Sewastopol

"Wieder in der Heimat"

Die Schwarzmeerstadt Sewastopol
Die Schwarzmeerstadt Sewastopol © Thomas Franke
Von Thomas Franke · 11.08.2014
Der Westen verurteilt Putins Griff nach der Krim. Doch in Sewastopol, dem Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, sind die meisten Menschen froh über die Annexion. Die "Heimkehr nach Russland" sehen viele als Rückkehr zu einem normalen Zustand.
Es ist heiß. Menschen flanieren, machen Fotos, eilen zu den Hafenrundfahrten. Im warmen Wind wehen russische Fahnen, Militärpolizei patrouilliert. Viele sind Tagesbesucher aus den Seebädern von der Krim. Sewastopol ist kein Ort für Touristen, die länger als einen Tag bleiben.
Andrej und sein Kollege haben Tauben auf den Händen, saubere Vögel. Man kann sie selbst auf die Hand nehmen und sich mit ihnen fotografieren lassen. Das kostet 100 Rubel, etwas mehr als zwei Euro. Sie sind froh, dass Sewastopol wieder zu Russland gehört. Die Ukrainer hassen sie.
"Schauen Sie doch mal, was die in Donezk machen, die schrecken doch nicht mal davor zurück, Kinder umzubringen, Kinder und Frauen. Es kränkt uns, dass ganz Europa auf uns schaut, als hätten wir nicht mehr alle. Zum Glück überfällt uns niemand, wir leben so wie immer. Bei uns will niemand Krieg, wir wollen alle Frieden."
Sie wollen in ihrer kleinen abgeschlossenen Welt leben, sagt Andrej. Dann erzählt er noch, dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg keine Frauen und Kinder getötet hätten.
Russische Fähnchen und Putin-T-Shirts
Die Menschen in Sewastopol haben sich schon immer mit dem Zweiten Weltkrieg und der russischen Schwarzmeerflotte identifiziert. Die "Heimkehr nach Russland" sehen viele als Wiederherstellung eines normalen Zustands. In vielen Autos stecken russische Fähnchen hinter der Windschutzscheibe. Ein anderes nationales Symbol schmückt das Foyer des Best Western, des ersten Hotels am Ort: Dort hängen überdimensionale Sankt-Georgs-Bänder – einst Auszeichnung für militärische Tapferkeit nach dem Zweiten Weltkrieg – nun orange-braun-gestreifte Symbole des neuen russischen Großmachtstrebens.
Auf Plakaten der Kremlpartei "Einiges Russland" grüßen Marineoffiziere und beschwören den Ruhm der russischen Flotte. Busse, geschmückt mit der russischen Trikolore, dem doppelköpfigen Adler und dem Schriftzug "Sewastopol russisch", bringen die Leute in die Vororte.
Putin-Devotionalien an einem T-Shirt-Stand in Sewastopol
Putin-Devotionalien an einem T-Shirt-Stand in Sewastopol© Thomas Franke
An Ständen gibt es die dazugehörigen T-Shirts: Putin ist darauf zusehen, mal mit Sonnenbrille, mal in Uniform, T-Shirts mit der Aufschrift "Krim nasch", "Die Krim gehört uns". Auf vielen T-Shirts sind finstere Kämpfer, vermummt mit Sturmgewehren und dem Schriftzug "höfliche Leute". So nannte Putin die Soldaten, die plötzlich auf der Krim auftauchten und die Halbinsel der Ukraine entrissen. Er verkaufe diese T-Shirts gern, sagt der Verkäufer, seine Kollegin nickt.
Er: "Ich weiß nicht, was die höflichen Leute kosten, alle T-Shirts kosten 400 Rubel.
Das hier ist Verteidigungsminister Schoigu. Der wurde nach einer Feier wahrscheinlich verkatert fotografiert. Solche Leute müssen doch auch mal entspannen."
Sie: "Das hier ist Rasiercreme der russischen Armee. Vom Militärausstatter. Hier ist ein Handtuch und eine Flagge der russischen Armee.
Klar kaufen die Leute das. Die Touristen genauso wie die Einheimischen. Ich habe auch zwei Kartons mit T-Shirts in die Ost-Ukraine geschickt, allerdings Kindergrößen."
Gegner der Krim-Annexion sind verstummt oder gegangen
Die Häuser im Zentrum von Sewastopol sind geschmückt mit Sowjetstuck: Hammer und Sichel, Waffen, Anker und Schiffe in Stein gehauen. Türmchen. Doch nicht nur architektonisch war Sewastopol immer ein Ort der Sowjetnostalgie. Der Militärexperte Alexander Shtaltovnyj kommt aus Sewastopol.
"All die alten Frauen und Männer haben viel für das Land getan, haben es mit ihren Händen aufgebaut. Jetzt, in der neuen Zeit, braucht das niemand. Sie mögen den Charakter unserer Zeit nicht: Es ist eine Zeit des Großkapitals, eine Zeit, die im Vergleich zur sowjetischen Zeit zynisch und ganz anders ist."
Das hat Shtaltovnyj bereits vor drei Jahren vorausgesagt. Damals noch in Sewastopol.
In Sewastopol hört man zurzeit nur eine Meinung, die Annexion der Krim war richtig. Wer eine andere hat, ist entweder verstummt oder weg. So auch der Militärexperte Shtaltovnyj. Er lebt derzeit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Es hätte niemanden mehr gegeben, mit dem er reden konnte, sagt er, jedes Gespräch endete im Streit. Selbst als er sich von seinen Freunden telefonisch verabschieden wollte, sei es zu Streit gekommen.
In der Sowjetunion war Sewastopol, der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, eine geschlossene Stadt, die man nur mit einer Sondergenehmigung betreten durfte. Seit 1991 ist das vorbei. Nun gibt es die Diskussion, die Stadt wieder für Besucher zu sperren. In Zeiten des übersteigerten Patriotismus sind die Menschen in Sewastopol sogar bereit, Einkommenseinbußen in Kauf zu nehmen. Die Abneigung gegen die Ukraine und die jetzige Zeit sitzen tief. Sie wollen ihre sowjetische Garnisonsstadt zurück.
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