Sexualisierte Gewalt im Sport

Mein Trainer, der Täter

Kinder in einer Turnhalle - der LSB Rheinland-Pfalz stellt Forderungen an die Politik.
Nicht nur fremde Personen sprechen zielgerichtet junge Spieler an, unter den Tätern sexueller Gewalt sind auch Vertrauenspersonen wie der eigene Trainer. © dpa / picture-alliance / Arno Burgi
Von Frank Ulbricht · 04.12.2016
Sexuelle Gewalt macht auch vor dem Sportverein nicht halt. Pädophile machen sich den Trainermangel zunutze und melden sich als Betreuer. Das Präventionsprojekt "Kleine Helden" vom Berliner Fußballverband zeigt jungen Sportlern, wie sie sich wehren können.
Training der E-Jugend beim Berliner Sportverein Lichtenberg 47. Die Übungen der Zehnjährigen sehen allerdings weniger nach Fußball, als nach Kampfsport aus. Sie treten gegen Schlagpolster, oder versuchen sich aus den Händen eines Mannes zu befreien.
Der Mann heißt Jascha Wodzniak und leitet das Projekt "Kleine Helden". Was der ehemalige Polizeikommissar mit den Kindern macht, kann auf Außenstehende mitunter martialisch wirken.
"Wir ziehen auch mal am Arm. Dann müssen sie sich auf den Boden setzen, dann müssen sie trampeln, schreien, damit man mal sieht, was steckt eigentlich in mir drin, was kann ich eigentlich alles. Und dann reden wir auch noch einmal darüber, was darf der Trainer, was darf er nicht. Darf ich mit unter die Dusche? Und da gibt es Regeln, Regeln die auch der Berliner Fußballverband aufgesetzt hat. Und das geben wir den Kinder auch noch einmal mit."

"Dann nehme ich die am Kragen"

"Kleine Helden" ist ein Projekt vom Berliner Fußballverband und richtet sich vor allem an Kinder von sechs bis zehn Jahren. Jascha Wodzniak will den Kindern vor allem eines vermitteln: Erwachsene sind per se keine Autoritäten, deren Anweisungen man ungefragt folgen sollte. Kommt er zu einem Verein, sind zumeist nur die Trainer informiert. Viele Kinder reagieren hilflos, wenn Wodzniak mit seinem Rollenspiel beginnt, selbst einige Eltern sind eingeschüchtert.
"Das ist sogar so, dass ich bei älteren Kindern auch mal ein bisschen strenger agiere, also das heißt, nicht immer nur nett sein, sondern auch mit Autorität arbeite, dann nehme ich die am Kragen und ziehe die hier vom Platz runter. Und dann sage ich dann auch, ist hier Mutter oder Vater in der Nähe? Ja, meine Mama ist da. Na dann winke mal noch. Dann winkt er, Mama winkt zurück und ich nehme das Kind vom Platz runter und laufe aber nicht zur Kabine, sondern zu Straße. Und an der Straße sage ich dann: Kleiner, wer bin ich eigentlich? Dann sagt er, der Trainer? Ich sage, nein, der bin ich nicht. Wer bist du denn dann? Na, Gott sei Dank, der Gute."
Jascha Wodzniak weiß, dass er nicht das letzte Mal hier war. Will er den Kindern langfristig helfen, muss er wiederkommen. Das etwas andere Training hat zwei der Jungs auf jeden Fall beeindruckt.
"Mir hat das sehr gut gefallen - und ich wüsste auf jeden Fall, was ich machen sollte."
"Ja, ich habe etwas gelernt, ich kann mich dann verteidigen."

Offizielle Zahlen von Übergriffen gibt es nicht

Nicht nur fremde Personen würden zielgerichtet junge Spieler ansprechen, unter den Tätern wären auch Vertrauenspersonen wie der eigene Trainer, so Gerd Liesegang, Vizepräsident des Berliner Fußballverbandes. Den Mangel an Ehrenamtlichen machten sie sich zunutze, erzählt Liesegang, der das Projekt "Kleine Helden" mitbegründet hat.
Offizielle Zahlen von sexuellen Übergriffen liegen dem Berliner Fußballverband nicht vor, aber immer wieder würden sich Pädophile bei Vereinen als Trainer oder Betreuer melden. Erst vor wenigen Tagen wurde ein neuer Fall bekannt.
"Wir haben jetzt zum Beispiel jemanden in Brandenburg erwischt, der in Berlin ausgeschlossen ist. Ein Berliner Elternteil hat ihn erkannt, hat dadurch Hinweise gegeben. Und dann hat der brandenburgische Fußballverband bei uns nachgefragt, wir konnten Informationen geben, dass er bei uns ausgeschlossen ist, dass auch ein Urteil gegen ihn vorliegt. Also, so viel Fantasie kann man eigentlich gar nicht haben, wie da zutage kommt."
Wie schwer es ist, über den Missbrauch zu sprechen oder den Sport ganz zu verlassen, erlebt Angelika Oetken während ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Sie berät Opfer, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Oetken wurde als Kind selbst missbraucht.
"Wenn man sich vorstellt, man ist Leistungsträger gewesen, hat viel Anerkennung bekommen, der Sportler soll auch immer der Gewinner sein, jetzt müssen sie anerkennen, ich bin ja ausgebeutet worden. Dann sind sie auf einmal auf der Seite der Beschädigten. Das ist auch so im Leistungssport, da, wo ein bisschen Geld zur Verfügung steht, oder das Innenministerium den Leistungssport fördert, sind ja auch Firmen dran, die dem Leistungssportler eine Ausbildung möglich machen. Oder sie sind bei der Bundeswehr. Da raus zu gehen, ist sehr schwer."

Über sexualisierte Gewalt im Sport haben wir mit Marc Allroggen, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Ulm gesprochen. Hören Sie hier das Gespräch:
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