Sexualwissenschaft

Orgasmusforschung und Orgon-Energie

Die Ausstellung "Sexology" zeigt Arbeiten der Pioniere der Sexualforschung sowie erotische Kunst aus mehreren Jahrhunderten.
Die Ausstellung "Sexology" zeigt Arbeiten der Pioniere der Sexualforschung sowie erotische Kunst aus mehreren Jahrhunderten. © picture alliance / dpa
Von Jochen Spengler, Studio London · 19.11.2014
Die Londoner Wellcome Gallery, laut Eigenwerbung der Ort für unheilbar Neugierige, präsentiert in der Ausstellung "The Institute of Sexology" die Anfänge und Pioniere der Sexualforschung. Neben Messinstrumenten für den weiblichen Orgasmus gibt es auch erotische Kunst diverser Epochen zu sehen.
"Natürlich geht es auch allgemein um Sex, aber wir konzentrieren uns auf jene, die Sex wissenschaftlich über die letzten 150 Jahre untersucht haben", sagt Chefkurator James Peto, der aber auch keine plausible Erklärung dafür hat, warum erstaunlich viele dieser ersten Pioniere aus dem deutschsprachigen Raum kamen, angefangen bei Richard von Krafft-Ebing, der schon 1886 Fetischismus, Sadismus und Masochismus als sogenanntes abweichendes Verhalten registrierte, aber auch für die Straflosigkeit von Homosexualität plädierte.
Doch ob Magnus Hirschfeld, Sigmund Freud oder Wilhelm Reich.
"Ich glaube eine der interessanten Erkenntnisse ist, dass viele von ihnen Sammler waren; vielleicht mussten sie Beweise für sexuelle Praktiken und Einstellungen zusammen tragen. Die Ausstellung beleuchtet ihre Methoden, wie sie Sexualität untersuchten, aber zeigt auch die wissenschaftlichen und kulturellen Objekte, die sie sammelten. So präsentieren wir eine ganze Anzahl von Filmen, Skulpturen, Zeichnungen und Bilder, die das Studium und die Praxis von Sexualität zeigen."
Genitalien und kopulierende Paare
Zu sehen sind erotische Kunstwerke aus allen Epochen und Regionen – aus Persien, Japan, Indien und Europa: sich begattende Tiere, weibliche und männliche Genitalien und kopulierende Paare beider Geschlechter.
Die Ausstellung ist chronologisch angeordnet und beginnt mit einer Würdigung des deutschen Arztes Magnus Hirschfeld; sein in der Weimarer Republik gegründetes "Institut für Sexualwissenschaft" gab der Ausstellung sogar ihren Namen.
"Er war ein außerordentlicher Pionier mit einem radikalen Ansatz der Sexualmoral und großem Interesse, uns von sexueller Unterdrückung zu befreien."
Hirschfeld, selbst homosexuell, entwickelte die Lehre der sexuellen Zwischenstufen und kämpfte für ihre Gleichberechtigung. Als Jude und Sozialist musste er vor den Nazis fliehen, sein Institut wurde verwüstet und seine Bibliothek Opfer der Bücherverbrennung, die als Film von der Wand flimmert.
Kämpfer gegen die sexuelle Unterdrückung
Die Mitkuratorin Kate Forde betont:
"Eines der Hauptziele dieser Ausstellung liegt darin zu zeigen, dass die Freiheit, uns als sexuelle Wesen zu entfalten, nicht selbstverständlich ist. Und dass jene, die auf diesem Feld tätig waren, oft große persönliche Risiken eingegangen sind."
Wilhelm Reich, der Prediger der radikalen sexuellen Befreiung, geriet mit den US-Behörden in Konflikt und landete im Gefängnis. Seine Lehre über den Orgon-Akkumulator wurde als Scharlatanerie gebrandmarkt, auch seine Bücher verbrannt. Ein Nachbau dieser mit Metall ausgeschlagenen simplen Holzbox findet sich in der Ausstellung.
Angeblich soll der Akkumulator Orgon-Energie erzeugen, womit sexuelle Lust stimuliert werde - doch selbst bei den Ausstellungsmachern hat es bislang nicht funktioniert.
Etwa weniger umstritten als Reich war Alfred Kinsey; seine Nachfolger gewissermaßen, Masters und Johnson, sind im Videointerview zu hören und in einer Vitrine werden die Messinstrumente ausgestellt, mit denen die Forscher in den 60er-Jahren den weiblichen Orgasmus durchleuchteten.
Sexualität im Lauf der Geschichte
Ob moderne Verhütungsmittel oder altertümliche Sexspielzeuge - manche Ausstellungsstücke sind unmissverständlich, andere verführen zum Schmunzeln, etwa wenn ein französisches Buch aus dem 19. Jahrhundert in Wort und Bild die Vorzüge der Masturbation preist, während ein englisches Werk aus derselben Zeit sie verdammt als Weg zum Schwachsinn.
"Jede Generation gefällt sich darin zu glauben, dass sie den Sex erfunden habe. Aber ein kurzer Rundgang in unserer Ausstellung wird den Glauben erschüttern, dass wir experimentierfreudiger oder aufgeklärter als unsere Vorfahren sind – tatsächlich könnten wir eine Menge von ihnen lernen."
Trans- und Homosexualität sind derzeit in über 80 Staaten verboten. Und nicht nur Großbritannien tut sich schwer mit einer freizügigen Sexualerziehung an Schulen oder dem Umgang mit der Internetpornografie.
Die Besucher der Ausstellung werden aufgefordert, anonym ihre eigene Einstellung zur Sexualität kundzutun und Chefkurator James Peto hofft, dass sie sich fragen:
"Wie frei sind wir heute? Wir haben sicherlich Informationen und Bilder über Sex, wir werden bombardiert damit, aber sind wir im Inneren wirklich so frei, wie wir es vielleicht glauben möchten?"

Die Ausstellung The Institute of Sexology ist bis zum 20. September 2015 in der Londoner Wellcome Gallery zu sehen.

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