Sex, Roboter und Energie

08.06.2011
Es geht um das Liebesleben der Japaner oder um ihr Verhältnis zur Technik: Dieses Buch widmet sich zentralen Fragen der japanischen Kultur und Gesellschaft. Geschrieben wurde es zwar schon vor der Katastrophe von Fukushima - dennoch ist es lesenswert.
Es gibt Bücher, die zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt erscheinen, etwa die Biografie über zu Guttenberg - und es gibt Bücher, bei denen das nicht so ist. "Die 101 wichtigsten Fragen - Japan” ist so eins. Es erschien 12 Tage nach der Erdbeben-Katastrophe, zu einem Zeitpunkt also, als Japan schon nicht mehr so war und nie mehr so sein wird, wie in diesem Buch beschrieben. Dass das Buch dennoch lesenswert ist, ganz anders als ursprünglich beabsichtigt, liegt vor allem an der 101. Frage, der Frage nach der Zukunft Japans.

Florian Coulmar, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien, und die Journalistin Judith Stalpers gehen in ihrem Buch noch von den allgemein, auch in Japan akzeptierten Herausforderungen an die Zukunft aus: Alterung, Staatsschuld und China. Das sind Tatsachen, die selbst in einem politikträgen Land wie Japan als Probleme eingestuft werden. Wenn es 2010 in Japan 2,6 Werktätige pro Rentner gab und Japan seit 2005 eine der niedrigsten Geburtsraten der Welt aufweist, so lässt sich dieser Umstand nicht allein durch Roboter lösen, die, wie die Autoren bei Frage 83 "Warum setzte Japan auf Roboter?" aufzeigen, in Zukunft als manipulierbare Diener in Pflegestationen die Helfer unterstützen sollen.

Die Autoren fragen weiter, und geben Antworten. Sie liefern aktuelle Zahlen, vergleichen diese mit denen anderer Industrienationen und zitieren japanische Intellektuelle. So beschäftigt sich auch die Frage, ob Japaner denn keinen Spaß am Sex hätten, indirekt mit der Bevölkerungszahl. Immerhin suchen täglich 1,4 Millionen Paare in Japan ein sogenanntes Lovehotel auf. Weshalb beeinträchtigt das die Fertilitätsrate nicht? Man muss weiter lesen. Die Frage, was ein Oberschulabschluss kostet, umgerechnet bis zu 150.000 Euro pro Kind, liefert eine mögliche Antwort. Und so arbeitet man sich von Frage zu Frage weiter, keine ist redundant. Die Autoren bleiben sachlich, fundiert, warten selten mit Stereotypen auf, und wenn dann nur, um mit diesen aufzuräumen.

Nach der Erdbebenkatastrophe und der Havarie in Fukushima müsste zu den Herausforderungen an die Zukunft aber eine weitere hinzugefügt werden: die Energiepolitik. Da das Buch vor dem Erdbeben verfasst wurde, lesen sich die Kapitel über Atomkraftwerke, schnelle Brüter und alternative Energiequellen besonders prekär. "Ob die anderen Kraftwerke sicher sind, kann nur der Ernstfall zeigen", lautet da ein Satz. Man wünscht sich, die Autoren wären hier kritischer gewesen. Nicht ganz so "japanisch", also zögerlich und zurückhaltend.

Trotzdem lohnt die Lektüre, zeigt dieses kleine Buch doch deutlich: Japan ist ein Land mit verkrusteten Strukturen. Ein Ruck muss durch das Land, hat gerade der japanische Professor Toshihiko Hayashi in einem Interview gefordert: "Diese Krise könnte der Katalysator für Japan sein, endlich das wirtschaftliche und politische System zu ändern." Und so erscheint ein Satz aus Kapitel 90 wie ein Hoffnungsschimmer: "Ohne Einschränkung des Lebensstandards und der Wirtschaftsaktivität könnte Japan ganz auf erneuerbare, nachhaltige Energien umschalten."

Besprochen von Michaela Vieser

Florian Coulmas, Judith Stalpers: Die 101 wichtigsten Fragen – Japan
Beck Verlag
160 Seiten, 9,95 Euro