Aspekte beachtet werden, dass letztlich "nicht das beste Buch" gewinne, moniert Literaturkritiker Jörg Magenau. Das Grundproblem sei die Konstruktion der Jury, meint seine Kollegin Sigrid Löffler. Natürlich haben beide trotzdem ihre Favoriten.
Stephan Karkowsky: Der Deutsche Buchpreis ist nicht der am höchsten dotierte Preis, den Schriftsteller in Deutschland für ihre Werke bekommen können, aber er ist einer der renommiertesten - und durch das stufenweise Auswahlverfahren ist er auch einer der spannendsten. 164 Bewerber gab es dieses Jahr, aus denen suchte die Jury zunächst 20 für die sogenannte Longlist aus, heute nun wurde diese Liste verkürzt auf nur noch sechs, bevor dann vor der Frankfurter Buchmesse im Oktober die Siegerin gekürt wird - oder der Sieger. Über die sechs Bücher auf der Shortlist möchte ich mit unseren Rezensenten diskutieren, mit den Literaturkritikern Sigrid Löffler – guten Morgen Frau Löffler …

Sigrid Löffler: Guten Morgen!

Karkowsky: … und Jörg Magenau, auch Ihnen guten Morgen!

Jörg Magenau: Guten Tag!

Karkowsky: Die Schriftstellerin Sybille Berg hat auf Spiegel Online einen galligen Kommentar veröffentlicht. Da schreibt sie, der Deutsche Buchpreis stehe für die "Boulevardisierung des Literaturbetriebs". Er diene einzig dazu, den Buchverkauf anzukurbeln.

Magenau: Die Boulevardisierung ist sicher nicht so, denn die Bücher, die auf der Liste stehen, schon auf der Longlist, die sind viel zu unterschiedlich, um da diesen Trend ablesen zu können. Jetzt steht zum Beispiel ein Autor wie Reinhard Jirgl, der wirklich nur sehr, sehr schwer und spröde lesbar ist mit seiner Privatautographie, auf der Shortlist. Da kann man nicht von Boulevardisierung sprechen. Aber es ist natürlich ein Preis, der dem Verkauf dient und der das Ziel hat, Bestseller zu kreieren und Bestsellerautoren und seinen eigenen Erfolg auch daran misst, dass ihm das gelingt. Und das ist in den letzten Jahren relativ häufig gelungen. Bei Eugen Ruge zum Beispiel oder ein paar Jahre früher bei Uwe Tellkamp ist es tatsächlich gelungen, nicht nur Bestseller zu kreieren, sondern auch Autoren wirklich zu machen, ins Bewusstsein zu rücken, und dauerhaft. Und das ist dann schon ein großer Erfolg eines Preises.

Karkowsky: Frau Löffler, schauen wir mal gemeinsam auf die Liste. Mirko Bonné, Reinhard Jirgl, Clemens Meyer, Terézia Mora, Marion Poschmann und Monika Zeiner. Fehlt Ihnen wer?

Löffler: Ja, natürlich fehlen mir eine ganze Reihe von Autoren, die ich mir da gewünscht hätte. Wie jeder Kritiker hat man seine private Lieblingsliste. Aber ich muss zugeben, diese Liste von sechs Autorinnen und Autoren ist geradezu penetrant ausgewogen. Drei Männer, drei Frauen, sechs Verlage. Dass nicht ein Verlag zweimal da vorkommt. Sehr gut ausgewogen auch ein großes Tableau zwischen marktkonform, also zwar anspruchsvoller, aber doch Lesbarkeit, und absolut radikal nicht marktkonform. Reinhard Jirgl wurde ja schon erwähnt, ich würde auch Clemens Meyer da dazurechnen, das sind diese beiden Schreibberserker. Dazwischen eben, denke ich, sind dann zwei, drei Autoren - Poschmann, Mora und vielleicht auch noch Mirko Bonné -, zwischen denen wird sich dann, glaube ich, es dann entscheiden, wer den Preis bekommt.

Karkowsky: Jörg Magenau, diese Ausgewogenheit, dieses Proporzdenken, das muss ja nicht unbedingt für eine mutige Jury stehen.

Magenau: Die Jury sagt, es sei eine Auswahl, die keine Kompromissauswahl sei, sondern die für das leidenschaftliche Streiten in der Jury stehe, und jeder auch für ein anderes Literaturkonzept sich eingesetzt habe. Das ist allerdings etwas, was eine Jury jedes Jahr sagt, und man kann durchaus auch sagen, wenn man von allem was dabei haben will, dann ist das ein bisschen mutlos und man hat sich am Ende gar nicht wirklich positioniert. Das würde ich auch von dieser Liste sagen. Es ist natürlich auch ein Problem dieses Preises, der in der Tat auf so viele Dinge Rücksicht nehmen muss, dass auch Verlage, die im Vorjahr oder vor mehreren Jahren vielleicht schon einen Preisträger hatten, dieses Jahr nicht schon wieder dran sind. Um das noch zu erwähnen. Deshalb sind hier Titel von Jung und Jung zum Beispiel herausgefallen. Interessant, dass Marion Poschmann der einzige Titel war von Suhrkamp in diesem Jahr, die waren letztes Jahr sehr viel breiter vertreten, aber er ist jetzt trotzdem auf der Shortlist als einer von den Sechsen. Also das sind viele Dinge, die eine Jury beachten muss, und die Entscheidung, die dabei rauskommt am Ende, die ist natürlich nicht frei. Und sie ist nicht das beste Buch, was dieser Preis ja immer vollmundig zu sein verspricht, sondern sie ist eine Abwägung zwischen vielen Fragen, die man da beachten muss, und das macht einen auch immer natürlich unzufrieden.

Karkowsky: Frau Löffler hat ihre Favoriten schon auf drei reduziert. Wie ist es mit Ihnen?

Magenau: Ich würde Terézia Mora und Marion Poschmann als die beiden jetzt wirklich heißen Kandidaten nennen auf dieser Liste, vor allem vielleicht Terézia Mora, die formal ein bisschen ambitionierter ist. Marion Poschmann ist eher das etwas schön gewobene Prosageflecht, während Mora das rauere Schreiben verkörpert, und das würde mir persönlich mehr zusagen. Auch die Geschichte, die sie erzählt, von einem Mann, der nach Ungarn reist auf den Spuren seiner Freundin, die sich umgebracht hat, und dort ihre Biografie rekonstruiert und merkt, wie wenig er eigentlich von ihr weiß und wie wenig er mit ihr zu tun hatte. Das ist deshalb auch interessant, weil es zwei verschiedene Texte sind. Er liest dort ihr Notizbuch, und es ist unterm Strich immer als zweiter Text auf der Seite notiert. Man muss also eigentlich zwei Texte parallel lesen. Das ist auch durchaus anspruchsvoll und spricht nicht für die These von Frau Berg, dass er eine Boulevardisierung sei, dieser Preis.

Karkowsky: Stimmen Sie zu, Frau Löffler?

Löffler: Ja, ich habe Terézia Mora auch sehr geschätzt, weil es ja auch eine Selbstrevision ist ihres Erfolgsromans. "Der einzige Mann auf dem Kontinent" wird hier noch einmal erzählt, sozusagen ein Palimpsest oder eine Überschreibung des früheren Buches. Sehr interessant die Männerstimme und die Frauenstimme, die da gegeneinander gestellt werden. Der Mann, der dachte, seine Ehe sei ein reiner Glückszustand gewesen, und die Frau, die neben ihm in Depressionen versunken ist, was er gar nicht bemerkt hat. Ich würde aber auch für Marion Poschmann noch ein gutes Wort einlegen. Das ist eine ganz bemerkenswerte Autorin. Sie kommt von der Lyrik her, das merkt man natürlich auch ihrer besonders sorgfältigen Sprache und ihrer sehr genau gesetzten Metaphorik an. Es ist ein Tag-Nacht-Roman um drei nachtaktive Menschen, die Tag-Nacht- oder Sonnen- und Nachtmetaphorik spielt hier eine ganz große Rolle. Ja, es ist reich orchestriert, aber diese Metaphorik ist auch ganz tief eingesenkt in die Struktur des Romans. Sehr sprachmächtig, sehr kunstvoll, und ich denke, Marion Poschmann würde es tatsächlich verdienen, einem größeren Publikum bekannt gemacht zu werden.

Karkowsky: Frau Löffler, Sie waren, genau wie Jörg Magenau auch schon, in Jurys vertreten natürlich. Wie läuft das denn eigentlich ab? Wenn man da einmal 164 Bücher eingereicht bekommt, dann muss man die auf 20 reduzieren, am Ende sind sechs übrig. Wird da wirklich leidenschaftlich gestritten?

Löffler: Ja, ich kenne Jurys, die sich also bis aufs Blut zerstritten haben, sodass eigentlich zum Schluss gar nichts mehr ging. Die sich ineinander verkeilt haben auch, das ist ja, wie man hört, beim Deutschen Buchpreis gelegentlich der Fall gewesen. Aber es gibt tatsächlich dann auch Jurys, wo es dann sehr zufriedenstellend ist, weil man merkt, dass sich dann Qualität durchsetzt, und dass auch Leute, die auf einen Kandidaten leidenschaftlich gesetzt haben, den besseren Argumenten oder der besseren Qualität nachgeben können und sich dem anschließen können. Und dass es dann doch einen Konsens gibt, wenn alle gleichzeitig die gleichen Interessen haben, nämlich das qualitätsvollste Buch soll sich durchsetzen. Das ist nicht immer in Jurys der Fall. Hier ist es ja ein bisschen schwierig, weil da sitzen ja auch Buchhändler mit dabei, die naturgemäß ein etwas anderes Interesse haben. Aber das ist das Grundproblem oder vielleicht auch der Geburtsfehler dieses Deutschen Buchpreises.

Karkowsky: Herr Magenau, eine gute Jury dieses Jahr?

Magenau: Ja, eine Jury, die ihre Arbeit gemacht hat und die natürlich auch die Defizite, die dieser Preis hat, nicht beheben kann. Die vor allem darin bestehen, dass eben nicht das beste Buch prämiert wird, sondern das, was sich am besten machen lässt oder wo man einen Autor durchsetzen kann. Das heißt, alle Autoren, die es schon geschafft haben, die schon bekannt sind, die schon auf der Bestsellerliste stehen wie zum Beispiel Daniel Kehlmann mit "F", einem durchaus bemerkenswerten Roman, wie ich finde, der ist jetzt rausgefallen. Andere waren noch nicht mal auf der Shortlist. Große Namen wie Monika Maron zum Beispiel oder Martin Walser, die da auch denkbar gewesen wären. Einer wir Uwe Timm ist rausgefallen. Das sind Autoren, wo der Buchpreis sozusagen keinen Ehrgeiz mehr dran entwickeln kann. Die sind ja schon da, die muss man nicht mehr machen. Und deshalb sollte man diese Benennung, "Das beste Buch des Jahres", einfach ersatzlos streichen und sagen, das ist das Buch, das wir jetzt auf der Buchmesse feiern.

Löffler: Ja, da hat Jörg Magenau natürlich vollkommen recht. Noch ein Wort zu Daniel Kehlmann: Abgesehen davon, dass ich diesen Roman nur bestenfalls halb gelungen finde, denke ich doch, dass ein Auflagenmillionär wie Kehlmann eigentlich auf dieser Liste nicht wirklich was verloren hat. Er braucht eigentlich den Deutschen Buchpreis überhaupt nicht. Der Buchpreis, wenn er denn schon so ein mächtiges Sortierungsinstrument ist, um die Aufmerksamkeit auf Autoren zu lenken, und wenn er so erfolgreich dabei ist und die Verkäuflichkeit so ankurbeln kann, dann braucht das jemand wie Kehlmann am wenigsten.

Karkowsky: Dann werden wir am Schluss noch einmal Sybille Berg zitieren, die auf Spiegel Online kritisiert, wegen des Buchpreises würden viele Verlage nun ihre Veröffentlichungstermine auf den Sommer legen, um vom Wirbel um den Buchpreis profitieren zu können. Und tatsächlich, wenn man guckt, die meisten Romane auf der Longlist, erscheinen im August oder September. Ist das eigentlich ein Problem? Ist das schlimm?

Löffler: Nein, das ist, glaube ich, nicht das Schlimme. Das Schlimme ist, dass die Öffentlichkeit und auch die Buchhändler sich so stark von den Titeln, die hier genannt werden auf der Shortlist, fixieren lassen auf diese Titel. Dass diese dreistufige Liste, die ja dreimal die Aufmerksamkeit auf immer die gleichen Bücher lenkt, den ganzen Markt konfiguriert und eigentlich auch deformiert, mus man sagen. Wer nicht auf der Liste ist, der wird es im Herbst schwer haben, und das ist ungerecht gegenüber den Büchern, die da rausgefallen sind. Und viele sind natürlich völlig zu Unrecht rausgefallen.

Karkowsky: Im Oktober vor der Frankfurter Buchmesse werden wir mehr wissen. Dann wird er verliehen, der Deutsche Buchpreis. 25.000 Euro gibt es für den Hauptgewinner. Und ich danke für diese Einschätzungen im Voraus unseren Literaturkritikern Sigrid Löffler, herzlichen Dank, und Jörg Magenau, Ihnen auch herzlichen Dank.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema